vonWolfgang Koch 10.03.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Heroische Kapitulation oder pathetischer Pessimismus? Als Niederlage getarnte Aggression oder geschickte Bewahrung der Kräfte durch ein Ausweichmanöver? Der Knoten des elften März 1938 ist kompliziert und lässt sich für Historiker nur durch das Studium der aufeinanderfolgender Schlingen lösen.

Seit 1945 hält die sogenannte Opferthese den Spitzenplatz und den österreichichen Geschichtslügen. Sie besagt, die Ostmärker wären das erste Opfer der deutschen Aggressionspolitik gewesen. Gegen 21.00 Uhr, eine Stunde bevor am 11. März 1938 Bundespräsident MIKLAS den Hitler-Vasallen SEYSS-INQUART zum Bundeskanzler ernennt, halten die Nationalsozialisten alle Machtapparate in den Bundesländern in den Händen. Damit ist die simple Opferthese eindeutig widerlegt.

Im Schatten dieser bis zur kollektiven Ermüdung widerlegten These steht die Behauptung, Bundeskanzler SCHUSCHNIGG hätte eine Kapitulation herbeigeführt. Nach einem ratlosen Verzweiflungskampf sei er gegen Hitler unterlegen. Schuschnigg habe schweren Herzens vor der anrückenden Deutschen Wehrmacht resigniert, habe sich der aussichtlose Lage gefügt, usw. usf.

Abgesehen von der Frage, ob ein symbolischer militärischer Widerstand überhaupt statthaft sei (kein Soldat wird das je bejahen), und in der Folge der Frage, ob sich dadurch der Kriegseintritt von England und Frankreich beschleunigt und der Zweite Weltkrieg mit seiner Unzahl an Toten verkürzt hätte, abgesehen von dieser uchronischen Spekulation, darf man sich darüber wundern, dass Kurt Schuschnigg als Opfer in den Geschichtsbüchern Eingang gefunden hat.

Wir wissen, dass es nach Schuschniggs Rückkehr aus Innsbruck ein stundenlanges, erbittertes Ringen gegeben hat. An besagtem Freitag sitzt er in seinem Zimmer am Ballhausplatz. Um 11.30 Uhr wirft er Hitlers Lakaien, Seyß-Inquart und GLAISE-HORSTENAU, Verrat vor; diese geben es zu. Und der Innenminister erwidert: »Sie sind illegal geworden, Herr Bundeskanzler!« Schuschnigg springt auf und ruft: »Dann trete ich eben zurück!«, bevor er ins Nebenzimmer entschwindet.

Lässt sich die nationale Selbstaufgabe des autoritären Österreichs tatsächlich auf diese wegwerfende Geste des beleidigten Diktators reduzieren? Nein.

Zunächst weigert sich Bundespräsident Miklas ja das Angebot anzunehmen. Schuschnigg erkundigt sich bei Heeresinspektor SCHILHAVSKY, ob er schiessen lassen wolle oder nicht. Am Ende erteilt er dem General den Auftrag, die Grenztruppen zurückzunehmen, um direkte Zusammenstösse zu vermeiden.

Das Bundesministerium für Landesverteidigung hat an diesem Tag die Konsignierung der Truppen in den Kasernen der Garnisonen angeordnet. Um 19.15 Uhr erfolgt, laut Bericht des 4. österr. Divisionskommandos, die Weisung den einrückenden deutschen Truppen keinen Widerstand entgegenzusetzen.

Vierzehn Tagen davor hat Schuschnigg »Rot-weiss-rot bis in den Tod!« gerufen. Nun verbietet er befehlsmässig die bereits aktivierte Verteidigung den Divisions- und Brigadekommandanten. Die Staatsführung will, dass das Heer gegenüber dem deutschen Einmarsch stillhält. Bewaffneter Widerstand käme nun einer Befehlsverweigerung gleich, und darauf steht die Todestrafe. Das allein bedeutet die Preisgabe der österreichischen Selbstständigkeit.

32 Minuten später: Sendeunterbrechung im Radio. Schuschniggs pathetische Abschiedsrede aus dem Roten Salon. »Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis deutsches Blut zu vergiessen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, für den Fall, dass der Einmarsch durchgeführt wird, ohne wesentlichen Widerstand…«, Schuschnigg korregiert sich: »ohne Widerstand sich zurückzuziehen… Gott schütze Österreich!«

Die Korrektur schliesst jede Hintertür. Schuschniggs Bekräftigung zeigt an, dass ihm der Gedanke an einen symbolischen, gleichwohl mit einer sicheren Niederlage endenden Einsatz nicht fremd war.

Schweigen im Saal, Schluchzen. Rückzug ohne Widerstand. Nicht ein Kanonenschuss.

