vondie verantwortlichen 27.08.2019

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Angenommen,  Sie fahren im Dunkeln mit dem Fahrrad gegen eine Bordsteinkante, die Folge ist ein Trümmerbruch der Hüfte. Ist der Unfall in Deutschland passiert, werden Sie innerhalb von Minuten in ein ganzes System von Institutionen hineingesaugt. PassantInnen kümmern sich,  die Feuerwehr bringt Sie in ein Krankenhaus, PflegerInnen und ÄrztInnen lagern Sie um, helfen Ihnen aufs Klo, röntgen und operieren. Aus dem autonomen Individuum, das so stolz seine Probleme allein meistert, wird ein bleischwerer, schmerzender Körper, ein unbeweglicher Bestandteil  der medizinischen Apparaturen. Die Formulare, mit denen Ihre Zustimmung erfragt wurde, haben Sie blind unterschrieben.

Vielleicht sind Sie dann in einem deutschen Krankenhaus mittlerer Größe gelandet, um die 3-400 Betten. Der Träger ist gemeinnützig, trotzdem  geben sich die MitarbeiterInnen einer Vielfalt spezialisierter Unterorganisationen und Firmen die Klinke in die Hand. Sie spiegeln, von der Küche bis zum Finanzcontrolling, von den Chefärzten bis zum Betten-Transportservice die Vielfalt der deutschen Gesellschaft wieder. Wird die Institution gut geleitet, ist dennoch so etwas wie ein gemeinsames Ziel spürbar: Es geht darum, Menschen beim Gesundwerden zu helfen. Die  Arbeit ist nicht immer einfach, manchmal auch unangenehm. Aber die Beteiligten fühlen sich gebraucht, sie sind stolz darauf und sie möchten es gut machen.

Wäre dieser Unfall ein paar Jahrzehnte früher passiert, hätte man sich darauf beschränkt, Sie mit Morphium zu versorgen. Für eine Operation wäre die Verletzung zu komplex gewesen. Dann hätten Lunge oder Herz irgendwann ihren Dienst eingestellt, und wenn nicht, hätten Sie im Rollstuhl gesessen. In anderen Teilen der Welt, wo die Mehrheit der Bevölkerung zuhause ist, würde es noch heute so gehen. Hier hingegen werden Sie nach einem Tag „mobilisiert“, nach ein paar Wochen können Sie ohne Krücken laufen.

Sie hätten also allen Grund, dieser Gesellschaft dankbar zu sein. Wildfremde Menschen haben Sie von der Straße aufgesammelt, auf der Sie hilflos lagen. Sie wurden in einem hochmodernen sozialen System wieder aufgerichtet, unabhängig von Einkommen, Familie, Herkunft. Sie waren unbeweglich, auf andere angewiesen. Jetzt können Sie Ihr Leben weiter führen.

Nur ist dieses gesellschftliche und historische Privileg längst so “normal”, dass es nicht mehr sichtbar ist. Wie passt Ihre Erfahrung zu dem, was sonst über diese Gesellschaft geredet wird? Oder haben Sie sich geirrt? Die selbstverständliche Übernahme von Verantwortung durch die Menschen vor Ort, die freundliche Atmosphäre in der Klinik, die erfolgreiche Operation – bedeutet das etwas?

Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung pünktlich zu Beginn des Sommerlochs den Medien mitteilte, braucht Deutschland dieses Krankenhaus nicht. Es ist, wie zwei Drittel der 1200 Krankenhäuser, in Wahrheit überflüssig. Fachärztinnen sollten möglichst viele gleichartige Fälle bearbeiten, deshalb müssen diese größeren Abteilungen zusammenlegt werden. Und weil in anderen OECD-Ländern, so rechnen die Experten  vor (Frauen gibt es weder unter den Autoren noch in dem die Studie begleitenden Board), die Menschen kürzer im Krankenhaus bleiben, sollten auch hierzulande  Krankenhausaufenthalte durch ambulante Dienste und häusliche Betreuung ersetzt werden. Die neue, anhand von 5 bis 6 Kriterien zentral geplante Krankenhauswelt käme dann mit 400 Krankenhäusern aus, 800 können geschlossen werden. Das Ergebnis sei dann  bessere Medizin, weniger Kosten, effizientere Ausnutzung des knappen Pflegepersonals.

In dieser Studie geht es nicht mehr um ein Netz von ziemlich gut funktionierenden Institutionen oder die Erfahrungen, die Menschen in ihnen machen. Stattdessen setzt sie ein weiteres Ausrufezeichen auf die unendliche Mängelliste, die in unserer Gesellschaft so viel schlechte Laune verbreitet.

Natürlich hätten die Experten am anderen Ende anfangen können. Bei der häuslichen Pflege, die so viele Menschen heillos überfordert. Bei dem katastrophalen Personalmangel und den Schwierigkeiten, Pflegeberufe attraktiv zu gestalten. Wie man es schaffen könnte, dass die ambulanten Diensten besser mit den Krankenhäusern zusammenarbeiten. Sie hätten Vorschläge zur Orientierung der PatientInnen machen können, die in vielen Krankenhäusern nicht verstehen, was wann mit ihnen geschehen soll.  Und wäre nicht auch die Veränderung der sozialen Beziehungen ein Thema, wenn zum Beispiel Kranke als Kunden behandelt werden? Gemeinnützige Träger kommen mit einer schwarzen Null zurecht, sie sind nicht gezwungen, ihre gesamte Organisation auf Gewinnerzielung auszurichten – private sehr wohl. Gewiss gibt es Kliniken, die besser arbeiten könnten, wenn man sie mit anderen zusammenlegte. Aber diese Frage kann nur konkret und demokratisch, in Kenntnis der lokalen Bedürfnisse und Wünsche, beantwortet werden.

Damit aus Reformvorschlägen reale Verbesserungen werden können, bedarf es eines Stoffes, der in unserer Gesellschaft Mangelware geworden ist: der gegenseitigen Wertschätzung. Das weiß natürlich auch die Bertelsmanns-Stiftung. In ihrer Studie findet sich davon nichts, sie ist ein radikaler Abrissplan, darauf ausgerichtet, den Streß im System zu erhöhen. Den für die Krankenhausplanung zuständigen Landesregierungen und Kommunalverwaltungen hilft das nicht. Offenbar geht es eher darum, die Verantwortlichen unter Druck zu setzen.

Der Trost für sie steht zwischen den Zeilen: Sollte den öffentlichen Trägern die Reformanstrengung zu groß werden, hilft gewiss gern ein privater Krankenhauskonzern.

 

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