vonWolfgang Koch 28.06.2022

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

 

Es gibt keinen zweiten Autor deutscher Zunge, der so unbarmherzig auf ein einziges Wort festgenagelt wird wie der heute 74jährige Schriftsteller Urs Allemann. Unschuldig an seinem modernen Christusschicksal ist der heute im deutschen Goslar lebende und schreibende Schweizer natürlich nicht. 1987 hat Allemann den betulichen Literaturbetrieb mit einem einzigen schmerzhaften Stich seiner Nadel von den Toten zu den Lebenden erweckt.

Das geschah beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, der damals noch eine durchaus welthaltige Veranstaltung war, bei der sich Autor- und Juror*innen koextensiv und ehrlich in die Augen schauten – nicht so wie bei dem soeben zu Ende gegangenen 46. Durchgang dieses Wettbewerbs, der den gesellschaftlichen Niedergang der Belletristik und der Lesekultur spiegelte wie der Wörthersee die Felswände der Karawankenkette.

Beim 46. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt vergaben Fernsehanstalten und Literaturfachmenschen fünf Preise unter den gerade mal 14 Teilnehmer*innen, also beinahe an die Hälfte der Eingeladenen, und das einstige Abenteuerfeld der Literatur wurde zu einer Wohlfühl-Blase zugerichtet, in der Juror*innen und Autor*innen durch die räumliche Trennung in Studiopodium und Gartenbühne einander nicht einmal mehr live ins Gesicht zu schauen brauchten.

Urs Allemanns Schreiben ist da aus einem ganz anderen Holz. Es gleicht bis heute einem Minengang; sein pluralistischer Perspektivismus hat in den vergangenen 35 Jahren nicht ein Jota an Spannkraft verloren. Auch in seinem jüngsten Werk – schmale 107 Seiten, die er in zehn Jahre aus seiner Produktion destilliert hat –, straft Allemann jene Interpreten der Lüge, die seine Texte in die Ecke des Nur-Experimentellen drängen wollen und behaupten, dass da einer bloss die Materialität von Sprache in den Vordergrund stelle.

Nein, so eindimensional gibt es Allemann nicht, so billig kriegt ihn die Literaturwissenschaft nicht in ihre Fänge. Der Altmeister der potentiellen Literatur hat sich für ein ganzes Dezenium das strenge Gebot auferlegt, jeden Text mit ein- und demselben Satz zu beginnen oder zu beenden. Und dieser Obersatz, eine knappe und dramatische Beichte, lautet: »Ich hatte den alten Carruthers mit dem Spaten niedergeschlagen«.

»Irgendwann«, lässt Allemann seinen Erzähler auf Seite 16 sagen, »ist dieser Satz in mich eingefallen«. Man denkt da gleich an eine befestigte Burg, deren Belagerer das Tor aufsprengen … an James Bond vor der Zentrale des schurkischen Dr. No. Doch genau genommen ist der Leitsatz des Textes nicht dem Erzähler in einem Irgendwo, sondern dem Autor bei der Lektüre des irischen Kult-Satirikers Flann O’Brien eingefallen. Noch genauer: dort hat er den Namen Carruthers aufgelesen, und Namen sind bekanntlich besondere Worte, besonders in Beziehung auf Satz, Gedanken, Bild, Träume.

»Durch den Namen ist die Bestimmung des Traumhaften möglich«, hat der Universalgelehrte und Lyriker Franz Baermann Steiner Anfang 1947 in seinem Journal notiert. »Der Name ist das unmittelbare Wort, das heisst das Nennen ist keine Mitteilung und als unmittelbares Wort wird seine Beziehung zum genannten Gegenstand durch kein Drittes erklärt«.

Das Besondere am Namen Carruthers liegt also in seiner Beziehung zum Gesamtbereich des Wortes, zum Gedanken und Satz. Äusserlich macht »Carruthers« die syntaktischen Eigentümlichkeiten der Worte mit, ist ein Substantiv und bestimmt sich als Satzteil. Doch vermag »Carruthers« sich nicht so weit auf die Syntax, auf das Im-Satz-Sein der Worte auszurichten, wie die anderen Worte. Der Satz hat Sinngestalt und teilt etwas mit, nämlich dass jemand bekennt, Carruthers mit dem Spaten erschlagen zu haben – doch das blosse Nennen des Namens ist ein anderes Prinzip als diese Mitteilung.

Der Name steht aus dem Satz heraus, wie die Pfeiler einer Brücke aus seichtem Wasser. Das Mitgeteilte geht vorbei, der Name aber bleibt. Steiner hat das so ausgedrückt: »Die Mitteilung braucht das Nennen ohne es zu verbrauchen; einmal genannt, ist der Name ein Mehr, das die Mitteilung in nicht aufnimmt – sie geht nur notgedrungen damit um«.

Man sieht schon: Wir landen bei Allemann weit weg Wechselkröten und Cargo-Kult, den diesjährigen Themen der Bachmann-Industrie. Dieser Autor hat keine Satire der Start-up-Szene verfasst und auch keine Mutterschaftsseele in die Welt hinausgeweint. Seine Literatur folgt der Bestimmung eines Für-die-Welt-Seins statt eines In-der-Welt-Seins. Allemann radikalisiert auf sehr unterhaltsame Art die Entwicklungsachsen seines Kompositionsplans, sein Erzähler verliert sich unterwegs und findet dann doch den richtigen Ton wieder in jener fundamentalen Auffaltung der Sprache, die den langen Atem des Lebendigen besitzt und jene impulsive elektrische Kraft, von der Klagenfurt seit Allemanns legendärem Eklat vergeblich träumt.

© Wolfgang Koch 2022

Foto: Bolle-Bovier 2021, Archiv Klever

Urs Allemann: Carruthers-Variationen, 107 Seiten, Klever Verlag: Wien 2022, 18,- EUR, ISBN 978-3-903110-78-6


Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2022/06/28/urs-allemann-hat-den-alten-carruthers-erschlagen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert