„Nichts los hier im Nahsehprogramm“, quengelt Leonie, 16, gerade. Mindestens fünf Minuten lang ist niemand mehr durch jene kleine Gasse Calle Buitrago in Marbellas Altstadt gelaufen, die man vom Esstisch in unserer neuen Wohnung so gut im Blick hat – vor allem, wenn man direkt vor dem Kamin sitzt.
Nach zwei Wochen mitten in der Altstadt bekommen wir langsam ein Gefühl für den Rhythmus der Gasse. Jeden Morgen gegen acht Uhr fegt die städtische Reinigungskraft hier entlang; eine gute Stunde später stellen die Jungs von der Churreria ihre Stühle raus, bald danach donnert der erste Fußball an das Gitter unseres Wohnzimmerfensters (in der Schulzeit hoffentlich erst später), und das alte Ehepaar von nebenan schlurft spazieren. Das Abendprogramm schließlich läutet David ein, wenn er sich gegen 21 Uhr zur Arbeit in seine Bar „Barbella“ begibt (Es kann gar nicht illegal sein, wenn ich ihn dort mit unseren minderjährigen Kindern besuche, weil David ja das Jugendschutzgesetz gar nicht kennt). Viele Menschen, die wir die Gasse entlang gehen sehen, schauen auch bei uns hinein, manche glotzen, manche winken – wenn uns danach ist, winken wir zurück, noch dabei, uns in unsere neue Rolle als Altstadtbewohner hineinzufinden.
Ja, es ist eigentlich nur ein Fenster zur Straße hinaus. Aber Menschen, die sich daran gewöhnt haben, ständig auf irgendwelche Bildschirme zwischen iPhone und Flatscreen-Größe zu schauen und dabei Menschen in aller Welt zu begegnen (natürlich hat sich Leonie auch nicht bei mir über das Nahsehprogramm beschwert, sondern bei Facebook), dürfen das Fenster auch gerne „Nahseher“ nennen – als Fenster zu jenem wirklichen Leben, das nicht nur in sichtbarer, sondern auch in greifbarer Nähe ist.
@Ferdinand: So schlank ist nicht einmal Leonie, dass sie sich zwischen den Gitterstäben vor dem Nahseher-Fenster hindurchzwängen könnte, um hinauszugehen. Aber zwei Meter rechts davon ist die Haustür…