vonWolfgang Koch 14.06.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Eine Herkunft zu haben bedeutet für Wien, über mehrere mögliche Versionen dieser Herkunft zu verfügen«, habe ich in der Einführung zur Kleinen Wiener Stadtgeschichte gesagt. Das Schwarze Wien war eine davon.

Dieses Kapitel handelt vom also Anschwärzen und vom Verdunkeln der Geschichte durch sieben Jahrhunderte. Verantwortlich dafür war die Familienclans der Babenberger und Habsburger.

Sicher, Wien war immer schon da! Längst vor Babenbergern und Habsburgern gab es einen Siedlung, gab es Häuser und Menschen, noch länger eine spezifische Fauna und Flora. Schürfte man nur kräftig in die Erdschichten hinein, dürfte man bald auf einen kleinen Wiedner Dinosaurier aus dem Mesozoikum stossen, oder auf Josefstädter Seelilien aus dem Palöozoikum. Irgendwann sind Riesenfarne aus dem Sumpf der Leopoldstadt geschossen und Ichthyostega-Lurche wurlten durch die Lobau.

Freilich, die Urzeit kratzt uns im digitalen Zeitalter so wenig wie Kelten und Römer, die Urhorde kann der Kleinen Wiener Stadtgeschichte so gestohlen bleiben wie Markomann und Quaden. Denn die Kindertage der Menschheit im Wiener Becken, von den Hüttenbewohnern über das Römerlager bis zur den hunnischen Reitern – die allerersten Anfänge sind der Entstehungszeit der dunklen, schwefelhaltigen Schichten im Erdinneren mit Sicherheit näher als uns.

Im Jahr 1030 wird Wien das erste Mal als befestigte Siedlung erwähnt (In einem niederaltaicher Bericht ist davon die Rede, dass Kaiser Konrad II. von den Ungarn im den Mauern von »Viennis« eingeschlossen wurde). Hundert Jahre später erwerben die Babenberger den auftrebenden Handelsplatz. Nun erst kann von einer »Stadt« und von einer »Metropole« die Rede sein, womit 20.000 Einwohner in ungefähr 1.000 Häusern gemeint sind.

Wir überspringen Vindobona und Vindoma, desgleichen Wenia, Wiene und Winiam, und wir kehren gleich ein in einem Viennis, das die Stürme von römischen Legionären und Barbarenvölkern hinter sich hat. Wien ist aus Ruinen erstanden und von 1156 bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts stets Residenzstadt und damit herrschaftlicher Mittelpunkt zuerst der babenbergischen und dann der habsburgischen Besitzungen. Stadttorre knarren, plumpe Hufe trotten durch den Gatsch zwischen gemauerten Häusern. Herzoge und Bürger ringen um Einfluss.

Das Stadtrecht von 1221 sichert den Stadtbewohnern zwei Privilegien gegenüber den Burgherren im Land: ein Zwischenhandelsmonopol auf den Ungarnhandel und das Stapelrecht für Waren. Beides ist nicht zu verachten. Denn wo gehandelt wird, kann man reich werden. Die oberste Gewalt hat ein vom Landesherrn ernannter Stadtrichter inne.

1236 nutzen die WienerInnen dann einen Zwist zwischen Kaiser und Landesherzog, um selbstbewusst in die hohe Politik einzugreifen. Im Jänner 1237 öffnet die Stadt ersterem der beiden ihre Tore und erlangt dafür den Rechtsstatus der Reichsunmittelbarkeit. Man will mit den Gebietshäuptlingen nichts mehr zu tun haben und direkt dem Kaiser unterstehen. Die Stadträte werden mit eigenen Rechten ausgestattet und benutzen sie kläglich – nämlich gegen die Juden.

Aber noch ist es viel zu früh für alles. Die freie Reichsstadt Wien bleibt Episode. Die beiden fürstlichen Gegner versöhnen sich, schliesslich gehört man der besseren Gesellschaft an, blaues Blut und Gottes Segen, man kennt das – während auf den Plätzen ein Geschrei und Gedränke herrscht, ein Tohuwabohu aus dem Gebrüll der Händler, dem Geschubse der Pilger, dem Gezetter der Bettler, dem Gewimmer der Allerärmsten. Es gibt herumziehende Gaukler, Barbiere, Hausierer – wenig Erhabenes, aber viele dunkle Ecken zwischen den Mauern.

Der Herzog belagerte die Stadt drei Jahre lang und danach ist es mit der reichsunmittelbaren Freiheit wieder vorbei. 1248 fällt der letzte Babenberger, und der städtefreundliche Böhmenkönigs Přemisl Ottokar II zieht ein. Als er in einer Entscheidungsschlacht 1278 auf dem Marchfeld erschlagen wird, ist der Familienclan der Habsburger an der Reihe. Denn, merke: »Eine Obrigkeit muss sein!«

Kapitulation: jetzt schlägt die erste schwarze Stunde.

Die neuen Herren über Leben und Tod werden fast sieben Jahrhunderte bleiben. In dieser langen russigen Nacht wird es Wien kein einziges Mal gelingen, seine selbstständige Stellung zurück zu erobern. Natürlich versuchen es die guten Leuten immer wieder. Es gibt Erhebungen, Revolten, Aufstände – doch deren Ergebnisse bleiben dürr. Minimale Mitspracherechte, Anhörungsrechte vor den Mächtigen erlangen nur Erbbürger, also Patrizierfamilien, die über Häuser verfügen, die sich konfiszieren lassen.

Ich verschone den Leser mit der Endloswurst der Erbstreitigkeiten, weil soviel ist schon klar: Die Menschen des Mittelalters gehören sich nirgendwo selber. Sie bleiben abhängig, und an diesem Verhältnis wird sich bis zur Neuzeit nichts mehr ändern. Die Obrigkeit weiss, was gut ist für alle. 1340 z.B. verlangt Herzog Albrecht II, dass Fischverkäufer weder Mantel noch Hut tragen durften, damit sie ihre Ware schneller zu verkaufen und der Fisch nicht stinkt bis hinauf in die Burgzimmer.

Zu den Habsburgern gesellen sich noch sechs weitere Plagen: Dürre, Heuschrecken, Missernten, Überschwemmungen, schweren Erdbeben und die Beulenpest. Kaum hat sich Wien von einem Schrecken erholt, geht ein anderer los.

1408 wird Bürgermeister Konrad Vorlauf mit seinen Parteigängern auf dem Schweinemarkt (Lobkowitzplatz) hingerichtet. Wie gesagt: Es gibt Aufstände, aber sie führen zu nichts. Das 15. ist auch das Jahrhundert der grausamsten Judenverfolgungen. Irgendwer, denken die Leute, muss schliesslich Schuld sein an ihrem Elend und ihrer Rechtslosigkeit…

Aus einem Konflikt zwischen Kaufleuten und Handwerken gehen die Kaufleute als Sieger hervor; sie behaupteten bis 1419 auch die Posten des Stadtchefs. 1462 wird Bürgermeister Wolfgang Holzer nach einem misslungenen Putsch gegen den Erzherzog gevierteilt, die Stadt kurz darauf Bischofssitz und Sankt Stephan zur Kathedrale.

Entspannung bringt das alles keine. Der Viehhändler Holzer, in der Literatur häufig als »politischer Hasadeur« beschrieben, lässt als Bürgermeister den Kaiser immerhin zwei Monate in der Burg belagern; er stolpert bald tödlich über eine Rochade. Die Wiener bleiben chancenlos gegen die Feudalherren.

© Wolfgang Koch 2007
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