vonWolfgang Koch 22.04.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Eine alte Sufi-Tradition rät uns, nur zu sprechen, wenn es die Worte geschafft haben, vier Tore zu passieren. Am ersten Tor fragen wir uns: »Sind diese Worte wahr?« Wenn ja, dann lassen wir sie weiterziehen, falls nicht, wandern sie dorthin zurück, wo sie herkamen. Am zweiten Tor fragen wir: »Sind sie notwendig?«, am dritten Tor »Sind sie nützlich?«, und am vierten Tor schließlich: »Sind sie freundlich?« Lautet die Antwort irgendwo auf dieser Strecke nein, so soll das, was wir sagen wollen, ungesagt bleiben.

 

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Was sagt Ihnen das, wollte meine Lehrerin wissen?

 

»Erinnert mich an die bekannte Zen-Faustregel, dass man erst antworten soll, wenn man dreimal gefragt worden ist. Eine harte Nuss für Lehrer und für alle, die uns dringend etwas mitzuteilen haben, oder?«

 

LEHRERIN: Jedenfalls keine Pädagogik, die uns ihr Wissen mit Supermarktmethoden aufdrängt. Auch der Heilige Peregrinus, der Schutzheilige der Krebskranken, wurde dreimal abgewiesen, bevor er in den Orden der Servitenbrüder aufgenommen wurde…

 

ICH: Ja, aber mich stören diese ewigen Ratschläge:»Du sollst dies, du sollst das«. Das ganze Gebäude des Zen scheint mir ständig hin- und herzuschwanken zwischen einem Zuruhekommen, der Enthaltung, dem Unbeteiligtsein an der Welt auf der einen Seite und der Belehrung, wie ich den Zustand größerer Klarheit erreiche, auf der anderen Seite, wie ich mit meinem Ärger umgehen soll, wie mit Anspruchsdenken, usw. Unablässig wird mir durch Verhaltensratschläge eine Meinung aufgedrängt, was doch eigentlich vermieden werden soll.

 

LEHRERIN: Irrtum, hier liegt keine Meinung vor, nur ein praktischer Vorschlag. Der Vorschlag zu zögern, wenn ich etwas gefragt werde; der Vorschlag, mit einer Erwiderung zu warten. Das ist nicht die schlechteste Maßnahme, um voreilige Ratschläge zu verhindern. Viele von uns reagieren doch vorschnell.

 

ICH: Ich begreife. Und warum steht die Freundlichkeit unter den Toren des Sufi-Weges erst an letzter Stelle?

 

LEHRERIN: Weil uns nichts zu gesteigerten Freundlichkeit verpflichten kann, bevor wir die Wahrheit, die Notwendigkeit und den Nutzen einer Sache geprüft haben. Das ist durchaus mehr als eine Frage des guten Stils.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2012/04/22/wann-man-sprechen-und-wann-man-schweigen-soll/

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kommentare

  • Schade, dass die Ansichten darüber, was wahr, notwendig, nützlich und freundlich ist, so weit auseinander gehen! Was hilft es schon, wenn einer seine Worte durch vier Tore schickt, wenn andere Menschen völlig andere Zugänge haben?

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