vonzwiespalt 10.09.2021

Zwiespalt der Ordnungen

Von kleinen und großen Herrschaftsverhältnissen, von Zwickmühlen der Realpolitik und den Ambivalenzen ihrer Ordnungsgrundlage.

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Die Vereinten Nationen (kurz: UN) wurden 1945 von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges gegründet und damals, mit Blick auf die kriegerischen Ereignisse, vor allem als Friedensorganisation verstanden. Dabei ging es zunächst um ein Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt als Mittel der internationalen Politik – Normbrechern wurde ihrerseits mit Zwangsmaßnahmen gedroht. Man kann dabei von der Vorrangstellung eines >Souveränitätsprinzips< sprechen, das sich am Anspruch der äußeren Unantastbarkeit und inneren Selbstbestimmung von Staaten orientiert und also Eingriffe in ihre inneren Angelegenheiten verboten hat [Art. 2(7) UN-Charta]. Im Laufe der Zeit nun hat sich das Selbstverständnis der UN gewandelt – mit dem Konzept der >human security< wurde es neben Staaten auch auf einzelne Personen ausgedehnt und man kann sagen: es wurde durch eine veränderte Interpretationsweise der Norm hin zum Prinzip der >Schutzverantwortung< überlagert bzw. die Bestimmungen der Charta wurde durch den Bereich des Menschenrechtschutzes ergänzt.

Blickt man auf die Krisen- und Interventionspolitik der letzten 20 Jahre zurück, lässt sich der Paradigmenwechsel durchaus absehen. Zwar liegt in vielerlei Hinsicht ein gemischtes Bild vor – so sind politische Interventionen weder jedes Mal von der UN bewilligt noch von ihr durchgeführt worden – zumal ist es eine Sache der USA oder NATO gewesen. Darüber hinaus standen nicht immer die Menschenrechte im Vordergrund, wie unter anderem die gegenwärtige Diskussion um den Abzug aus Afghanistan und Joe Bidens Klarlegung des amerikanischen Standpunktes zeigen. Trotzdem wäre es nicht richtig, die generelle Wirksamkeit des Paradigmenwechsels zur humanitären Intervention in Zweifel zu ziehen. In der internationalen Politik zu Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen wurden (in unterschiedlichen Graden) immer auch Menschenrechtsaspekte stark gemacht und durch die Sicherung dieser Rechte die nationale Souveränität (die Legitimität der Herrschaft) in Frage gestellt. Ich glaube, man kann schon sagen, dass die internationale Politik der letzten zwanzig Jahre in Bezug auf diese Staaten sehr anders ausgesehen hätte, wenn das anfängliche Souveränitätsprinzip der UN in Kraft geblieben wäre.

Hier stellt sich dann aber die Frage, ob man die zeitgenössische Krisendiskussion um den Afghanistaneinsatz nicht weiter fassen sollte, als dies zurzeit noch geschieht (oder anders gesagt: ich glaube, dass diese Infragestellung ansteht). Nimmt man an, dass die humanitäre Interventionslogik die internationale Politik der letzten Jahrzehnte geprägt hat, kommt andererseits aber auf die Effekte und Ergebnisse der Interventionen zu sprechen, dann zeichnet sich mit Afghanistan, über Afghanistan hinaus, ein bestimmtes Bild ab: In keinem der benannten Länder (Afghanistan, Irak, Syrien und Libyen  – es gibt noch einige mehr) ist es auch nach vielen Jahren gelungen ein effektives Menschenrechtsregime zu etablieren, wohingegen die Initiative, das zu versuchen, von sehr viel Leid und Gewalt begleitet gewesen ist (mal schauen, wie es mit Libyen läuft – zumindest ist es auch dort sehr sehr holperig gewesen). Da den humanitären Interventionen also allenfalls ein nur sehr uneindeutiger Erfolg beschieden werden kann, wird in der nächsten Zeit wohl einiger Anlass bestehen, über eine Neufassung der Prinzipien und Möglichkeiten internationaler Politik nachzudenken.

Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass eine Rückkehr zum Paradigma der nationalen Souveränität im starken Sinne die Folge sein könnte – dafür ist der Anspruch im Westen mittlerer Weile in so vielen Hinsichten doch stark zurückgefahren, um ohne Weiteres an die Logik der 50ger Jahre anschließen zu können. Ebenso wenig ist denkbar, dass die globalisierte Menschenrechtsemphase aufgegeben wird, da es mitunter gerade sie gewesen ist, die das Staatensystem gewandelt hat. Was bleibt also übrig? Denkbar bleiben vielleicht strategische Versuche der Kooperation mit despotischen Regimen, Stabilität zu erhalten und parallel eine Ordnung des gerechten Rechts zu etablieren. In diese Richtung lassen sich bereits der US-Außenminister und Co beim Treffen auf der Basis Rammstein deuten, wenn sie sich darauf einigen, dass die Islamisten sich ihre internationale Anerkennung verdienen müssen – und dazu dann eben auch die Gelegenheit bekommen sollen. Freilich ist das keine ganz neue Strategie und bereits oft auch dafür kritisiert und abgestraft worden, despotische Regime mit Geld zu füttern.

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