vonWolfgang Koch 04.05.2022

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Manchen ist der Tod gnädig. Der grossen österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner zum Beispiel blieb der Anblick der Kriegseuphorie im Sommer 1914 erspart. Sie verstarb wenige Wochen vor dem Kriegsausbruch. Eine ganze Menge von der tragischen Wucht des Gedankens, dass Serbien für die Ermordung des habsburgischen Thronfolgers militärisch gezüchtigt werden müsse, lässt sich heute in der moralischen Forderung nachspüren, dass es gut und richtig sei, der Ukraine in ihrem bewaffneten Kampf gegen die russische Militärintervention beizustehen.

Proteste gegen den Krieg unter einer nationalen Fahne sind allerdings nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Man glaubt es kaum, aber aus dem sicher richtigen humanitären Impuls, den Bruch des Interventionsverbot der UN-Charta durch Moskaus Armee anzuklagen, ist das Phantasma des gerechten Krieges wieder auferstanden, das zum Unglück der Menschheit weit mehr beigetragen hat als die Arbeit der Waffenschmieden.

»Das Wesen des Krieges besteht ja nur zum geringeren Teil in einem Gefühl der ständigen Todesgefahr«, warnte der russische Offizier Fedor Stepun 1929, »zum grösseren Teil aber in dem Fluch, am Prozess des gegenseitigen Mordens pflichtgemäss teilnehmen zu müssen«. Wer hätte gedacht, dass 77 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht noch einmal eine deutsche Aussenministerin den »Ruin« Russlands verlangen könnte? Wer, dass sich Gesellschaften, die penibel das jüdische Raubgut des NS-Regime restituieren, über Nacht russische Privatvermögen im Ausland einkassieren? Und wer in aller Welt hätte vor drei Monaten zu behaupten gewagt, dass die »Freiheit der Kunst« nicht auch die Freiheit, keine Meinung zu einem Krieg zu äussern, umfasst?

Das Exekutivkomitee der War Resisters’ International, die Internationale der Kriegsdienstgegner, hat die ukrainische Regierung schon am ersten Interventionstag aufgefordert, zivilen Widerstand zu proklamieren. Ein solcher hat 1968 gegen sowjetische Panzer in der Tschechoslowakei gezeigt, dass Gewaltlosigkeit nicht Passivität bedeutet. Und die systemsprengende Gewerkschaftsbewegung Solidarność hinderte im Polen der 1980er-Jahren damit erfolgreich die Macht, ihre Interessen gegen die Bevölkerung durchzusetzen.

Die Effizienz von Gewalt wird überschätzt. Für zivilen Widerstand ist es in der Ukraine leider unwiederbringlich zu spät. Wir sehen jetzt jeden Tag, wie die bewaffnete Verteidigung vor unseren Augen zerstört, was sie zu verteidigen vorgibt. Ganze Landstriche verwüstet, Millionen Menschen auf der Flucht.

Die Effizienz von Gewalt wird generell überschätzt. Statt den Totschlag durch Gegenwehr zu eskalieren und die Spirale der Gewalt immer weiter zu treiben, muss die internationale Gemeinschaft das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung radikalisieren. Gehorsamsverweigerer und Deserteure aus der russischen, der belarussischen und der ukrainischen Armeen sollen bevorzugt Asyl erhalten. Das Ausreiseverbot für Männer aus der Ukraine widerspricht überdies dem 4. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Haltung von Kriegsgegnern kann immer nur »Fight the Game, not the Player« sein. Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky hat noch vom Paradox gewusst, dass ein neutrales Land den um Unterstützung bittenden Freund enttäuschen muss. Die Vermittlungsaufgabe eines Neutralen verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn das diplomatische Dazwischenstehen durch andere Instrumente der Politik ersetzt wird.

Österreich sichert seine souveräne Existenz mittlerweile nicht mehr durch diesen Mehrwert für andere Staaten. Wirtschaftssanktionen hegen den Streit ja nur ein, wenn sie sich gleichmässig gegen beide Streitparteien richten. Wer Gewalt und Gegengewalt ablehnt, muss sich gegen Angst und Einäugigkeit immunisieren.

