vonWolfgang Koch 25.10.2018

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Was ist Krieg? »Der Vater und der König aller Dinge«, sagt Heraklit. »Was des Leibes wegen über Besitz von Geld und Gut entsteht«, lesen wir bei Sokrates. »Das letzte Mittel der Könige«, beschwört Pedro Calderón de la Barca im 17. Jahrhundert.

»Der gewaltigste Enthüller von politischen Wahrheiten und Wirklichkeiten«, meinte der k.u.k. Kriegsflüchtling Siegfried Flesch 1918. »Ein beispielloser Triumph der Naturwissenschaften«, erinnerte der englischer Philosoph Robin G. Collingwood.

Da sind wir nun schon im Zeitfenster des Zweiten Weltkrieges. »Nur eine Erfindung, keine biologische Notwendigkeit«, wusste im Jahr darauf Margaret Mead. »Ein blutiger und bewaffneter Kampf zwischen organisierten Gruppen«, erklärte Gaston Bouthoul. »Das Ergebnis davon, dass wir Schuld immer den anderen geben«, der Dichter Pablo Neruda. Und der Sozialdemokrat Willy Brandt nannte den Krieg am 11. Dezember 1971: »die Ultima Irratio«.

Was also ist der Krieg, bei so vielen angebotenen Antworten? »Eine allgemeine Ökonomie der Waffen«, lehrte Michel Foucault. »Kein Betriebsunfalls, sondern das Herzstück der Zivilisation«, äusserte Ulrich Horstmann vor 18 Jahren.

Ein Phänomen, viele Ansichten. Zuviele Ansichten. Am allerwenigsten aber überzeugt uns: »Die Dummheit der Menschheit« – die Antwort, die Anton Kern in der aktuellen Ausstellung des NHM zum Thema gibt. Der Direktor der Prähistorischen Abteilung des Hauses am Wiener Ring belegt seine These mit dem »Bestreben des Menschen nach immer besseren Waffen seit der Steinzeit«.

Nun »strebt« der Mensch auch seit der Steinzeit nicht von sich aus nach waffentechnologischem Fortschritt. Die verbesserten Destruktionsmittel ergeben sich jeweils aus der Notwendigkeit der Kampfzwecke, mit ihnen wehrt man den Angriff des Feindes am letzten technologischen Stand der Dinge ab.

Diese Überbietungslogik der Aufrüstung mag kurzsichtig und moralisch absurd erscheinen; speziell im Fall der atomarer Konfrontation, die ja das zu vernichten droht, was sie zu verteidigen vorgibt. Nur im Allgemeinen, da ist es fürwahr keine Dummheit, sich zu schützen, auch wenn man weiss, dass der Angreifer durch die getroffenen Massnahmen seinerseits raffinierter werden muss. Es ist mitnichten lächerlich, wenn zwei Parteien in die tödliche Spirale eintreten, aus der es für sie augenblicklich kein Entkommen gibt.

Denn erstens existieren ja durchaus mehrere mögliche Entkommen: der Sieg, der Waffenstillstand oder der Friede. Zweitens ist der Schutz von Leib, Leben und Gütern im menschlichen Zusammenleben nicht nur für ängstliche FPÖ-Wähler alternativlos; das Fähigkeit, unter Gewaltandrohung Sicherheit herzustellen, kann nur an Gewaltmonopole ausgelagert und möglichst demokratisch kontrolliert werden, zum Verschwinden bringt man die Gewaltverhältnisse nirgends. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, die Türen des NHM nächtens einmal unversperrt vorgefunden zu haben.

Es ist jetzt 41 Jahre her, dass der französische Ethnologe Pierre Clastres unter dem Titel Archéologie de la violence seine bahnbrechenden Studien zum Krieg in primitiven Gesellschaften veröffentlicht hat. Man muss seine spannende These, dass primitive Gesellschaften ethnozentrisch sein konnten, ohne ethnozidär zu sein, weil sie Gesellschaften ohne Staat waren, nicht teilen – aber die deutschen und österreichischen Anthropolgen nehmen den Gewaltdiskurs nicht einmal in ihren eigenen Fachgrenzen wahr.

Interdisziplinäres Arbeiten erstreckt sich in der Kriegsausstellung des NHM auf die Hilfsdienste von Forsensikern. Und entsprechend lahm zeigen sich die Ergebnisse in den Sälen an Knochen und Rüstungen, Grabbeigaben und Schlachtengemälden. Da helfen dann auch die Pulvereinsprengungen im Gesicht ein Munitionarbeiterin, gezeigt als Moulage, nichts mehr. Oder Schockfotos aus dem Vietnamkrieg. Wo die Kriegstheorie am Stand des christlichen Pazifismus verharrt, da dienen Gewaltbilder einer erregenden  Unterhaltung von Schulklassen. Mehr nicht.

