vonMonika Hübscher und Sophie Schmalenberger 25.07.2022

Deutsche Unruhe

Dieser Blog befasst sich aus wissenschaftlicher Sicht mit beunruhigenden Geschehnissen, Entwicklungen und Tendenzen in Deutschland.

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In Israel wird zur nächsten Knessetwahl am 1. November 2022 eine Partei namens “Alternativiah L’Israel” (Alternative für Israel) antreten – zumindest, wenn man den Aussagen von AfD-Mitglied Marcel Yaron Goldhammer Glauben schenkt. Bis zur Veröffentlichung dieses Blogs ist eine Partei mit dem Namen “Alternativiah L’Israel” noch nicht registriert. Laut israelischem Gesetz ist dies aber noch bis zum 1. September 2022 möglich.

Marcel Yaron Goldhammer kündigt die Gründung der “Alternativiah L’Israel” (Alternative für Israel) an. Screenshot von Goldhammers Facebookprofil.

Goldhammer, ein ehemaliges Mitglied der CDU und der Jungen Union, wechselte vor einiger Zeit zur AfD. Vom Verfassungsschutz wird die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet.  Wissenschaftler*innen attestieren ihr antisemitische, muslim*innen- und islamfeindliche, frauenfeindliche, rassistische, queerfeindliche und homophobe sowie verschwörungsideologische Tendenzen.

Bei der AfD ist Goldhammer gegenwärtig stellvertretender Vorsitzender der „Juden in der AfD“ (JAfD) und Pressesprecher der Alternative Homosexuelle (AHO). 2021 kandidierte er auf Platz sechs der Landesliste Berlin für die AfD Berlin Neukölln für ein Direktmandat, verpasste jedoch den Einzug in den Bundestag.

Trotz einer zumeist provokanten Selbstdarstellung ist Goldhammer in Deutschland jenseits der AfD und der AfD-nahestehenden Kreisen weitestgehend unbekannt und erfährt keine nennenswerte Medienaufmerksamkeit. Dahingegen veröffentlichte die Tageszeitung Israel HaYom anlässlich seiner Bundestagskandidatur ein Portrait über ihn. Israel HaYom ist eine in Israel weit verbreitete, kostenlose Zeitung, die unter Israelis als Sprachrohr von Ex-Premier Benjamin Netanjahu gilt und deswegen umgangssprachlich auch “Bibiton” genannt wird, eine Kombination aus den Wörtern Bibi (der Spitzname von Benjamin ben Netanjahu) und Iton, auf Hebräisch das Wort für Zeitung. Die Zeitung gehört der Familie des 2021 verstorbenen Milliardärs und Trump-Unterstützers Sheldon Adelson. Untersuchungen zu einer angeblichen Kooperation zwischen Adelson und Netanyahu sind Teil des laufenden Korruptionsprozesses gegen den ehemaligen israelischen Premierminister.

In dem Artikel der Israel HaYom vom Juni 2021 beschreibt sich Goldhammer selbst als Konvertit, IDF-Soldat und ehemaligen Mitarbeiter der IDF-Pressestelle in Jerusalem sowie als homosexuell. Seinen eigenen Worten zufolge kommt er aus einer deutschen Familie ohne „besondere Nazivergangenheit” (אין עבר נאצי מיוחד). Irritierenderweise umfasst diese „nicht besondere Nazivergangenheit“ Großeltern in der Hitlerjugend und Verwandte, die als „einfache Soldaten” (חיילים פשוטים) dienten, mindestens einer von ihnen an der Ostfront. Diese Selbstdarstellung, die die aktive Beteiligung von Goldhammers Familienmitgliedern am NS-Verbrecherstaat (Hitlerjugend) und an Völkermord und Kriegsverbrechen (einfache Soldaten, Ostfront) verharmlost, wird von der israelischen Tageszeitung unkritisch übernommen.

