Hauptverhandlung am 9. Oktober 2015. OLG Frankfurt
Nicole Opitz berichtet
Ein Verteidiger verliest Abdiwahids Einlassung:
Eine schwierige Schulzeit
“Ich bin der jüngste von drei Brüdern und habe noch zwei Schwestern,” beginnt Abdiwahid W., der Jüngste der drei angeklagten Brüder, sein Geständnis. Es wird streckenweise eine Lebensbeichte. “Meine Eltern ließen sich scheiden bevor ich geboren wurde. Meine Mutter heiratete wieder. Das muss wohl 2000 gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr genau, jedenfalls vor der Geburt meiner jüngsten Schwester. In der Grundschule war ich so unkonzentriert, dass ich bereits die 1. Klasse wiederholen musste. Mit 17 oder 18, ich weiß es nicht mehr genau, habe ich meinen Hauptschulabschluss gemacht. Im Sommer 2010 habe ich die Realschule nachgeholt, danach hatte ich keine Lust mehr auf Schule. Bei der Musterung wurde ich aussortiert, das Arbeitsamt schickte mich in eine Schulungsmaßnahme. Danach habe ich Pakete bei Hermes ausgeliefert. Das war anstrengend und hat mir keinen Spaß gemacht, also habe ich damit aufgehört.. Dann habe ich einige Monate als Lagerist gearbeitet. Das war 2012.”
Der junge Mann wollte eigentlich Sanitäter werden. hatte aber nie eine Rückmeldung auf seine Bewerbungen erhalten.
Pubertät, Religiöse Indoktrinierung und Haschisch-Sucht.
Als er 4 oder 5 Jahre alt war, sei ein privater Religionslehrer namens Awais gegen ihren Willen zu ihnen gekommen. “Als ich 6 oder 7 Jahre alt war, hat er aufgehört. Meine Mutter hatte wohl eingesehen, dass dieser Unterricht gegen unseren Willen nichts brachte,” erzählt er. “Bis ich 14 Jahre alt war, hat mich der Islam nicht mehr interessiert. Dann ging meine Mutter zu einem Vortrag in der Bonner Innenstadt, der nicht in der Moschee war. Wir gingen alle mit. Es war ein Referierender aus Israel. Ich habe die Vorträge nicht verstanden, weil sie auf Arabisch waren. Danach ging ich zu einem Vortrag in der Moschee in der Maxstraße. Ich ging daraufhin regelmäßig zu diesen Vorträgen, obwohl ich nichts verstand. Mit 14 fing ich an, fünf Mal am Tag zu beten und jeden Freitag in die Moschee zu gehen. Der Emir Abu Wayda – (damit meint er wohl Abu Ubeyda, der in Bonn predigte, Anm. AH) – sprach indirekt über den Dschihad. Nie direkt, aber man hat verstanden, was er meint. Er hat über den Tod geredet. Daraufhin habe ich mir Gedanken gemacht, wie man diesem entkommt. Er hat dann auch über Märtyrer gesprochen. Mit 15 dachte ich: „Wow, ich muss ein Märtyrer werden“, zog es für mich aber nicht ernsthaft in Erwägung.
Mit 17 fing ich an mit nicht-muslimischen Freunden rumzuhängen und ließ mich gehen. Damals habe ich mich fast totgekifft, habe aufgehört zu beten. Eines Tages wurde ich wegen übermäßigen Konsums ins Krankenhaus gebracht. Ich weiß noch, wie ich damals im Krankenhaus dachte: ‘Ich komme wohl nicht ins Paradies.’ Ich habe nie darüber geredet, schäme mich vor meiner Familie.”
Sein ältester Bruder sitzt gerade auf seinem Stuhl, während er das hört. Sein Kinn ist ein wenig nach vorne gereckt, in seinen Augen liegt Wut.
“Mit 20 habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, dass ich in Somalia leben möchte, wo die al-Shabaab ist. Ich hatte kein Problem mit al-Shabaab. Zuhause haben wir dann gemeinsam darüber nachgedacht, dort nach dem Koran zu leben. Das Thema Somalia kam nur dieses eine Mal auf. Danach haben wir bis einen Monat vor Abdullahs Abreise nicht mehr darüber gesprochen. Unsere Herkunft ist Somalia, deswegen ist dieses Land naheliegend. Am Sonntag, den 14. Oktober 2012 sind Abdusalam, Samira und meine Mutter von Bonn nach Brüssel gefahren. Mit Mohamed T. sind wir von Brüssel nach Mombasa gereist – das hat 600 Euro pro Person gekostet. Wir hatten das Geld zusammengespart. Insgesamt hatten wir in unserer Reisekasse 8.000 Euro, das Geld verwaltete meine Mutter. Im Hotel al-Hamdu waren wir zwei bis drei Wochen in Mombasa untergebracht,” fähr der junge Mann fort.
