vonWolfgang Koch 27.10.2015

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Am 26. Oktober feierte die Republik Österreich die Konstitution seiner völkerrechtlichen Neutralität. Das entsprechende, aus freien Stücken nach dem Abzug der alliierten Besatzungstruppen von einer Parlamentsmehrheit beschlossene Verfassungswerk gehört zu den elegantesten Gesetzesformulierungen, die sich in der zivilisierten Welt finden lassen:

(1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

(2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.

Mit diesen drei Sätzen wurde eine neue Epoche der österreichischen Geschichte eingeleitet. »Die Entscheidung, die wir heute treffen«, erklärte Staatskanzler Julius Raab am 26. Oktober 1955 vor dem Hohen Haus in Wien, »bindet nicht nur uns, sondern auch unsere Kinder und Kindeskinder«.

Dieses Vermächtnis war in den letzten Jahrzehnten keineswegs immer unumstritten. Die österreichische Regierung verfolgt gegenwärtig kaum mehr eine neutrale Außenpolitik; im aktuellen Ukrainekonflikt zum Beispiel trägt man völlig widerspruchslos die einseitigen Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland mit.

Auch von einer »Unverletzlichkeit des Staatsgebietes« wagt angesichts des nicht mehr abreißenden Flüchtlingsstroms aus den Krisengebieten des Nahen Ostens niemand mehr zu sprechen. Statt einen aktiven Grenzschutz zu leisten, organisiert das österreichische Bundesheer Catering- und Transportdienste für die Transitflüchtlinge nach Deutschland. Benötigte ein Schutzsuchender aus Syrien noch im Sommer etwa drei Wochen bis in sein Zielland Deutschland, so sind es seit der lückenlosen Verstaatlichung des Schleuserwesens von der EU-Außengrenze bis nach Bayern nur mehr drei Tage.

Hin- und hergerissen zwischen Willkommeneuphorie und Abwehrgesten hat sich die österreichische Gesellschaft heute mit der Neutralitätsmaxime ausgesöhnt. Überdeutlich erkennen wir, dass in Syrien genau einer jener unseligen Bündniskriege tobt, welche die Alpenrepublik in zwei Weltkriege gerissen hat.

Die Rede von einem »Stellvertreterkrieg« in Syrien ist vollkommen falsch. Jede der kämpfenden Bürgerkriegsparteien dort vertritt ihre ureigenen Interessen und ist mit einer Regionalmacht alliiert. Frieden kann in seiner solchen Konstellation nur mehr eintreten, wenn eine Regionalmacht ihren Bündnispartner verrät oder sich alle auf eine Teilung des Staatsgebietes einigen.

Zu Erinnerung: Es war zwar die Separation der Slowenen und Kroaten von Jugoslawien, die in den 1990er-Jahren zu den Balkankriegen geführt hat; aber es war dann auch die Teilung des Landes und seine Besetzung durch fremde Truppen, welche einen Frieden ermöglicht hat.

In Österreich ist heute endlich das Unbehagen am Kleinstaat verschwunden, die Faszination der großen Idee eines transnationalen Europas schrumpft auf jenes realistische Maß zurück, das ihm längst schon angemessen gewesen wäre: die Europäische Union als Ideal von akademischen Eliten mit ethischen Zusatzqualifikationen.

Wir sehen heute deutlich, dass die Idee Europas größer und bedeutende ist als die Idee einer Union europäischer Staaten, die letztlich nur die USA kopieren: also das Prinzip von Machtkonzentration durch Einheit, zentrales Kommando und soziale Homogenität.

Die Idee Europas ist ein eminent kultureller Gedanke, der Stärke durch Vielfalt und Heterogenität entfalten kann. In Europa hat Neutralität genauso ihren Platz wie der weltabgewandter Isolationismus oder sein Gegenteil, ein humanitärer Interventionismus; die Mitgliedschaft in einem militärischen oder in einem politischen Länderklub ist moralisch kaum mehr wert als das Abseitsstehen bei fremden Händeln.

Vermittlung ist der entscheidende Punkt, um Gewalt zu verhindern; und das flexible Zusammenwirken unterschiedlichster Konzepte in einer Sicherheitsarchitektur ein weiterer. Mehr wissen wir in Wahrheit nicht im Meinungsstreit über den Krieg und Frieden, auch wenn unsere universalistische Kultur des Geschwätzes täglich das Gegenteil behauptet.

Die Kriege und die Geschäftsbücher, sagte Karl Kraus, werden mit Gott geführt. Zu diesem Wort hatte seit hundert Jahren niemand mehr etwas Intelligentes hinzufügen.

© Wolfgang Koch 2015

Foto: Marie Obermayr, Angelobung am Heldenplatz

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