Verfasser des Artikels ist der israelische Journalist und Autor Eldad Beck, der auf Deutsch u.a. für die Jüdische Allgemeine geschrieben hat und Vorträge und Interviews für die Deutsch Israelische Gesellschaft sowie für Yad Vashem gegeben hat. Goldhammer und Beck kennen sich jedoch nicht nur von dem Interview für Israel HaYom, sondern saßen jüngst auch auf dem Podium des Forum Cafe Shapira. Laut der Webseite ist dieses Forum Teil des “Rechtsintellektuellen Haus Beit Ori” in Ramat Gan, Israel, (בית אוֹרי בית אינטלקטואלי לימין) und strebt die “Wiederherstellung von Logik und Zionismus im Diskurs” (להשבת ההיגיון והציונות לשיח) an. Goldhammer war hier Ende Juni 2022 Ehrengast bei der Buchvorstellung von Becks neuem Buch “Alternative – Neue Rechte für Deutschland”.

Ankündigung von Becks Buchvorstellung. Screenshot vom Twitterkanal „Juden in der AfD“ (@inJAfD).

Laut Informationen auf der Verlagswebseite impliziert Beck in seinem Buch, dass die (rechtsextreme) AfD keine ideologische Verbindung zum Nationalsozialismus hätte, attestiert ihr eine pro-israelische Haltung und stellt sie als wichtigen Akteur im Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland dar.

Diese Verbindungen zwischen Vertretern der AfD, rechten Akteur*innen in Israel und Unterstützern der globalen Neuen Rechten (oder Alt-Right) und ihre (ehemaligen) Kontakte zu etablierten Institutionen und Bildungseinrichtungen, ihre zunehmende Intensivierung und Institutionalisierung, sind äußerst beunruhigend.

Denn der Kitt dieser auf den ersten Blick paradoxen Allianz ist eine von antimuslimischem Rassismus geprägte Ideologie und ein Abwälzen von Antisemitismus auf Muslim*innen, welches antisemitische Einstellungen nicht in der (deutschen) Mehrheitsgesellschaft verortet, sondern diese als inhärente Eigenschaft von Muslim*innen darstellt. Dieses Abwälzen ist geschichtsrevisionistisch: Antisemitismus ist der deutschen Mehrheitsgesellschaft schon seit lange vor dem NS inhärent und keinesfalls durch Muslim*innen „importiert“. Diese Externalisierung von Antisemitismus durch die AfD knüpft an Mainstreamdiskurse in Deutschland an, in denen die deutsche Gesellschaft glaubt, antisemitische Einstellungen durch Erinnerungskultur und antisemitismuskritische Bildungsarbeit überwunden zu haben und sich daher als moralisch integer und vom Antisemitismus gereinigt imaginiert.

Angesichts dieser Beobachtung drängt sich auch die Frage auf, wie die AfD oder AfD-nahe Akteur*innen direkt und indirekt Debatten zum Thema Antisemitismus beeinflussen und entsprechende wissenschaftliche und öffentliche Diskurse unterwandern und mitprägen. So ist Goldhammer beispielsweise Mitglied der Gruppe “Gegen jeden Antisemitismus im Bildungswesen”, einer der größten Facebookgruppen gegen Antisemitismus, auf der sich Wissenschaftler*innen, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, Multiplikator*innen und Bildungsinstitutionen vernetzen.

Marcel Goldhammer ist Mitglied einer der größten deutschen Facebookgruppen gegen Antisemitismus. Screenshot aus der Facebookgruppe „Gegen jeden Antisemitismus im Bildungswesen“.