Von Mombasa nach Somalia
Die Familie wurde von einem Schleuser namens Abdullah nach Somalia gebracht. „Abdullah“ war wohl sein Deckname. Weil im Auto nicht genügend Platz war, ist nur eine Familie gefahren, Abdullah und er seien zu Fuß gereist, bis sie zu einem Kontrollposten der al-Shabab gekommen seien. “Das erkannte man an ihrer Fahne – sie war schwarz und auf ihr stand das Glaubensbekenntnis.”, erläutert der Angeklagte.
Zunächste blieben sie in Baardheere in einem Haus, das sie fast nur zum Einkaufen verließen. Dann ging es weiter nach nach Barawe. Dort angekommen sei der al-Shabaab schon klar gewesen, dass die Männer sich ihr anschließen wollten, erklärt Abdiwalid. “Sie hatten schon Infos über uns. Vermutlich wurden diese von dem Posten in Baardheere übermittelt.
Das Clearinghouse oder Internierungslager
“Wir kamen in ein sogenanntes Clearinghouse, das uns Sicherheit brachte. Ich wurde nicht gezwungen, dort hinzugehen. In diesem Haus lebten Leute aus Kenia, Amerika und Asien. Es waren genau genommen auch zwei Häuser.
Das Haus war wie ein Gefängnis und auch doch nicht. Wir durften es nicht verlassen, es hatte aber keine Gitterstäbe.
Uns wurden unsere elektronischen Dinge abgenommen. Eigentlich hätten wir auch unsere Papiere abgeben müssen, aber wir haben sie ausgetrickst. Zwar waren die Papiere bei unserer Mutter, wir sagten aber, sie seien uns abhanden gekommen.
Geleitet wurde das Clearinghouse von einem Sudanesen namens Safar, auf den alle gehört haben. Er war wie der Emir des Hauses.
Ich wurde nach meinem Lebenslauf gefragt – auch über meine militärische Ausbildung, die ich nicht hatte. Außerdem nach meinen Korankenntnissen. Sie fragten: „Wie viele Suren kennst du?“ Ich kannte nicht so viele, was Safar nicht gefiel.
Ich leistete einen Treueschwur auf al-Shabaab und sagte dabei etwas wie „in guten und in schlechten Zeiten“. Mir war klar, dass es der Treueschwur auf al-Shabaab war. Mir war auch klar, dass al-Shabaab kämpfte und als terroristische Organisation agierte.
Um unseren Abholungstermin wurden Geheimnisse gemacht, er wurde mehrmals verschoben. Wir bekamen am Rande mit, dass Frankreich in Somalia militärisch eingegriffen habe
Abdifatar, ein anderer Bruder, Abdullah und ich wurden zunächst nach Jilib und von dort zwei Wochen später in ein Trainingslager gebracht, die Fahrt dauerte zwei Tage. In Jilib kamen weitere Personen zu uns, wir waren dann insgesamt fünfundzwanzig Leute, zusammen mit den Einheimischen sechzig.
Steven sollte eigentlich mit, wurde aber wieder zurückgeschickt. Warum, weiß ich nicht.”
Im Trainingslager
“Im ersten Monat bekamen wir einen islamischen Lehrer, unser Unterricht wurde auf somalisch und arabisch gehalten.
Wir lernten dort auch, wie der Kampf gegen Ungläubige aussehen würde und dass man als Mitglied jederzeit bereit sein muss, sein eigenes Leben für al-Shabaab aufs Spiel zu setzen. Ich fand das nicht richtig, wollte aber keine Fragen stellen, da man bei Fragen schnell als Spion verdächtigt wurde. Ich habe zum Schein zugestimmt.”
Ich darf nicht ballern
“Im 2. Monat bekamen wir Waffen: AK 47, PKM, RGB/F1
Wir haben nie echte Granaten geworfen, es mit Steinen nachgestellt.
