vonWolfgang Koch 07.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die publizistische Auseinandersetzung mit den Motiven des norwegischen Terroristen will seit dem 22. Juli nicht mehr abreißen. Da ist gut so. Dabei fassen allerdings auch zunehmend mehr Unbedarfte das Unfassbare an und bringen, wie schon nach den islamistischen Selbstmordattentaten 2001, Gott & die Welt mit dem Ereignis in Verbindung.

Breivik als surrealistischer Künstler

In bewegten Zeiten scheint es geradezu unvermeidlich, dass sich auch Kulturredakteure auf den Politikseiten der Tagespresse zu Wort melden. So am 26. Juli Ronald Pohl im österreichischen Qualitätsblatt Der Standard. Nach flüchtiger Lektüre des Täterpamphlets befand der Autor, der auch als Theatermacher tätig, ist:

»Letztlich gründet Breiviks in die Wirklichkeit übersetzte Tötungsfantasie aber in einer Denkfigur der radikalen Moderne: Breivik, und das ist keine geringe Pointe, hat mit seinem insulären Schussmassaker die Haltung der Surrealisten rund um André Breton, übrigens einen begeisterten Marxisten, eingenommen: Setze einen gewalttätigen Akt, für den es weder Grund noch Zweck gib! Schieß mit dem Revolver blindlings in die Menge!«

Quelle: Zweites Manifest des Surrealismus, 1929

Knut Hamsun schoss aus dem Grab

Die Internationale Raoul Wallenberg Stiftung, benannt nach jenem schwedischen Diplomaten, der durch die Rettung ungarischer Juden weltweite Bekanntheit erlangt hat, erinnert uns an die Rehabilierung des Schriftstellers und Hitler-Bewunderers Knut Hamsun (1859-1952) durch die norwegische Regierung und das Königshaus vor zwei Jahren. Mit den offiziellen Feiern zum 150. Geburtstags des hochrangigen NS-Sympathisanten habe man das falsche Signal an Fanatiker ausgesandt.

Bereits in seinem Roman Mysterien (1892), so die Erklärung der Stiftung,  habe Hamsuns Held ja das Erscheinen eines Mannes herbeigesehnt, wie er nur einmal in tausend Jahren auftaucht, eines Kerls, der gedankenstark im Alleingang die bösartigsten und abscheulichsten Verbrechen begeht, und nicht bloß geringfügige Übertretungen. Johan Nils Nagel heißt dieser Scharlatan; ein pathologisches Phänomen, halb auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn; eine gespaltene Persönlichkeit, voller Inkonsequenzen und Widersprüche. – »Hat Breivik Hamsuns Bücher gelesen? Schwer zu sagen, aber auf jeden Fall hat er seine literarische Vorahnung wahr gemacht«.

Quelle: http://www.raoulwallenberg.net/news/norways-tragedy/

Political Correctness ist des Teufels

Der deutsche Kommunikationswissenschaftler und geprüfte PR-Berater G. Andreas Kämmerer verfasste für die Stadtverordnetenliste »Freie Wähler Frankfurt« eine aktuelle Analyse, nach der Breivik gegen die »Vakuumklammer« einer durch und durch asozialen Gesellschaft vorging:

»Demokratie kann es für Breivik aufgrund der Political Correctness im Ergebnis der öffentlichen Kommunikation nicht mehr geben und folgerichtig würde das undemokratische System seine Kritik an der Political Correctness verschweigen. Und ohne demokratische Meinungspluralität glaubte Breivik (der sein ganzes Leben lang in einer sozialistischen Gesellschaft lernte, dass das Soziale, die Gemeinschaft, wie ein Gott über allen Werten steht), jenen Boden unter den Füßen verloren zu haben, um sich erfolgreich gegen den demografischen Wandel und den Werte- und Kulturrelativismus auf demokratische Weise in Norwegen wehren zu können. Dermaßen als Individuum der sozialen Leitkultur beraubt, stellte sich für Breivik die Frage nach sozialem Handeln gänzlich anders: Das Unerklärbare, das unentschuldbare Grauen wird somit auf eine besondere Art nachvollziehbar. Die Asozialität seiner Tat war für Breivik nicht mehr ein Akt gegen die soziale Gemeinschaft; er wollte nicht der Gemeinschaft schaden, indem er sich ihr gegenüber asozial verhält … Asozialität gegen eine asoziale Gesellschaft, um das Soziale zu erzwingen, war seine Konklusion«

Quelle: http://freie-waehler-frankfurt.de/artikel/index.php?id=142

© Wolfgang Koch 2011

 

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