Gewiss hat Schuschnigg unter massivem Druck gehandelt – aber war das ein »erzwungener Willenakt«, wie es etwa die mexikanische Völkerbunddelegation sah? Nein, war es nicht. Der Diktator entschied sich frei für das Widerstandsverbot und wurde von seinem nationalsozialistischen Amtsnachfolger im Dienstwagen nach Hause gefahren; unterwegs riet ihm Seyß-Inquart, in der nahen italienische Mission am Rennweg Unterschlupf zu suchen.

Die Schlüsselfrage der neuen österreichischen Geschichte lautet darum, warum kapitulierte dieser Mann öffentlich, während er doch hinter den Kulissen kollaborierte? Das nationale Trauma wurzelt meiner Meinung nach heute nicht mehr im Massenjubel über Hitler, sondern in Schuschniggs Osmose zwischen Opfertum, heroischer Resignation und Verrat.

Hier war ein Täter am Werk, der sich als Opfer gerierte. Schuschniggs »Gott schütze…« war eine listige Verstellung, die verdecken sollte, dass er durch den österreichischen Mythos innerlich mit der deutschen Expansionsideologie verbunden war. Sein Neuösterreichertum hatte sich vom Universaltraum der Habsburger nie wirklich abgewandt. Seine Reichsvorstellungen waren unlösbar mit denen eines HITLERS oder ROSENBERGS verwandt, nur dass eben seine politische Praxis, mangels realer Machtpotentiale, auf kulturelles und religiöses Gebiet ausgewichen war.

Durch ein geistiges Rhizom mit dem Nationalsozialismus verbunden, leisteten die Vaterländischen über Jahre die ideele Vorarbeit für den Triumph Hitlers.

Soll das heissen, dass der »Ermordete« schuldig war? Ja und nein. Denn der »Ermordete« war ein Suicidant mit einem durchaus erkennbaren Motiv.

Wie bitte würden Sie von einen Bankdirektor nennen, der, bevor Gangster sein Institut überhaupt betreten, die eigenen Securitys fesselt? Einen Schuft. Was wurden sie von dem Mann halten, wenn er kurz darauf, die Pistole im Rücken, den verängstigten Kunden im Kassenraum erklärt, er weiche der Gewalt und trete als Direktor zurück, um jedes Blutvergiesen unter Geschäftsleuten zu vermeiden?

Eine tragische Figur? Ein melancholischer Zauderer? (Wie das die österreichischen Historiker 70 Jahre nach den Ereignissen tun) – Sicher nicht, wir würden den Herrn wegen Beihilfe zum Bankraub unter Anklage stellen.

Frontführer Schuschnigg exekutierte 1938 den stärksten Traum der katholischen Eliten: die Imitatio Christi. Um als politisches Opferlamm dazustehen, log er sich in die Rolle des Märtyrers hinein. Es war ein Passionsspiel, was da auf der politischen Bühne stattfand, und als solches ist es in seinen mentalen Wirkungen weit perfider als die simple These von Österreich als dem ersten Opfer.

Schuschnigg wich nicht der Gewalt, er blockierte jeden ernsthaften Widerstand mit einer Strafdrohung. »Rot-Weiß-Rot bis in den Tod« hiess realpolitisch: »Ein Volk, ein Reich, ein Führer!«

Es stimmt schon, dass Schuschnigg und Miklas Hitlers Plan eines völkerrechtlich legalen Anschlusses durchkreuzten. Aber sie raubten Österreich auch die Möglichkeit, eine Exilregierung zu bilden. Wie viele Staatsmänner der Zeit konnten sie nicht begreifen, dass der deutschnationale Diskurs nach 1918 ein Spiegelgefecht war. Schuschnigg ahnte wohl, dass er sein Widerstandsverbot bald vergessen sein würde und er als trauriger Messias des vaterländischen Antifaschismus in die Schulbücher eingehen würde.

1933/34 haben die katholischen Eliten haben das Land aus Angst vor dem Antichrist verraten. Die Ausschaltung der Linken hatte Österreich bereits zur Hälfte wehrlos gegen Hitler gemacht. Den Rest besorgten nun die Zugeständnisse 1938. Damit liess sich das grosse katholische Leidensideal verwirklichen.

Das Erstaunliche ist, dass sich diese Kollaboration bis heute als Wiege des österreichischen Nationalbewusstseins verkaufen lässt. Schuschnigg, so die Fama, sei zwar kein Demokrat, aber doch wenigstens ein glühender Patriot gewesen.

Die Wahrheit ist: Schuschnigg vollendete bloss die lange österreichische Tradition, sich selbst als Opfer der eigenen Aggression zu sehen.

© Wolfgang Koch 2008
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