Mit Ästen haben wir den Umgang mit der AK geübt. Die Handhabung mit dem Ast nannten wir „AK Fake“. Fünf Schüsse in der Woche waren mit der richtigen AK. Nur einmal schoss ich mit einer PKM. Es gab ein Punktesystem. Ich hatte leider nicht genug Punkte, um mit der Panzerfaust üben zu dürfen.
Insgesamt waren wir dort 150 Mann.
Wir wurden dann noch in Gruppen á 35 Mann aufgeteilt, die jeweils Untergruppen umfassten.
Im 3. Monat lernten wir „Taktik“. Wir lernten, wie man einen Hinterhalt vorbereitet, haben auch Kampfsituationen nachgestellt, aber nie mit scharfer Munition. Es war, als würden wir Krieg spielen. Im 3. Monat machten wir auch Krafttraining und gingen joggen.
Der 4. Monat war der Erholungsmonat. Es gab keine Bestrafungen (vorher waren diese ziemlich hart, manchmal wurde die gesamte Gruppe bestraft, auch ich bekam Peitschenhiebe auf die Hand) und man konnte schlafen.
Zum Abschluss wurde ein Kamel geschlachtet. Die höheren Leute sprachen dabei davon, dass wir eine neue Generation der al-Shabaab seien.”
Gähnende Langeweile
“Danach wurden wir aufgeteilt zwischen Einheimischen und Ausländern. Die Ausländer gingen in den Dschungel, dann einen Monat nach Baardheere und danach nach Buurdhuubo. Dort bekamen wir eine AK47 mit gefülltem Magazin, Öl, ein Tuch, das ich beim Schlafen benutzte und eine Ausrüstung. Die Ausrüstung war nie komplett neu, sondern wurde von denen genommen, die gerade im Urlaub waren. Diese Ausrüstung wurde uns gestellt.
Wir fuhren an einen 30 Kilometer entfernten Stützpunkt bei Garbahaarrey. In Garbahaarrey waren somalische und äthiopische Truppen. Unser Stützpunkt war gegenüber der Stadt. Wir waren 5 Monate dort. In dieser Zeit habe ich kein einziges Mal geschossen. Im 2. oder 3. Monat kam ein Kamerateam der al-Shabaab, die mein Abschiedsvideo filmten. Ich habe mich auf eine AKM abgestützt. Ich wurde zu nichts gezwungen. Das Kamerateam machte lediglich Vorschläge.
Es wurde ein Angriff der somalischen Armee angekündigt. Wir gingen in Deckung. Weil wir in Löchern steckten, wurden wir nicht beschossen. Dieser Angriff der somalischen Armee wurde durch einen Land-Rover angekündigt, weil die somalische Regierung Geld dafür bekam. Ich habe es nicht verstanden. Jedenfalls war es ein Scheingefecht.
Die restliche Zeit über war mir sehr, sehr langweilig. Es gab nichts zu tun.
Ich hieß dort „Sahman“, den Namen bekam ich schon im Clearinghouse.
In Baardheere haben wir 2/3 Tage verbracht. Dort haben wir uns ausgeruht.”
Man bekam sogar Urlaub
Die Schwester Aishe hatte mit ihrem Mann Steven in Baardheere eine Wohnung, aber als Abdiwahid dort ankam, war Steven gerade an der Front.
Nach dem Urlaub ging es auch für Abdiwahid nochmal kurz zurück ins Lager, das in Nähe der somalischen und äthiopischen Truppen lag, aber angeblich habe es keine Kämpfe gegegen, nur die Antilopenjagd. “Das Spannendste war die Antilopenjagd. Unser Befehlshaber hat das durchgehen lassen.”
Vom Leben desillusioniert
In Baardheere bin ich zu Abdullah mit Abdusalam und Mounir, er zählt der junge Mann weiter. Wir haben uns eine Wohnung gemietet. Diese Wohnung hatte nur ein Zimmer, wir haben darin einen Monat gelebt. Wir waren vom Leben desillusioniert. al-Shabaab hatte uns 5 Dollar für 3 Wochen bezahlt. Man hat von al-Shabaab erst Geld bekommen, wenn man verheiratet war. Wenn man eine Frau hatte, bekam man 90 Dollar und für jedes zusätzliche Kind 30 Dollar. Glaube ich, ich weiß es nicht, weil ich nicht verheiratet bin/war. Einmal habe ich von der al-Shabaab 40 Dollar fürs Eidfest erhalten.
Auf dem Eidfest haben wir Abdirahman kennengelernt. Er war in der Internetabteilung der al-Shabaab. Damals war Barawe wohl die Hauptstadt der al-Shaab.
