vonWolfgang Koch 05.09.2018

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Liebe ist bekanntlich der tiefste ästhetische Augenblick im Leben des Menschen, und Nitsch weist die Täuschung zurück, dass das Denken eine Form der Liebe sein könnte.

Seine erste Gattin, die mitochondriale Eva Krannich, überforderte er mit seinen Saufkumpanen; die zweite, Beate König, war der grösste Glückfall seines Lebens. Die Sozialanthroposophin aus Stuttgart verunfallte allerdings 1977, nachdem sie sechs Jahre zuvor das desolate Schloss Prinzendorf für ein geplantes Kinderheim erworben hat.

Aus seiner dritten Gefährtin, Christl König, wurde eine erfolgreiche Galeristin und Diskursvermittlerin für junge, experimentelle Positionen. 1986 trat die Rumänendeutsche Rita Leitenbohr als Generalmanagerin ins Schlafgemach. Unter den Gefährtinnen der Gefährten sind Schwarzkoglers Frau Edith Adam, die Kunsthistorikerin Evelyn Oswald und Teresa Carnevale, Präsidentin der Fondazione Morra, hervorzuheben.

Das Wilde Heer

Astrophysiker rechnen damit, dass Schwarze Löcher kosmische Verbindungsgänge zu Parallelwelten enthalten. Im Nitsch-Universum bilden die Mitarbeiter eine verborgene Dimension. Stark umgetriebene Zeitgenossen geben sich in den Aktionen als geduldige Akolythen, die in gleichschwebender Aufmerksamkeit zur Verdichtung des rituellen Geschehens beitragen, die brav auf ihren Einsatz als Träger oder Nacktmodelle warten, gefüllte Becher reichen, Abfälle entsorgen.

Das Wilde Heer führte in den Sixties die proaktiven Sexbombe Hanel Koeck an, ihr folgen die Multimediakünstler Heinz Cibulka und der Londoner Barrington De La Roche, The Knipper Kids, Regisseur Alfred Gulden, Katharina und Alfred Bieber, Igor Orovac, des Meisters Schatten aus dem Heiligen Wald von Bombarzo: Giuseppe Zevola, die heutigen deutschen Kunstprofessoren Vroni Schwegler und Michael Riedel, sowie die Wüstlinge des The Hell Fire Dining Club: Paul Renner und Paul Sakoilsky.

Keine Frage, zwischen den frühen Enthusiasten und dem nackten niederländischem Kuratorenduo Karlyn De Jongh and Sarah Gold 2010 in Neapel liegen Welten: aus Individuen, die ihre Würde in der Freiheit der Kunst spiegelten, wurden Lifestyle-Influenzer auf der Suche nach dem ultimativen Retro-Kick.

Die Liste der persönlichen Assistenten und Malhelfer verzeichnet Künstler, Handwerker und Kunsthistoriker: Jasmine Ban, Joseph »Fuzzi« Ortner, Christian Gargerle, der spätere Documenta-Leiter Roger M. Buergel, Hanno Millesi, »Erzengel« Frank Gassner, Andreas Stasta, Federico Vecchi, Carola Annoni. Der Schweizer Ugo Rondinone will mitten in einer Aktion sogar eine Ohrfeige vom Künstler bekommen haben.

Nicht zu vergessen die Dokumentaristen: Fotograf Ludwig Hoffenreich und wiederum Cibulka, 1965 der US-Avantgardefilmer Stan Brakhage, Kameramann Peter Kasperak, die Schweizer Regisseurin Daniela Ambrosoli und Filmarchivar Mario Franco.

Vom Ernst des Geldes

Künstlerviten sind kollektive Ereignisse, zusammengesetzt aus zahlreichen Fähigkeiten, zuvorderst der, für riskante Manöver Geld aufzustellen. Denn Schaffen ist Wollen, erst die Umsetzung Können.

Zu seinen Mäzenen zählt Nitsch die ersten beiden Ehefrauen, die ihn 15 Jahre lang als »Untergrundkünstler« finanziell ausgehalten haben. In den 1970ern sicherte der Wiener Kunsthändler und Szene-Wirt Kurt Kalb sein Überleben, es folgten der Industrielle und Palais-Jongleur Oskar Schmid, in Deutschland der für die grosse Mappenwerke verantwortliche Galerist Fred Jahn, bis dann 1972 Francesco Conz und 1974 der Neapolitaner Giuseppe Morra aus Italien die Atelierkasse zu füllen begann.

Morra, Dissident eines Camorra-Clans, las lieber Giordano Bruno als Giftmüll unter Gemüsefeldern und in Steinbrüchen zu verscharren. Er vernetzte sich in jungen Jahren mit den besten internationalen Künstlern und besitzt heute u.a. den Nachlass von Julian Beck, einem weiteren Theaterrevolutionärs des 20. Jahrhunderts.

Als letzter Feingeist trat vor einem Vierteljahrhundert der protestantische Baumarktketten-Gründer Karlheinz Essl in den Kreis der grosszügigen Spender. Nitsch hat für keines seiner Spiele je staatliche Kulturförderungen angenommen. Schon aus Prinzip nicht; Gratiskultur ist ja selten von künstlerischem Nutzen. Erst der Umstand, dass die Teilnehmer für den »Exzess der Sinne« kräftig in die Tasche greifen, involviert sie ernsthaft in das kosmische Geschehen.

Nicht wenige Galeristen erlernten mit Nitsch ihr Handwerk oder scheiterten an dem Beruf: 1963 der nachmalige Nitsch-Gegner und Satanismusforscher Josef Dvorak. 1966 beriet Oswald Oberhuber die Galerie nächst St. Stephan. Kalb, dem König des Wiener Bermudadreiecks, folgte ein Dutzend Kunsthändler in sechs Ländern, zuletzt Mamuz-Leiter Michael Karner und der britische Supercollector und Avantgarde-Förderer Charles Saatchi.

© Wolfgang Koch 2018

Fotos: 155. Aktion am 1. September 2018 im NMM, Bildrechte: Hermann Nitsch 2018, Aufnahmen: Wolfgang Kober, Team Niel, Reinhard Ehn.

 

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