Um das Phänomen Krieg zu fassen, arbeiten die österreichischen Anthropologen und Archäologen dieser Ausstellung mit dem Begriff der »kulturellen Evolution«, die angeblich auf sozialem Lernen basiert. Hiess die Ausstellung in Halle 2016 im Untertitel noch: »Eine logische Spurensuche«, tönt es in Wien nun: »Auf den Spuren einer Evolution«.

Mit der kulturellen Evolution verbinden die Ausstellungsmacher die Vorstellung, durch die Sesshaftwerdung habe die Entwicklung vom Werkzeug zur Waffe eingesetzt, aus Jägern und Sammlern seien schrittweise Ackerbauern geworden, unter denen sich dann eine Kriegerelite herausgebildet habe. Im Neolithikum war es noch nicht ganz soweit. Die 200 unbegrabenen Individuen von Asparn und Schletz sind vor 7.000 Jahren, wie in den Erzählungen der Bibel, mit Steinbeilen, Keulen und Flachhacken erschlagen worden. Man vermutet, die unter Vitamin- und Eisenmangel leidenden jungen Männer haben sich im Kampf um Ressourcen gegenseitig getötet und die Dörfer geplündert.

Erst in den Zwischenstromkulturen findet sich eine voll ausgebildete Kriegerelite. In den jüngeren Epochen der NHM-Schau werden dann abwechselnd zwei Kriegstheorien bedient. Entweder sieht man den Krieg als Mittel zur Beförderung kollektiver Interessen und als den Weg zu einem besseren Leben; oder man sucht seine Ursachen in irrationalen Trieben von der Art, die auch Einzelnen Gewaltverbrechen begehen lassen.

Das Naturhistorische scheint beide Ansichten gleichzeitig zu haben; es behauptet, der Krieg sei einerseits ein auf Gewinn gerichtetes Unternehmen, bei dem es um die Überlebensfähigkeit der beteiligten Gruppen geht, und er befriedigt andererseits tiefe »irrationale« psychologische Bedürfnisse. Dabei werden die sattsam bekannten Beispiele aus der tierischen Verhaltensforschung wiederholt und die Frage, welche Schlüsse auf den Menschen daraus zu ziehen sind. Man möchte wissen, ob Schimpansen Krieg führen und wie Tiere sich als Soldaten bewähren.

Man muss in solchen Fragen mehr als ein Kinderprogramm und die Sensations-Hascherei einer grossen Ausstellungsmaschinerie sehen! Hier werden nämlich veraltete Ansätze zur Erklärung des Kriegsphänomens als »enormer Fortschritt« der Wissenschaft in den letzten zwanzig Jahren verkauft.

Unter den 262 Definitionen des Krieges, die Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, gesammelt hat, wählt die Ausstellung den Kriegsbegriff des Luzerner Ethnologen Jürg Helbling als Arbeitshypothese: Krieg gilt ihm als eine bewusst geplante tribalen Aggression von erheblichem Ausmass. Damit wird a) Krieg in keiner seiner Dimensionen von einer bewaffneten Auseinandersetzung unterschieden und b) der Unterschied zwischen tribalen und modernen Gesellschaften absichtlich verwischt.

Die beteiligen Anthropologen und Archäologen ignorieren alle qualitativen Bestimmungen der Friedensforschung und der Militärwissenschaften, um den Krieg von bewaffneten Konflikten abzusetzen. Eine opferspezifische statistische Signifikanz mag ja ungerecht sein gegenüber dem 999. Toten, aber sie schärft eben den Blick auf den militärischen Organisationstypus, der die zentrale Voraussetzung zur Kriegsführung ist.

Jede echte Kriegergruppe wird seit jeher von einer grossen Zahl anderer Männer unterstützt, die Waffen und Logistik herstellen, sowie die ökonomische Grundlage der Armeehaltung sichern. Die Rüstungslogik der Waffentechnologie erzwingt eine Art gesellschaftliches Arrangement. Wie Barbara Ehrenreich vor zwanzig Jahren eindrücklich gezeigt hat, erzwingen die im Krieg eingesetzten Destruktionsmittel auch eine innere Repression und in der Folge eben sozial geschichtete Gesellschaften, in denen die einen sich der mühseligen Arbeit fügen, wenn sie von den anderen ab und zu durch die Drohung, sie umzubringen, bei der Stange gehalten werden.

Gut möglich, dass Ausstellungen der Komplexität des organisierten Tötens ohnehin nie gerecht werden können. Dann gebührt jedem Museum die Ehre, in einem neuen Anlauf zum Thema zu scheitern.

© Wolfgang Koch 2018

(Wird fortgesetzt)

Sonderschau »Krieg. Auf den Spuren einer Evolution« im Naturhistorischen Museum, 1010 Wien, Burgring 7. Täglich ausser Dienstag, bis 28. April 2019. Ermässigter Eintritt von 7,- Euro für Soldaten und Kriegsdienstverweigerer im Zivildienst.

Abbildungen: Forsensische Analyse eines Kopfschusses, LDA (Ausschnitt), Peeter Snayers: Schlachtfeld, 1632/42, KHM, Gemäldegalerie 1820

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