Abdirahman erzählte über al -Shabaab. Darüber, dass al-Shabaab-Leute Spione aus dem Ausland festnehmen. Er nannte sie „Geheimpolizei“. Er hat uns ein Video eines „Spions“ gezeigt. Dieser hatte einen Chip an einer Stelle niedergelegt, an der wenig später eine Drohne einschlug. Die al-Shabaab hatte den Mann wegen Spionage getötet. Diese „Geheimpolizei“ stelle diese Spione im Inneren der al-Shabab dar, als seien sie wegen Heldentaten gestorben, sagte Abdirahman.
Abdirahman fragte, wie lange wir schon dabei waren. 1,5 Jahre sei eine kurze Zeit und er riet uns dazu, Somalia zu verlassen. Er selbst war sehr unzufrieden. Wir trauten ihm zunächst nicht, spielten aber mit dem Gedanken, Somalia zu verlassen. Wir hatten von Foltergefängnissen gehört. Ohne Abdirahman haben wir Pläne geschmiedet.
Da wir Verwandte in Mogadischu hatten, sollten die Frauen zuerst nach Kenia fahren, Mounirs Frau war bereits zurückgegangen.
Zuerst haben wir Abdullah getroffen. Dann Steven und seine Frau Aisha, gemeinsam mit der Tochter. Zuerst bin ich zum „Haus der Waffen“. Dort haben Abdusalam und ich unsere AKMs und Kleidung abgelegt, danach hat uns eine Mitfahrgelegenheit nach Sahao mitgenommen. Wir wurden von Zivilisten mitgenommen.
Wir kontaktierten den Schleuser Abdullah, der uns hergebracht hatte, dieser lehnte jedoch ab, uns mitzunehmen. Ich hatte nur zwei Monate Urlaub, musste bald wieder zurück.
Wir haben einen LKW-Fahrer gefragt, ob er uns mitnehmen kann. Er wollte zuerst nicht, doch Abdullah täuschte vor, dass seine Frau schwanger sei und er unbedingt mitmüsse. Der Fahrer willigte ein und Abdullah verriet ihm die Wahrheit. Für jeden von uns verlangte der Fahrer 50 Dollar. Er transportierte Zwiebeln. Das war im August 2014.
Verhaftung in Kenia
Da die al Shabaab widerholt furchtbare Terroranschläge mit vielen Opfern in Kenia verübt hatte, hat die kenianische Polizei ihre Aufmerksamkeit besonders auf Somalier, die sich im Land aufhalten, ausgerichtet.
Die kenianische Polizei verhaftete Abdiwahid kurz nach seiner Ankunft in Nairobi. Sie verhörte ihn im Beisein von BKA-Leuten. Der Inhalt dieser Akten ist nicht bekannt. Die Anwälte haben es verhindert, dass dies ins Verfahren eingeführt wurde.
Die Verhaftung schildert Abdiwahid so: “Es muss der 15. August gewesen sein als uns der Schleuser Hassan nach Nairobi fuhr. Mounir wohnte in Nairobi.
Wir waren im Haus des Schleusers in Nairobi. Dieser ging Schuhe kaufen und schloss mich kurz im Keller an. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Auf einmal hörte ich Stimmen im Haus. Ich freute mich, denn ich dachte, es seien Hassan und Mounir, die vom Schuhekaufen zurückkamen. Aber es war die Polizei. Diese meinte, ich sei eine Gefahr fürs Land. Später wurde ich befragt. Zuerst in Kenia, dann wurde ich in Deutschland am Frankfurter Flughafen festgenommen.
Ich war seitdem in der JVA Bielefeld, Bochum und jetzt in Frankfurt in U-Haft.”
Abschließend sagte er: “Es fällt mir schwer von meiner Familie getrennt zu sein.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass es damals eine falsche Vorstellung war, ein Leben nach dem Koran zu führen. Ich trage dafür die Konsequenzen, weiß, dass es falsch war. Ich bin froh, dass meine Familie gesund ist. Ich möchte mein Fachabi machen und Informatik studieren. Auch, wenn ich weiß, dass es schwer wird.
Wenn Sie andere Informationen haben, wäre ich Ihnen dankbar für Ihre Infos. Sie können mir gerne schreiben. Das, was hier steht, ist allerdings kein ERgebnis einer Recherche, sondern ein Bericht über das, was meine Mitarbeiterin im Gerichtssaal gehört und gesehen hat. Nichts sonst.