vonWolfgang Koch 25.04.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Im indischen Bodha-Gaya, dem Ort, an dem der Buddha Erleuchtung gefunden hat, erzählt man sich folgende Geschichte:

 

Ein Brahmane stellte dem großen Meditierenden die Frage, wie es denn komme, dass zwar viele Menschen seine Lehre hörten, aber nur die wenigsten danach lebten. Die ironische Spitze gegen eine endlose Hinwendung nach Innen war nicht zu überhören. Auf die provokante Frage soll der gütige Shākyamuni dem Brahmanen geantwortet habe: »Du lebst doch in diesem Haus da an der großen Straßenkreuzung in Bodha-Gaya, nicht wahrr? Willst du uns ernsthaft erzählen, dass jeder, der sich bei dir nach dem Weg nach Rajagriha erkundigt, auch wirklich dorthin will?«

 

oo-ooOOOoo-oo

 

Was erkennen Sie aus dieser Geschichte, fragte mich meine Lehrerin.

 

»Sie missfällt mir«, antwortete ich, seitwärts sitzend, »weil wieder mal ein Brahmane der dumme August ist. Mich erinnert diese buddhistische Hochnäsigkeit gegenüber dem Hinduismus immer an die eingefleischten Vorurteile der Christen gegenüber den Juden. Sicher hat jedes heterodoxe Denken alles Recht der Welt zur Kritik der Orthodoxie, aber mich langweilt dieses historische Hickhack. Was gehen mich die Abgrenzungsängste der Geister vor 2000 Jahren an?«

 

LEHRERIN: Schauen Sie bitte genauer hin! … In dieser Geschichte treffen sich der Buddha und der Brahmane in einer Ortschaft auf dem Weg nach Rajagriha. Beide koexistieren für einen Augenblick ganz friedlich an einer Station ihres Unterwegsseins. Sie plaudern, sie tauschen sich aus. Schon das hat etwas Versöhnliches. Der historische Buddha war ja ein Hindu, kein Buddhist.

 

ICH: Wenn man das so sieht, könnte man auch noch ins Treffen führen, dass Buddha dem polemischen Gegner im Disput ja nicht in verkrampfter Beklommenheit antwortet, sondern mit einem Vergleich, den er aus dem Alltag des Brahmanen nimmt. Er geht überaus freundlich auf ihn ein. Er verwirft die Frage nach dem Erfolg seiner Lehre als vollkommen unnütz und signalisiert dem Mann zugleich menschliche Nähe. Keine Selbstverständlichkeit bei einem verbalen Schlagabtausch.

 

Wir schwiegen eine Weile. Dann formulierte ich neue Zweifel: »Aber redet der Buddha in dieser Geschichte nicht einer Minderheit von Übenden das Wort, einer Elite von besonders Bewussten, die allen anderen überlegen ist?«

 

Nein, erwiderte die Lehrerin und verzögerte ihre Antwort einen Moment. Nun redete sie mich wieder an:

 

Man braucht sich vor Hierarchien in mentalen Dingen nicht zu fürchten. Was man fürchten muss, das sind verknöcherter Dogmatismus und gerüstete Paranoia, was man ablehnen muss, das sind Glaubens- und Bekenntnisstolz sowie das Bündnis von Thron und Altar … Persönlich können wir immer von Leuten lernen, die weiter entwickelt sind als wir. Hast du erst einmal Zuflucht zu den Drei Juwelen genommen, so stellt sich eine halbwegs natürliche Sensibilität für die Qualität von Zuständen anderen ein. Diese Sensibilität zwingt einen, nach vorne und zurück zu schauen. Ich nehme eine rezeptive Haltung gegenüber den Menschen ein, die weiter auf dem Weg nach Rajagriha sind als ich selbst, und ich versuche denen zu helfen, die nach mir kommen. Das muss ganz frei und ungezwungen geschehen, ohne Pathos und Tiefsinns-Simulation, ohne eine Spur von Unterwürfigkeit oder Dominanz.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

 

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