Wie sehr rechte, vermeintlich pro-israelische Positionen bereits Eingang in Diskussionen zum Thema Antisemitismus in Deutschland gefunden haben, zeigt sich auch an Hetzkampagnen gegen Jüdinnen*Juden. In jüngster Vergangenheit sind jüdische Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen aufgrund ihrer Abweichung von einer in Deutschland erwarteten Positionierung zur Politik der israelischen Regierung, oder ihrer Solidarität mit Muslim*innen und Palästinenser*innen, wiederholt und öffentlich (oft in den sozialen Medien) vor allem auch von deutschen, nicht-Jüdischen Menschen als „selbsthassende Juden”, „nicht wirkliche Juden”, „israelfeindlich”, antisemitisch und vieles mehr diffamiert worden. Wie Meron Mendel jüngst in der SZ erläuterte, lassen sich diese Narrative auf Vordenker der heutigen Siedlerbewegung in Israel zurückführen und dienen vor allem dazu, linke Jüdinnen*Juden als ‚unjüdische Verräter*innen des eigenen Volkes‘ darzustellen. Oft übernimmt der Verdachtsjournalismus in etablierten deutschen Medien diese Darstellung unkritisch und spricht dabei seinen Opfern ihr Jüdischsein nicht nur ab, sondern verschweigt es aktiv, um sie besser als Antisemit*innen präsentieren zu können.

Diese Beobachtungen sind alarmierend und man muss sich fragen: Wo und wie müssen antisemitismuskritische Akteur*innen und Bildungseinrichtungen, aber auch wir als  Antisemitismusforscher*innen, reflektieren und intervenieren, wenn neurechte Positionen anschlussfähig an die Positionen mancher antisemitismuskritischer Initiativen zu sein scheinen? Angesichts dieser Frage braucht es Strategien, um der neurechten Vereinnahmung von Antisemitismuskritik und antisemitismuskritischer Bildungsarbeit zu begegnen, sie zu verhindern und ihr entgegenzuwirken. Um diese zu entwickeln braucht es einen Diskurs, der sich nicht nur symbolisch von Positionen der AfD und anderer neurechter Akteur*innen abgrenzt, sondern vielfältige Perspektiven auf komplexe Probleme zulässt, ohne dass manche Positionen von vornherein als moralisch überlegen gelten, während andere als antisemitisch diffamiert und abgetan werden.

Hier noch ein Tipp: Falls Sie im antisemitismuskritischen Bereich tätig sind und nicht mit der Alternativiah L’Israel, Marcel Yaron Goldhammer oder der AfD in Verbindung stehen möchten, checken Sie in den sozialen Medien Ihre Kontaktlisten. Denn Goldhammer ist sehr bestrebt, sich auf diversen Plattformen mit Akteur*innen aus der Antisemitismusforschung und der antisemitismuskritischen Bildung sowie mit Jüdinnen*Juden (teilweise mit zentralen Rollen in der jüdischen Gemeinde) zu verbinden.

Screenshot einer Kontaktanfrage von Marcel Yaron Goldhammer auf LinkedIn.

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kommentare

  • Ich bin sehr dankbar, dass endlich ein Medium diese „paradoxe“ Allianz aufgreift. Aus Sicht einer Deutschland geborenen und lebenden queere Person of Color erlebe ich es regelmäßig, wie als muslimich gelesene Queers unsichtbar gemacht werden, pathologisiert, marginalisiert oder auf eine andere Art und Weise aus dem oben erwähnten Diskurs ausgeschlossen werden/ aus dem Weg geräumt werden.
    Auch habe ich es erlebt wie vor allem in der weißen schwulen Szene praktisch keinerlei Relfexion darüber statttfindet, wie rechte Akteur_innen den Nahostkonflikt als „Freifahrtschein“ für Rassismus (oft in der Form des anti-muslimischen Rassismuses und Orientalismuses, größenwahnsinnige Pauschalisierungen usw.) benutzen. Unter dem Deckmantel einer Identität wird sich erlaubt zu sagen/ zu behaupten/ zu diffarmieren wofür „man“ in der Mehrheitsgesellschaft sozial, ökonomisch und kulturell sehr schnell völlig im Abseits wäre (und dies auch zu Recht).

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