Prozess gegen Frank S. Dem 44jährigen Neonazi drohen fünfzehn Jahre Haft wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Er hatte am 17. Oktober 2015 die Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt in Köln, Henriette Reker, und weitere Personen mit einem Jagdmesser zum Teil lebensgefährlich verletzt.
Die Zuschauerbänke waren voll besetzt, als Oberstaatsanwalt Lars Otte am 15. April die Anklage vortrug. Er wirft dem Angeklagten Mordabsicht vor. Einen Tag vor der Kommunalwahl habe der arbeitslose Malergeselle Frank S. der arg- und wehrlosen Wahlkämpferin Henriette Reker heimtückisch ein Bowie-Messer in den Hals gerammt. Um nahe genug an sein Opfer heranzukommen, habe er die Frau um eine der Rosen gebeten, die sie gerade verteilte. Das Messer durchtrennte ihre Luftröhre und verletzte ihre Wirbelsäule. Grund: Fremdenhass. Frank S habe ein „Zeichen setzen wollen“ gegen die aus seiner Sicht falsche Flüchtlingspolitik der Regierung. Vier weitere WahlkämpferiInnen und -helfer wurden verletzt, sie sind Nebenkläger im Prozess.
Er habe damit verhindern wollen, dass die Kölner Sozialdezernentin Henriette Reker die OB-Wahl gewinne, sagte Otte. Reker hatte sich im Wahlkampf für die Integration von Flüchtlingen stark gemacht. Nur eine Notoperation habe der Politikerin das Leben gerettet.
Die Verteidigung bestritt vehement, dass S , die Politikerin tatsächlich umbringen wollte. Sein Mandant hätte das Opfer durchaus töten können, wenn er gewollt hätte, betonte Rechtsanwalt Christof Miseré in einer „opening statement“ betitelten Erklärung, Es sei zu untersuchen, ob ein „Rücktrittt vom Versuch“ oder überhaupt eine Tötungsabsicht vorliege. Falls nicht, habe sein Mandant lediglich gefährliche Körperverletzung begangen. Wäre das Opfer keine Politikerin, so Miseré, würde der Fall nicht vor dem Oberlandesgericht, sondern vor einem Landgericht verhandelt, Miseré verwies auf zwei Messerstecher-Verfahren aus den letzten Monaten, in denen die Täter mit jeweils vier Jahren Haft bestraft worden seien.
Dies wiederum brachte die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza in Harnisch. „Wir führen hier keinen politischen Prozess,“ stellte sie klar.
Ich Nazi? Nie gewesen. Ich bin ein wertkonservativer Rebell
Mit Stirnglatze, Kinnbärtchen und kariertem Hemd saß Frank S. zwischen seinen Verteidigern. Aus seiner Sicht schilderte er, wie er zu dem Mann wurde, der er ist.
Das, was er schildert, wird zu einem späteren Zeitpunkt durch die Berichte seiner früheren Pflegemutter zum Teil bestätigt.
Die leibliche Mutter verließ die Kinder, als Frank fünf Jahre alt war, in der Düsseldorfer Wohnung. Der Junge war der Älteste, er versorgte die beiden kleineren Geschwister, bis es nichts mehr zu essen gab. Als das Jugendamt die Kinder schließlich fand, wurden sie im Heim untergebracht. Der Kontakt zu den leiblichen Geschwistern sei seither abgebrochen. Die Pflegemutter berichtete später, Frank sei ein „schwieriges Kind“ gewesen, denn er habe sich im Heim geweigert, sich von seinen jüngeren Geschwistern trennen zu lassen, geschrieen und um sich geschagen. Daher sei sie angerufen worden und sie habe ihn dort abgeholt. Er habe während der Fahrt mehrfach versucht, die Autotür aufzumachen, und um sich getreten.
Der Umgang des Heimes und der Jugendämter mit diesen Kindern ist ein Skandal für sich.
Er wuchs in einer lieblosen Bonner Pflegefamilie mit sechs Pflege- und vier eigenen Kindern auf. Vom Pflegevater gab es Schläge, von der Mutter Essensentzug, wenn die Kinder aufmüpfig wurden. Es sei eher eine „Pflege-GmbH“ gewesen, das Kindeswohl habe nicht im Vordergrund gestanden. Aber man sei mehrmals im Jahr nach Spanien in Urlaub gefahren, wo die Familie zwei Häuser gehabt habe. Im Alter von sechzehn Jahren habe man die Tür zu seinem Zimmer zugemauert, sodass er sein Zimmer nur noch durch den Garten habe betreten können. Nach einem heftigen Streit, bei dem er den Pflegevater zu Boden geworfen habe, habe dieser eine Pistole aus seinem Schießstand im Keller geholt und ihn damit bedroht. Mit achtzehn Jahren wurde er auf die Strasse gesetzt, weil das Pflegegeld nicht mehr gezahlt wurde. Er zog nach Tannenbusch, ins „Ghetto“, wie er sich ausdrückte, ein Viertel mit hohem Migrantenanteil.
In die rechte Szene kam er durch Schulkameraden. Die damals noch aktive Freie Arbeiterpartei FAP war ihm aber zu „rückwärts gerichtet“. Er schloss sich einer Gruppe mit Namen „Berserker Bonn“ an. „Freiheitsliebend“ und anarchisch seien sie gewesen und er selbst sei „wertkonservativer Rebell“. Er nahm an Rudolf-Hess-Gedenkmärschen teil und prügelte sich mit Antifas.
Gejagter, nicht Jäger
1997/1998 verbrachte S. einige Zeit wegen Schlägereien hinter Gittern und konnte daher seine Malerlehre nicht abschliessen . Es hatte in den 90er Jahren in Bonn öfters Schlägereien zwischen der Antifa oder Migrantengruppen und Neonazis gegeben. Frank S sieht sich als Opfer, als von kriminellen „ausländischen Mitbürgern“ und der Antifa Gejagter.
Nach der Haftentlassung zog er nach Köln, wo er fünfzehn Jahre lang völlig unauffällig lebte. schlug sich mit Jobs als Malergeselle durch, bis er vor zwei Jahren endgültig arbeitslos wurde. Den Kontakt zu seinen Bonner Jugendfreunden habe er verloren, aus Zeitgründen, und weil ihn kaum jemand im Knast besucht habe, erklärt er. Er surfte viel im Internet. Zu seinen Kontakten in der Kölner Zeit will er sich nicht äußern, auch nicht zu seinen Freundinnen, die, wie er sagt, alle „linksextrem“ gewesen seien.
Dies widerspricht den Recherchen von Kölner Lokalmedien, dass Frank S. im Internet über rechte Webseiten gepostet habe und dass die Posts NACH seiner Verhaftung weitergegangen seien.