vonWolfgang Koch 06.05.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Wenn sich das Rad der Buddha-Lehre immer weiter dreht, welche Drehung muss dann als häretisch und welche als gültig angesehen werden?«

 

Diese Frage wurde schon zu Lebzeiten des Buddha gestellt. Er gab Mahapajapati Gottami (Skrt. Gautama), seiner Tante und Ziehmutter, zugleich der ersten Frau, der er widerstrebend die Ordination als Nonne erlaubt hatte, folgenden Rat:

 

»Von welcher Lehre auch immer du feststellst, dass sie zur Leidenschaft und nicht zur Leidenschaftslosigkeit, zur Fessel und nicht zur Loslösung, zur Habsucht und nicht zur Genügsamkeit, führt, von solch einer Lehre kannst du mit Sicherheit bestätigen: Das ist nicht der Dhamma (Skrt. Dharma), das ist nicht der Vinaya (Ordensregeln), das ist nicht die Lehre des Meisters.«

 

oooOOOoOOOooo

 

Was sagt Ihnen das, fragte mich meine Lehrerin.

 

ICH: Der Buddha spricht in der dritten Person von sich. Das ist, wenn jemand seine eigenen Gedanken verteidigt, immer verdächtig, nicht wahr?

 

Sie blickte durch mich hindurch, als sei ich aus Glas. Ich wechselte das Thema:

 

»Müssen nicht die Ankurbler sämtlicher Welterklärungsräder voller Neid auf den Buddha zurückblicken? Keine Leidenschaft! Hätte ein Sokrates, ein Christus, ein Marx oder ein Sigmund Freud eine so einfache Formel gehabt, um die Abweichler von der reinen Lehre kenntlich zu machen, hätte sich die Menschheit einige Umwege erspart!«

 

LEHRERIN: Aus dem Gebot der Leidenschaftslosigkeit erwachsen dem Engagierten Buddhismus ernsthafte Probleme. Es ist ja nicht möglich, politisch zu handeln, ohne Partei zu ergreifen. Das Wort Partei geht auf das Lateinische pars zurück, das bedeutet Teil, und zwar nicht einen Teil, der für das Ganze steht. Es bedeutet, dass jede Meinung, jede Äußerung, jede Wahrheit nur einen Teil der Wahrheit hervorbringt. Dass sie notwendig einseitig ist. Wer sich politisch äußert, akzeptiert damit implizit schon, dass auch sein Gegner Recht haben könnte.

 

ICH: Wenn ich also eine Forderung aufstelle, muss ich mir vor Augen halten, dass ich nur zur Wahrheitsfindung beitragen kann. Ich besitze die Wahrheit nicht.

 

LEHRERIN: Genau, und dieses Als-ob-Handeln, mit all seinem leidenschaftlichen Pathos, das passt wirklich sehr schlecht zu den alles durchdringenden Wahrheiten Buddhas. Auf dem Buddha-Pfad werden nun mal keine relativen Wahrheiten verhandelt, hier wird das Streben nach der letztgültigen Wahrheit aufgeben.

 

ICH: Dass Politik und Buddhismus nicht zusammengehen, werden die tibetischen Selbstverbrenner nicht gerne hören. Und auch viele Buddhisten im Westen nicht.

 

LEHRERIN: Der Westen produziert seit dreihundert Jahren ein Missverständnis nach dem anderen. Im 18. Jahrhundert sammelte man Porzellan aus China und Japan, stellte Konfuzius an die Seite von Christus. Dann kamen Schopenhauer und Nietzsche, sie reduzierten Buddha auf einen Fatalisten und philosophischen Pessimisten.

 

ICH: Dann die Theosophen mit ihrem Welterlösungs-Tick, und die Atman-Suche ab den 1920er-Jahren, bei der Europäer in Indien nach einem neuen arischen Menschen fahndeten.

 

LEHRERIN: Lauter Fragezeichen! Es gab auch einen kurzen Flirt der Psychoanalyse mit dem Zen.

 

ICH: War das auch ein Missverständnis?

 

LEHRERIN: Nicht so ein großes wie die Politisierung der Lehre durch hochintelligente Menschen. Man muss die Dinge, mit denen wir im Inneren arbeiten, und die Dinge im Äußeren trennen. Man sollte die Praxisschulen der Meditation nicht in die Politik hineinziehen, jedenfalls, soweit es darum geht, in sozialen Konflikten Partei zu ergreifen.

 

ICH: Soll man sich zuerst ändern oder die Gesellschaft?

 

LEHRERIN: Die Frage ist keine gültige Wiedergabe des Problems. Wenn wir in uns hineinsehen, nehmen wir eine dem Leben zugrundeliegende Angst, einen Druck oder eine Nervosität wahr, die nichts oder wenig mit den äußeren Lebensumständen zu tun hat. Wir denken ständig über tausend Dinge nach, mit denen wir Schwierigkeiten haben. Dieses Nachdenken hat etwas zwangshaftes und ist in der Hälfte der Fälle gar nicht notwendig. Die meisten von uns verbringen den größten Teil ihres Tages mit dem Bewerten von Dingen, die für sie keine weitere Relevanz haben, weder heute noch morgen.

 

Ich bedankte mich für die Belehrung. Meine Frage erschien mir nun abstrakt und rhetorisch.

 

© Wolfgang Koch 2012

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  • Weltformel, Baustelle, Sinnsuche – das alles wäre nur dann nötig, wenn es einen tatsächlichen Sinn gäbe. Was aber, wenn der Sinn unseres Daseins nur darin liegt, Erfahrungen zu machen, emotionale Erlebnisse zu haben? Aus meiner Sicht spricht vieles dafür. Wahrheit oder Weisheit kann es nicht geben, da alles, was Du genau anschaust, sich ganz schnell ins Diffuse verklärt. Daher gibt es auch keine Wissenschaft.

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