Im Vorwort des Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015, schreiben Heino Stöver, Bernd Werse und Dirk Schäffer: „Der erste Alternative Sucht- und Drogenbericht, der 2014 von den drei Bundesverbänden akzept e.V., Deutsche AIDS-Hilfe und JES e.V. herausgegeben wurde, hat für eine enorme Aufmerksamkeit in den Medien und der Fachöffentlichkeit gesorgt. Damit wurde deutlich, dass die Öffentlichkeit ein starkes Interesse an einer realitätsnahen und integrativen Drogenpolitik hat und eine Politik ablehnt, die größtenteils auf dem Wunsch basiert, dass es bestimmte Drogen gar nicht gäbe sowie politisch überwiegend mit Verboten und Kriminalisierung der Konsument_innen reagiert. […] Es fehlt der Drogenpolitik der Bundesregierung an strategischen, innovativen und substanzübergreifenden Konzepten sowie konsistenten Aktionsplänen. […]
Daher ist der nun vorliegende zweite Alternative Drogen- und Suchtbericht weiterhin ein dringend notwendiges Instrument, um eine zusammenfassende Gegenöffentlichkeit gegenüber den offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung zu schaffen: Der Ausgangspunkt jeglicher Drogenpolitik muss der Konsument bzw. die Konsumentin sein und zwar in der Ausbalancierung mit den gesellschaftlichen Bedingungen. Ständig mit dem Drogenverbotshammer zu hantieren ist einerseits realitätsfremd (angesichts von Millionen von Menschen, die illegale Drogen konsumieren) und andererseits angesichts weltweiter, jahrelanger Reformbemühungen, Alternativen zur Repression zu schaffen, anachronistisch.
Das Drogenverbot ignoriert auch, dass es „Drogenkulturen“ gibt, die den Gebrauch illegalisierter Drogen integriert haben und einen Konsum weitgehend ohne schädigende Nebenwirkungen pflegen (z. B. mit Cannabis oder Kokain). Darin deutet sich an, dass wir bei der Drogenpolitik auf mündige Bürger_innen zählen sollten sowie auf eine Kontrollstrategie, die auf glaubhafte Information anstatt auf undifferenzierte (und im Übrigen ineffektive) Ablehnung setzt.“
Ein Bericht ohne Hanfszene
Obwohl es im Vorwort heißt, der Ausgangspunkt jeglicher Drogenpolitik müsse der Konsument bzw. die Konsumentin sein, kommt die Hanfszene in dem Bericht nicht vor. Bedeutende Organisationen und Institutionen wie der Deutsche Hanfverband (DHV), die Hanfparade, die Organisatoren der Global Marijuana Märsche oder das Hanf Museum werden in dem Bericht überhaupt nicht erwähnt. Ein großer Wissens- und Erfahrungspool wurde hier völlig übergangen. Die Redakteure des Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015 machen wohl lieber Politik für Menschen statt mit den Menschen.
Ein Bericht ohne alternative Medien
Fachzeitschriften, in denen man seit Jahren viel über Drogenkultur und Drogenpolitik lesen kann, wie zum Beispiel das Hanf Journal (einmal als Quelle angegeben), die Grow, die Soft Secrets, die Medijuana oder Lucy’s Rausch bleiben ebenso unerwähnt wie die Online-Medien für Psychonauten. Informationen über Kanäle wie Open Mind, Drug Education Agency (DEA), PSI-TV oder Tagesrausch sucht man vergeblich in dem Bericht, obwohl die ausführlich und differenziert zum Thema berichten.
Nur ein deutsches Partydrogenprojekt
Das Suchtpräventionsprojekt Mindzone wurde im März 1996 vom Landes-Caritasverband Bayern e.V. in Kooperation mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium gegründet. Anlass war der gestiegene Konsum verschiedener Designerdrogen unter Partygänger_innen. Diesem Projekt wurde ein ganzes Kapitel gewidmet. In dem Kapitel heißt es: „Zu den Entwicklungen im Projekt gehört aber auch das projektinterne Ringen um Positionen und Aussagen, die gerade in Bayern einen schweren Stand haben: z.B. Umgang mit Akzeptanz, Drogenmündigkeit, Legalisierung, Entkriminalisierung.“
Hier ein Lob an die Autoren Sonia Nunes, Johanna Kuban und Dirk Grimm vom Projekt Mindzone: In dem hier zitierten Satz kommt das Wort „Drogenmündigkeit“ vor – das einzige Mal in dem ganzen Bericht. Zum Vergleich: In der „Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission zur Verbesserung der Suchtprävention“, die im Juni 2002 von der Drogen- und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht wurde, tauchte dieser Begriff bereits 16 Mal auf.
Präventionsprojekte haben nicht nur in Bayern einen schweren Stand. So führten der Polizeipräsident der Stadt Leipzig, Horst Wawrzynski (CDU), und der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz (CDU) im Jahr 2011 eine regelrechte Kampagne gegen das Projekt Drugscouts wegen eines Flyers zu Polizeikontrollen. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sagte Bernd Merbitz u.a. zum besagten Faltblatt „Solche Flugblätter, wie man sich bei Polizeikontrollen verhalten sollte, empfinde ich als Kampfansage. Es bedeutet doch nichts anderes, als dass Leuten, die etwas strafbares getan haben, geholfen werden soll, sich gegen jene zu schützen, die für Recht und Ordnung sorgen. Ich halte das für äußerst kritisch. Wir müssen deshalb darüber nachdenken, und haben dies auch schon teilweise getan, ob dies überhaupt ein Projekt ist, das förderwürdig ist.“
Wahrlich, es ist schon äußerst befremdlich, wenn ein Landespolizeipräsident eine Aufklärung von Menschen über ihre gesetzlich verankerten Rechte als „Kampfansage“ empfindet. Jede Aufklärung von Menschen über ihre gesetzlich verankerten Rechte ist förderlich für den Rechtsstaat. Jeder Versuch, eine solche Aufklärung zu verhindern, ist eine Kampfansage an den Rechtsstaat. Der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz hat sich mit seiner Aussage als als Verfechter von Rechtsstaatlichkeit selbst diskreditiert.
