vonWolfgang Koch 15.08.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Herausgeber der neuen Afrika-Anthologie will das tiefe »Wesen« des ganzen Kontinents erfassen, ein früheres Werk aus seiner Werkstatt trägt den bezeichnenden Titel Afrika als Weltreligion.

Verträgt Lyrik eine solche Behandlung? Lässt sich in einer globalisierten Gesellschaft nach dem Kontinentalcharakter fragen wie einst nach dem von Völkern und Nationen?

Was als wesenhaft afrikanisch gelten könnte, wird in den versammelten Gedichten selten direkt angesprochen. In einigen Fällen aber doch: * Ein ausgeweitetes System des Ausgleichs. * Dass der ganze Clan, die flexible Großfamilie, bei der Tür hereinstürmt und erwartet, dass die Hausfrau wohlwollend lächelt. * Mit der Kraft von Generationen zu lieben. * Naturkatastrophen. * Sich satt essen und dann weg zu schleichen. * Zaudern; denn vielleicht verliert die Ungeduld ja ihren Mut angesichts der eigenen Unschlüssigkeit. * Zuwarten, bis jemand nach einem fragt.

Über diese Selbstzuschreibungen hinaus müsste nach der Lektüre das Anklagen als ein übergreifendes Charakteristikum Afrikas angesehen werden. Die Poesie am Kontinent der Habenichtse erscheint wie eine einzige moralisierende Veranstaltung.

Neu ist das keineswegs. »Zu wem soll ich heute sprechen?« heisst es im einem Papyrus aus der 12. Dynastie des Mittleren Altägyptischen Reiches. »Die Brüder sind böse,/ Freunden kann man heute nicht mehr trauen…/ Zu wem soll ich heute sprechen?/ Es gibt keine Rechtschaffenen mehr,/ Das Land gehört denen die Böses tun.«

Diese Worte schrieb ein Autor vor ungefähr 3.800 Jahren unter der Sonne am Nil, als weder von Afrika, noch von Anthologien oder Lyrikstipendien die Rede war (Papyrus Berlin 3024). Seither ist viel Wasser ins Mittelmeer geflossen, der lebensnotwendige Pessimismus hat sich im Denken und Fühlen fest etabliert und hilft dabei Krisensituationen besser einzuschätzen und vorherzusagen.

Im Europa des 20. Jahrhunderts kam Bert Brecht zu einer anderen Einsicht. »Ein Mann«, unterstrich er zunächst noch einmal die Klage des anonymen Ägypters, »der etwas zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran«. Dem fügte er hinzu: »Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat«.

Haben uns die Autoren dieser Anthologie etwas zu sagen? In Ausnahmen, ja.

Das lyrische Ich einer darin vertretenen Ghanaerin behauptet im Namen aller schreibenden Kollegen: »Wir meistern das Sprechen«, – aber das ist keineswegs wahr, in zwei Dritteln der Fälle schwingen die afrikanischen Poeten bloß die Fäuste gegen die Weltgemeinschaft, geißelnd die ehemaligen Kolonialherren, bejammern unfreundliche Exilorte, usw. usf.

Nur ganz selten bildet das Überraschende oder das Unverständliche ein Fundament des Dichtens, ständig käuen die Autoren die Weltsicht von Verlierern wieder, singen für die eigene Exekution.

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»Ich wollte alles sagen und mich trotzdem verstecken«, begründet eine Autorin ihre Wahl der Gedichtform. Auch das scheint auf viele Kollegen zuzutreffen. Es erklärt vielleicht sogar, warum in dieser sozialpolitischen Lyrik so schmerzlich radikale Selbstentäusserungen fehlen, Ironie und Offenbarungsmomente des Alltags. Lyrik steigert gewiss das Selbstbewusstsein – doch grosso modo ist sie hier weder geistig wach noch erfinderisch.

»Ein guter Dichter ist zuerst einmal Humanist und nicht Afrikaner«, zitiert der Herausgeber zustimmend einen Schriftsteller aus dem Kongo. Das ist sicher gut gemeint; es legitimiert den Selbsterhaltungstrieb einer fragilen Kultur. Aber noch richtiger wäre es zu sagen: »Ein guter Dichter ist zuerst einmal kein schlechter Dichter; später reden wir über alles andere«.

Den gestrauchelte Dambudzo Marechera, er starb auf einer Parkbank, führte das antikoloniale Selbstbewusstsein soweit, dass er das Dichten selbst für eine afrikanische Existenzform hielt. Der Tod seines Vaters habe ihn gelehrt, betonte er, dass praktisch alles unwirklich sei. Als Dichter müsse er nun seine eigenen Beschreibungen der Wirklichkeit hineinweben in die vorhandene Fantasie, die wir Welt nennen. Er, Marechera, beschreibe und lebe seine Beschreibungen, und das sei, nach afrikanischer Lehre, verwandt mit Hexerei.

Diese Definition der Poesie als Wortmagie ist nicht so weit entfernt von Allen Ginsberg, der darauf bestand, dass Dichtung eine subjektive Wahrheit sei, die alle sofort als objektiv anerkennen, weil sie jemand tatsächlich verwirklich hat. Zwischen diese beiden Betrachtungen passt kein Blatt. Jeder zeitgemäße Lyriker wird eine Vereinnahmung der Hexenmethode durch Afrika bestreiten.

© Wolfgang Koch 2015

Al Imfeld (Hg.): Afrika im Gedicht, 586 Poeme auf 815 Seiten, zweisprachig abgedruckt, Offizin Verlag, Zürich 2015, ISBN 978-3-906276-03-8, EUR 60,-

Fotos: Autor und Marie Obermayr

 

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