vonWolfgang Koch 24.09.2020

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Dezember 1985. — Sechs verdächtige Subjekte brechen zu weit vorgerückter Stunde in zwei Wagen auf in die Draustadt Villach. Die Lenker lassen sich Zeit, wählen Umwege, sie fürchten, der Kopf des Kommandos könnte es nur auf einen möglichst spektakulären Zusammenstoß mit der Polizei angelegt haben.

Vor Ort blinken gelbe Alarmlichter der Schneeräum-Kohorten. Ein Streifenwagen patrouilliert in den Häuserschluchten, und als er zum zweiten Mal verschwindet, werden Zehn-Liter-Eimer aus den Kofferräumen gewuchtet. Dann schreitet ein Menschenpaar in zweisamer Selbstermächtigung zur direkten Aktion, häuft feuerrotes Pulver aus den Kübeln auf tamburin-große Metallsiebe und lässt es unter tänzerischen Rüttelbewegungen sorgfältig zu Boden rieseln. Zuerst an der verkehrsabgewandten Seite des Gebäudes, im Halbdunkel einigermaßen vor den Blicken von Nachtschwärmern und Frühschichtlern geschützt.

Die weibliche Person streift schon nach einer Minute den Pelzmantel ab. Der männliche Aktivist, ohne Kopfbedeckung und in dunklem Anzug, zieht konzentriert die Begrenzungslinie einer etwa fahrbahnbreiten Aktionsfläche, auf der vor der genieteten Metallwand fingerdick Eis und Schneematsch liegen. Endlos lange rieselt der rote Staub zu Boden, Blitzlichter erhellen für Momente das heimliche Geschehen; bei jedem vorbeiziehenden Wagen halten alle Beteiligten gespannt die Luft an.

Nach fünf Minuten bleiben die ersten Passant*innen stehen: Morgenarbeiter und Betrunkene am Heimweg. Als das Rot am Boden ein beinahe gleichseitiges Rechteck von etwa zwölf Quadratmetern füllt, geben sich drei Schneeräumer am Zubringer zum Platz einen Ruck und beschließen, sich die Sache aus der Nähe anzusehen, die werkzeuglosen Hände ratlos im Parka vergraben. Gerade als sich ein Menschenauflauf abzuzeichnen beginnt, ist die Signalfarbe in den Eimern aufgebraucht.

Die Frau wirft sich den Pelz wieder über, der Hauptmissetäter schleudert das Sieb zur Seite, langt mit beiden Händen in die Sakkotaschen und streut, auf Zehenspitzen stehend, in weit ausholenden Gesten kleine Flug- zettel auf den gefärbten Schneeteppich. Der Mann korrigiert noch ein paar ungleichmäßige Pulverspuren mit dem Fuß im weißen Puma-Sneaker, vollführt ein Freudentänzchen, wobei er die Konfettibotschaften nun bündelweise in die Luft schleudert und übermütig vor der mitgebrachten Kamera posiert.

»Wir können stolz sein, etwas Richtiges getan zu haben«, sagt er zu seinem Tross, den diese Worte für einen Augenblick von innen wärmen. Man eilt zu den Fahrzeugen zurück, ruft einander noch verschwörerisch einen Treffpunkt in der anderen Stadt zu. In letzter Sekunde entlädt sich die aufgestaute Wut der gaffenden Schneeräumer über die erlangte Handlungsfähigkeit der Flüchtenden. Immerhin braucht es vier gestandene Kerle, um einen Bleistiftstummel in die Hand zu bekommen und ein Wiener Autokennzeichen zu notieren. »Verschwindts! Mir brauchn kane Ausländer!«

© Wolfgang Koch 2020

Abbildungen: Rogy in der Klagenfurter Vorstadt, © Heinz W. Schmid 1984. Viktor Rogy, Goldene Maske (Selbstportrait), Sammlung Grolitsch, © Wolfgang Koch 2019.

Präsentation der Künstlerbiographie in der Galerie Freihausgasse, Galerie der Stadt Villach, am 26.9. um 14.00 Uhr. Freihausgasse, 9500 Villach Tel.: +43(0)4242/205-3420 und/oder -3450

 

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