Derzeit gibt es ein ähnliches Problem in Frankfurt am Main. Der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) polemisiert derzeit gegen das Alice Project, ein Präventionsprojekt in Frankfurt am Main, weil dieses einen Flyer herausgegeben hat mit dem Titel „Polizeikontrolle – was tun?“. Gemäß Grüttner werden in dem Flyer Tipps gegeben, wie man Beamten bei einer Durchsuchung das Leben schwer machen kann. Dabei handelt es sich auch bei diesem Flyer ausschließlich um rechtliche Aufklärung.
Stefan Grüttner war von 1991 bis 1995 hauptberuflicher Sozialdezernent der Stadt Offenbach am Main. Schon damals versuchte die CDU in Offenbach eine sachliche Aufklärung zu verhindern. Es ging um eine PartyDrogenBroschüre, die Helmut Ahrens 1994 für das Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft Frankfurter Diskothekenbesitzer veröffentlichte. Im von Peter Walter (Erster Kreisbeigeordneter des Kreises Offenbach, CDU) unterzeichneten Indizierungsantrag heißt es:
„Die Broschüre hat die Verherrlichung und Verharmlosung von Drogenkonsum zum Inhalt. Sie gibt eine Gebrauchsinformation zu den Partydrogen Ecstasy, Speed, LSD und Kokain. Es werden die Wirkungsweisen der einzelnen Drogen beschrieben. Die Schilderungen sind allgemein so, dass man die Beschreibung als Rezept betrachten kann. Für die jugendlichen Leser werden die Gefahren und Risiken des Drogenkonsums nicht ausreichend und deutlich genug herausgestellt. Vielmehr animiert die Broschüre eher dazu, die Drogen auszuprobieren, da sie den Eindruck vermittelt, dass durch den Drogengenuss nicht viel passiert.“
Am 1. Dezember 1994 wurde der Indizierungsantrag von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn zurückgewiesen (Pr. 319/94; Entscheidung Nr. 4452 vom 1.12.1994). Der Indizierungsantrag, der zwar vorgab, im Interesse junger drogengefährdeter Menschen zu handeln, aber lediglich den Staat als politischen Zensor einforderte, ist einstimmig bei der Anhörung am 1. Dezember 1994 in Bonn von der Bundesprüfstelle zurückgewiesen worden. Die Bundesprüfstelle konnte in der ihr zur Prüfung vorgelegten Broschüre keine Gefährdungspotentiale für Jugendliche erkennen.
Die Gründung des Vereins Eve & Rave im Oktober 1994 in Berlin war eine Folge dieses Indizierungsantrag und ging mit einer Politisierung von Party-Peers mit Drogenerfahrungen einher, die sich nicht durch Zensur und einseitige realitätsfremde Drogenaufklärung einschüchtern, respektive irreleiten lassen wollten. Und Eve & Rave Schweiz, nach dem Modell in Berlin im Februar 1996 gegründet, ist außer dem Projekt Mindzone das einzige PartyDrogenProjekt, dass im Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015 erwähnt wird.
Fazit
In dem Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015 werden alternative Projekte kaum bis gar nicht erwähnt. Deshalb erhielt dieser Beitrag den Titel „Semialternativer Drogenbericht“. Nichtsdestotrotz ist der Alternative Sucht- und Drogenberichts 2015 auf jeden Fall lesenswert, leistet er doch einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung in Sachen Drogenpolitik.
Es ist fast unglaublich, da wird der zweite alternative Drogen- und Suchtbericht von jes, akzept und dah veröffentlicht und wir, die für eine grundlegende Neuorientierung der Drogenpolitk in Deutschland und in Europa kämpfen, schaffen es nicht zusammenzustehen und uns vielleicht auch mal zu beglückwünschen.
Nicht das man einen solchen Bericht nicht kritisieren darf, wir laden sogar dazu ein und sind für neue Themen und Beiträge dankbar. Vielen Dank an dieser Stelle an meinen Kollegen Max, der auf die von dir Hans dargelegten Kritikpunkte reagierte. Hans, du weist es nur zu genau wie anstrengend der Kampf gegen Prohibition, Drogentod, Verfolgung und eine wissenschafts- und informationsresistente Drogenpolitik ist, die lieber auf ein „weiter so“ setzt anstatt mutig und innovativ zu reagieren. Ich sage dir ganz ehrlich, dass was wir am wenigsten für unserem Kampf gebrauchen können sind Nörgler und Besserwisser, die uns mit solchen Kommentaren wie diesem einen Bärendienst erweisen. Anstatt die Gemeinsamkeiten in den Fokus zu stellen, versuchts du krampfhaft das Haar in der Suppe zu finden. Hans es gibt ganze Bündel, die in der Suppe liegen wie z.B. 1000 Drogentote, die Tabuisierung von Drugchecking und Naloxon sowie das Verschweigen einer einzigartigen Initiative deutscher Strafrechtsprofs.