vonzwiespalt 26.02.2021

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

Mehr über diesen Blog

Anmerkung 1: Eher Hobbes als Kant

Joe Bidens Beitrag der virtuellen Münchner Sicherheitskonferenz war heiß ersehnt und ist gut gelaufen. Zumindest aus europäischer und deutscher Regierungsperspektive wurden offenbar die Erwartungen und Hoffnungen an eine Annäherung mit den USA erfüllt. Wie Merkel sagte: es ist eine wichtige Übereinstimmung in Werten oder Prinzipien gegeben, auch wenn in Bezug auf Interessen Reibungen vorauszusehen sind.

Allerdings ist der Blick auf Prinzipien vielleicht doch nicht so unstrittig, wie Merkel suggeriert. Biden schlägt einen schärferen Ton gegen Russland und China an, als dies Trump getan hat, weil seine Rede systematische Punkte berührt und nicht einfach ein bisschen wütend ist. Als systematisches Problem kehrt hier die bereits aus der Obama-Administration – vor allem von H. Clinton – bekannte Position der Unvereinbarkeit der Werte wieder. Dabei ist Biden durchaus konsequent, wenn er eine Unvereinbarkeit auf Ebene der Staatsysteme betont, um daraus die Unverträglichkeit aller weiteren Beziehungen (z.B. wirtschaftlicher Art) abzuleiten. Es muss aber auch klar sein, dass er dabei nicht unbedingt ein Liberaler ist, da der Liberalismus seit je her auch auf die befriedende und kooperative Funktion des Handels gesetzt hat. Eine solche Unvereinbarkeit, wie sie Biden betont, hat beispielsweise Kant niemals behauptet. Vielmehr hat Bidens Wendung etwas von einem politischen Realismus, der die Bindungslosigkeit und Anarchie zwischen Staaten betont. Theoriegeschichtlich steht Biden damit näher bei Hobbes als bei Kant. Ob Merkel oder die europäischen Eliten diesen Weg nun mit Biden gehen oder nicht – auf jeden Fall wird eine Prinzipienentscheidung getroffen, die sich auf unterschiedliche Teile der Aufklärungsgeschichte bezieht. Damit ist jedenfalls viel weniger klar, als dies bei Merkel oder Teilen der europäischen Elite den Anschein hat, wie stark die transatlantische Korrespondenz Weg weisender Prinzipen bzw. ihrer politischen Implikationen tatsächlich ist oder sein sollte. Dass jedenfalls Biden Raum für strittige Entscheidungen und Machtpolitik eigener Interessen lässt, bleibt zu erwarten.

 

Anmerkung 2: Gläubige und Barbaren

Schließlich steckt in Bidens Rede die Unterscheidung von Gläubigen und Barbaren, die seit der Antike bekannt ist und mit der zuletzt Bush Jr. in die Schlacht gezogen ist. Im Grunde geht es um den Glauben an die Güte und den Vorrang der eigenen Weltsicht. Es ist komisch zu sehen, dass viele Leute, u.a. Akademiker, Spitzenpolitiker usw. bereit sind die Antike für ihre Ausgrenzung und Unterwerfung sogenannter Barbaren zu kritisieren, dieselbe Kritik dem römischen Verhältnis zum damaligen >Heidentum< entgegenbringen und schließlich die Anfänge der Neuzeit dafür verurteilen, die aufklärerische Selbstüberzeugung des zivilisierten Europas in die unzivilisierte Welt zu tragen. Wie verhält sich aber der selbstkritisch aufgeklärte und seiner historischen Fehler einsichtige >Westen< heute im internationalen Kontext? Ich denke die Schwierigkeit liegt offen zu tage, wenn man die häufige Gegenüberstellung von Demokratien und Autokratien bedenkt. Es gibt >für uns< immer noch Barbaren. Wir stellen die europäische Werte immer noch anderen Werten, Menschen, Gesellschaften und Staaten gegenüber und sind bereit, sogar fest entschlossen, das Gebot wirtschaftlicher oder auch physischer Gewalt umzusetzen – die meisten Menschen, die die >Festung Europa< für ihre mangelnde Aufnahme von Geflüchteten kritisiert haben, haben seltsamer Weise kein Problem damit, die tragende Unterscheidung von Gläubigen und Barbaren samt ihren gewaltvollen Implikationen in anderen, aber ähnlichen Bezügen zu verwenden. Auch heute glauben oder hoffen viele, dass wir höheres oder besseres Wissen besitzen, diese Unterscheidung zu treffen und dass wir dadurch legitimiert sind, klare Kante gegen die zu zeigen, die in oder außerhalb Europas nicht nach den Werten Europas leben. Ich habe das Gefühl, dass diese Entschlossenheit auch bei Biden neue Blüten treibt. Nicht zuletzt wurde Biden oft gelobt, dass ihn gerade diese Entschlossenheit von Trump unterscheidet, der ja die westlichen Werte >bekanntlich< mit Füssen getreten hat.

Das Problem ist nur, dass sich Ähnliches damals vermutlich die Griechen, die Römer, die aufgeklärten Geister, Feld- und Kolonialherren auch gedacht haben. Auch sie glaubten daran, höheres oder besseres Wissen zu besitzen und damit gegebenenfalls gegen die Barbaren ihres Zeitalters vorzugehen. Ich denke daher, dass sich in dieser Hinsicht eine Verbindung zur dominanten Position der westlichen Politik heute nicht ganz ausschließen lässt und dass es dagegen eigentlich nur eine Verteidigungsstrategie gibt. Man muss einfach darauf bestehen, dass die Begründungsfiguren (u.a. der Demokratie, der Menschenrechte, des gewaltvollen Kampfes um diese Rechte weltweit) heute tatsächlich universalisierbar sind, für alle gelten und mithin ungeachtet aller Umstände prioritär einzurichten sind – man muss dann freilich eine historische Einzigartigkeit oder sogar Einmaligkeit solcher Ansichten verteidigen. Ich bin sicher, dass diese Wendung verlockend klingt – auch für mich. Wie soll man nicht zuletzt den autoritären Terror anderer Staaten aushalten können, den man in Europa nach vielen beschwerlichen, historischen und intellektuellen Lernprozessen hinter sich gelassen hat? Trotzdem wird man, denke ich, die Gefahr und damit das Unbehagen nicht völlig los, in das eingespielte Verhältnis >der Gläubigen und Barbaren< zurückzufallen – der Gläubigen deshalb, weil schwer zu sehen ist, dass letzten Endes mehr als die Hoffnung oder der Glaube daran bleibt, mit unserem Verständnis und Handeln gegen die neuen Barbaren diesmal richtig zu liegen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/zwiespalt/biden-und-der-kurs-der-usa-biden-sicherheitskonferenz-demokratie-menschenrechte-kultur-barbaren-zivilisation-sicherheit-usa-china-russland-weltpolitik-europa-merkel/

aktuell auf taz.de

kommentare