General Ludendorff, der Theoretiker des totales Krieges, hat 1935 verraten, dass das Wort »drohende Kriegsgefahr« die Volksseele im Ersten Weltkrieg viel mehr zu Sprechen brachte, als jeder Marschbefehl. Regiert erst einmal die Angst vor dem Dritten Weltkrieg, glaubt jeder, sich auf die richtige Seite stellen zu müssen. Und diese Fehldeutung schürt das Feuer immer weiter.

Friedensvermittelnde Neutralität heisst: sich auf niemanden verlassen, niemandem nachlaufen, Entrüstung isolieren, Schuldzuweisungen abstellen, unnachgiebig bleiben gegenüber der materiellen Übermacht. Frieden schaffen heisst: Zuversicht fassen in die politische Mittel und vorwurfsfrei die guten Dienste anbieten. Das ist kein leichter Job. Er geriert keine Follower.

Die Militärbündnisse denken im Muster von Rivalität, Aufrüstung und militärische Abschreckung. Das hatte nie eine lange Zukunft. Europa verkriegert sich gegenwärtig absolut sinnlos. Denn es war ja historisch nur eine Frage der Zeit, bis neue, undemokratische Akteure das Schema des »vorauseilenden Angriffs«, das die USA und ihre Verbündeten seit 2001 im Mittleren Osten praktizieren, kopieren würden.

Die militärischen Gewichte in der Weltpolitik lassen sich auch nicht einfach ausbalancieren. Alle Ideen eines militärischen Gleichgewicht der Kräfte in Europa haben sich historisch als falsch erwiesen.

Vor acht Jahren prophezeite der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew die »Iranisierung« seines Landes. Da wollte niemand in Ost und West hinhören. Jetzt lautet die unangenehme Wahrheit für alle: sämtliche klugen Überlegungen zur Weltlage und zur Energiesicherheit, ja selbst zu den Kriegsursachen sind für eine Schiesspause vollkommen ohne Belang. Um Feuerruhe zu schaffen, ist es völlig unerheblich, wer das Töten mit welchen Motiven begonnen hat. Um den »Kredit des Totschlags« zu beenden, braucht nur eine Pause befohlen zu werden. Sie allein führt zu einem international kontrollierten Waffenstillstand.

Egal, ob gerade dieser oder jener Präsident das Blutvergiessen kommandiert, ob nun eine Diktatur gegen die »liberalen Werte« steht oder das »Nato-Imperium des Hasses« von einer »multipolaren Weltordnung« abgelöst wird, ein Waffenstillstand muss her, und zwar noch in dem Zeitfenster, bevor die Ukraine mit Offensivwaffen die Russische Förderation zur Generalmobilmachung veranlasst.

Eine aufgewühlte Öffentlichkeit vermag im Krieg nichts! Friede entsteht allein durch die Überwindung der Kriegslogik von Freund und Feind.

Stop the war! Остановите войну!

© Wolfgang Koch 2022

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2022/05/04/die-waffen-nieder/

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kommentare

  • Herr Koch, jeden Schritt den Sie vor einem Diktator zurückweichen wird er Ihnen einen entgegenkommen um schließlich an Ihre Haustür zu klopfen um den “Friedensapostel” auf die Strasse zu zerren. Leider gibt es Zeiten in denen in Gewehre gestopfte Blumen nichts ausrichten. Hier ist maximaler Druck auf den Diktator zielführender, die einzige Sprache die er versteht.

  • @Thomas: Das tue auch ich jeden Tag, indem ich friedlich zur Arbeit erscheine und dort ohne schlechtes für die Welt zu tun – wie z.B. Waffen zu fordern, zu bauen, zu handeln oder solche gar zu benutzen – tatsächlich nachhaltige Leistungen erbringe, und der Gesundheit wegen selbst davon rechtzeitig wieder ablasse … ich finde das wertvoller und Sinn-stiftender als es zu übertreiben …

  • Das wäre wunderschön. Nur bleibt es ein Traum, solange auch der moderne Mensch den größten Teil seines Selbstbildes als Teil einer Gesellschaft aus Abgrenzung erschafft.

    Und wer ist bereit sein Leben zu schenken, um dem Gewalttätigen die Zeit zur Erkenntnis zu verschaffen?

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