vonWolfgang Koch 09.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Nach den Schüssen auf wehrlose Jugendliche meldete sich Breivik telefonisch bei der anrückenden Polizei, um sich zu ergeben. Er tat das mit den Worten: »Breivik. Kommandant. Organisiert in der antikommunistischen Widerstandsbewegung gegen die Islamisierung. Operation ausgeführt, und will sich (der Spezialeinheit) Delta ergeben«.

Was hat es hier mit dem Antikommunismus auf sich? – Nun, der gebetmühlenartig wiederholte Grundgedanke der Bekennerschrift dieses Terroristen lautet, dass die politische Linke überall in Europa eine Unterdrückungsmaschinerie geschaffen habe, um allen bisher in Nationalstaaten getrennten Ethnien mittels einer muslimischer Massenmigration aus dem Süden das Lebenslicht auszublasen.

Haben wir es bei Breivik mit einem versprengten Soldaten des Kalten Krieges zu tun? Mit einer Art von historischem Nachfolger jener legendären japanischen Armeeangehörigen, die die Endschlachten des Zweiten Weltkriegs überlebt und dann jahrzehntelang auf einsamen Tropeninseln überdauert haben? Kurz: Ist der rechtsextreme Täter von Oslo und der Insel im Tyrifjord ein verirrtes geistiges Kind der gewaltförmigen globalen Pattstellung zwischen Ost und West?

Im Kalten Krieg, der zwischen 1945 und 1989 sehr verschieden temperierte Phasen durchlaufen hat, sahen sich die Menschen im Westen von dem Kommunismus bedroht, obwohl doch zwischen den Ideen eines Gramsci, Bucharin, Shdanow, Sinowjew, Humbert-Droz oder Sohn-Rethel Welten lagen, und obwohl die Parteiführer und Staatsoberhäupter Tito, Dubček, Hodscha, Gomulka und Ceaușescu auch in der Praxis bewiesen, dass die marxistische Ideologie an der Macht nie wie ein Monolith wirkte.

Ob man in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts anarchistischer oder sozialdemokratischer Antikommunist war, ob liberaler, konservativer oder rechtsmilitanter, das machte in der politischen Auseinandersetzung von Wahlbewegungen kaum einen Unterschied. Vielmehr schien die »Freie Welt« als Ganzes einem Feind mit tausend verschieden gestalteten Hydraköpfen in einer Abwehrschlacht gegenüber zu stehen.

1954 begannen die USA unter Außenminister John Foster Dulles zur Eindämmung des Kommunismus in Asien Militärpakte zu organisieren. Kreuzbrave Bürger erhoben in den USA, Japan und Westeuropa das Überleben im Atomkrieg zur einzigen Tugend. Die Selbstschutzaktivitäten der Survivalists und die Propaganda der extremen Rechten gingen fließend ineinander über. Der wesentlichste Bestandteil ihrer Ideologien waren Waffen.

Die Besonderheit am europäischen Festland: Hier pumpte die militante Rechte (»Neonazis«) den Antikommunismus in Namen der Freiheit vielerorts in Köpfe, die gerade erst eine jahrelange Indoktrination durch Faschisten hinter sich hatten.

Der »antikommunistische Widerstandskommandant« in Norwegen erinnert uns heute an diese fast schon vergessene Verkriegerung der Mentalitäten in den letzten Jahrzehnten. Und er innerint uns an die Tatsache,  dass der Weg zum neuen Selbstbewusstseins des Westens und zur politischer Gleichberechtigung in Europa durch eben diese Solidarität der politischen Kräfte im Antikommunismus führte, die nur dogmatische Marxisten-Leninisten ausschloss.

Im Rückblick erscheint heute die Epoche des Kalten Krieges meist wie ein »goldenes Zeitalter« des Friedens und Koexistenz. Vergessen all die moralischen Hysterien, die ständige Polarisierungen der öffentlichen Meinungen. Noch in den 1970er-Jahren sah man vielerorts in jeder kritischen Wortmeldung den feindlichen Übergriff eines »weltrevolutionären Prozesses« und eine Gefährdung von Besitz und Wohlstand.

Der Antikommunismus als Integrationsideologie spielte, gestützt auf die klare Ausgrenzung von UdSSR-Sympathisanten, Maoisten und anderen Sektierern in Wirtschaft und Öffentlichkeit, eine immens starke Rolle als Kitt und Disziplinierungsmittel bis zur Wende. Der Antikommunismus bildete in Verbindung mit dem materiellen Wohlstandsversprechen die wesentliche politische Legitimationsgrundlage unserer Gemeinwesen.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Umbau der Sattelitenstaaten zu nationalen Demokratien, verebbte auch der beherrschende Gedanke an eine Subversion des Kommunismus im Westen. Der 32jährige Breivik dürfte dieses hypnotische Gespenst als Kind noch gekannt und erfahren haben.

Und die heutigen Ideologen am rechten politischen Rand? Sie frischen die verbrauchte Klamotte der ideologischen Kriegsführung von einst, die Monstrosität eines welthistorischen Gedankens, den das Kollektiv vor 1989 ausgebrütet hat, nun mit dem krassen Feldgeschrei gegen die Andersgläubigen auf.

© Wolfgang Koch 2011

 

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