vonWolfgang Koch 17.04.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Gewalt, Staatsgewalt, Gegengewalt. Anfang Februar 1934 warnt der aufrechte Christlichsoziale Leopold Kunschak, den die LeserInnen der Kleinen Wiener Stadtgeschichte schon aus dem Abschnitt 29 kennen: »Gebe Gott, dass die Wunden bald geheilt sein werden, ehe Volk und Land an Gräbern steht und weint.«

Doch die Provokationen im Bürgerkrieg gehen unvermindert weiter. Drohungen, Bomben, Waffenrazzien. Den Arbeitern von Linz steigt die Schamröte ins Gesicht. Drei Tage nach Kunschaks eindringlicher Warnung an die Streithähne bricht im oberösterreichischen Industriezentrum der offene Kampf los. Heer und Parteimilitär beschiessen Arbeiterwohnanlagen. Der Rest ist bekannt: Ausnahmezustand über Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, die Steiermark und Kärnten.

Nach Schätzungen kostet der Rumor bis zu 2.000 Tote.

Danach wird die SP verboten, ihre Köpfe können fliehen oder werden verhaftet, die mutigsten Mitglieder gehen in den Untergrund. Am Wiener Rathausplatz zieht, wie zu Kaisers Zeiten, ein Kommissär ein. Der gewählte Gemeinderat wird aufgelöst, und gleich auch noch der Verein Ernst Mach dazu.

Soviel Oktroi empört selbst das gute christdemokratische Gewissen: Kunschak weist den ihm angebotenen Vizebürgermeistersessel weit von sich.

Tapfer ist er, mit seiner Gegenstimme in einem Meer des Hasses. Denn was leistet die neue autoritäre Gemeindevertretung namens Wiener Bürgerschaft schon für die Menschen? Es ist eine berufsständisch zusammengesetzte Honoratorenversammlung; sie beschliesst so grandiose Reformen wie den Doppeladler wieder als amtliches Stadtwappen einzusetzen. Das »Breitner-System« der vielen Sondersteuern wird vorgeblich liquidiert, zu wesentlichen Teilen aber still beibehalten.

Auf den neuen Statthalterposten, den das politische Urgestein Kunschak ablehnt, rückt ein anderer: der sozialkatholischer Idealist und Schriftsteller Karl Ernst Winter. Er ist sich für die Kosmetik nicht zu schade. Und selbst dieser Opportunist mit stark monarchistischer Schlagseite wird im Oktober 1936 wegen übertriebener Menschenfreundlichkeit – man sagt: »bolschewistische Propaganda« – wieder aus dem Amt gehievt. So ist das in einer Diktatur.

Weil die Regimemänner überall in zupackenden Dimensionen denken, an grossen Plänen feilen und noch grösseren Ehrungen, erlebt der Grosswien-Plan eine Neuauflage. »Auf die Dauer«, schreibt ein Erwin Illz März 1937 im Neuen Wiener Journal, »geht es nicht an, wenn die Randgemeinden von Wien ohne Rücksicht auf die künftigen Verkehrsbedürfnisse und die Entwicklung der Grossstadt bauen und planen«.

Es weisen allerdings genügend Warner auf die finanzielle Belastung der Stadt hin. Und so bleibt es diesmal beim Plan. Die betroffenen niederösterreichischen Gemeinden sind stark verschuldet und die Industrieanlagen an der Südbahn katastrophal überaltet. Anstelle der Stadterweiterung beginnt die Austrodiktatur mit dem Bau der Höhenstrasse. Ziel: Die Wiener sollen rascher ins Gebirge gelangen.

© Wolfgang Koch 2008
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