vonWolfgang Koch 10.04.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Im März 1933 fordert Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg auf Einflüsterungen Musssolinis hin erstmals die Auflösung der Wiener Gemeindevertretung. In der sicheren Entferung von Innsbruck.

Gewalt liegt in der Luft. Seit 1928, zuletzt im Oktober 1932, hat die SP die Aufhebung des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von Juli 1917 verlangt. Ihre alten Kämpen wissen noch aus Monarchiezeiten, was mit dieses Sammlung von Gummiparapraphen alles angestellt werden kann. Vergebens.

Drei Tage nach einer Abstimmungspanne im Parlament spricht die Regierung von einer »Selbstausschaltung« der Volksvertretung, zwölf Tage später lässt sie gewählte Mandatare von der Polizei aus dem Hohen Haus schaffen. Das ist der 15. März 1933 und das politische Ende des Projektes Erste Republik Österreich.

Die Regierung verwandelt das Land in eine Diktatur, der Republikanische Schutzbund der Sozialdemokraten wird verboten. Wiens Bürgermeister Seitz antwortet hilflos: mit einem Verbot der Heimwehr auf Wienerischen Boden.

Vier Monate nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland und zwei Monate nach der Machtergreifung Dollfuss’ in Österreich streicht die Sozialdemokratie endlich die Anschlussforderung aus ihrem Programm. Zu spät.

Von nun an schreiten die Gewaltverhältnisse kontinuierlich voran. Am 27. Mai wird Wien die Einhebung der Bundesteuern entzogen, am 16. Juni der garantierte Mindestanspruch auf gemeinsame Abgaben. Am 27. Juni erfolgt ein weiterer hilfloser Widerstandsakt: Sozialdemokraten und Christlichsoziale erkennen gemeinsam den Nationalsozialisten deren Mandate ab – ein klarer Verfassungsbruch, der die Demokratie nicht vor der Diktatur und die Roten nicht vor dem Zorn der Schwarzen retten kann.

Denn die Austrodiktatur schnürt am 19. August – trotz des gemeinsamen Coups mit den Stadtroten gegen die Hakenkreuzler – per Notverordnung den Finanzfluss nach Wien ab. Was wird verordnet? Wien soll, um den Bund zu entlasten, für 1933 und 1934 auf einen Schlag 36 Mio. Schilling abliefern. Was verlogen »Lastenausgleich« genannt wird, um die Bundesbahn zu sanieren, entpricht real einem Viertel der gesamten Steuereinnahmen der Stadt.

»Was geht das Defizit der Bahnen das Wiener Rathaus an?«, rufen die Linken. »Das wäre doch gerade so, als ob man die Wiener Strassenbahnen vom Bund sanieren lassen wollte.«

Doch schon gähnt die Kasse leer. Das Regime stiehlt einfach die Steuergelder, die dem Gesetz nach eindeutig der Stadt Wien gehören.


© Wolfgang Koch 2008
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