vonHans Cousto 19.05.2015

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

Mehr über diesen Blog

Im Vorwort des Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015, schreiben Heino Stöver, Bernd Werse und Dirk Schäffer: „Der erste Alternative Sucht- und Drogenbericht, der 2014 von den drei Bundesverbänden akzept e.V., Deutsche AIDS-Hilfe und JES e.V. herausgegeben wurde, hat für eine enorme Aufmerksamkeit in den Medien und der Fachöffentlichkeit gesorgt. Damit wurde deutlich, dass die Öffentlichkeit ein starkes Interesse an einer realitätsnahen und integrativen Drogenpolitik hat und eine Politik ablehnt, die größtenteils auf dem Wunsch basiert, dass es bestimmte Drogen gar nicht gäbe sowie politisch überwiegend mit Verboten und Kriminalisierung der Konsument_innen reagiert. […] Es fehlt der Drogenpolitik der Bundesregierung an strategischen, innovativen und substanzübergreifenden Konzepten sowie konsistenten Aktionsplänen. […]

Daher ist der nun vorliegende zweite Alternative Drogen- und Suchtbericht weiterhin ein dringend notwendiges Instrument, um eine zusammenfassende Gegenöffentlichkeit gegenüber den offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung zu schaffen: Der Ausgangspunkt jeglicher Drogenpolitik muss der Konsument bzw. die Konsumentin sein und zwar in der Ausbalancierung mit den gesellschaftlichen Bedingungen. Ständig mit dem Drogenverbotshammer zu hantieren ist einerseits realitätsfremd (angesichts von Millionen von Menschen, die illegale Drogen konsumieren) und andererseits angesichts weltweiter, jahrelanger Reformbemühungen, Alternativen zur Repression zu schaffen, anachronistisch.

Das Drogenverbot ignoriert auch, dass es „Drogenkulturen“ gibt, die den Gebrauch illegalisierter Drogen integriert haben und einen Konsum weitgehend ohne schädigende Nebenwirkungen pflegen (z. B. mit Cannabis oder Kokain). Darin deutet sich an, dass wir bei der Drogenpolitik auf mündige Bürger_innen zählen sollten sowie auf eine Kontrollstrategie, die auf glaubhafte Information anstatt auf undifferenzierte (und im Übrigen ineffektive) Ablehnung setzt.

Ein Bericht ohne Hanfszene

Obwohl es im Vorwort heißt, der Ausgangspunkt jeglicher Drogenpolitik müsse der Konsument bzw. die Konsumentin sein, kommt die Hanfszene in dem Bericht nicht vor. Bedeutende Organisationen und Institutionen wie der Deutsche Hanfverband (DHV), die Hanfparade, die Organisatoren der Global Marijuana Märsche oder das Hanf Museum werden in dem Bericht überhaupt nicht erwähnt. Ein großer Wissens- und Erfahrungspool wurde hier völlig übergangen. Die Redakteure des Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015 machen wohl lieber Politik für Menschen statt mit den Menschen.

Ein Bericht ohne alternative Medien

Fachzeitschriften, in denen man seit Jahren viel über Drogenkultur und Drogenpolitik lesen kann, wie zum Beispiel das Hanf Journal (einmal als Quelle angegeben), die Grow, die Soft Secrets, die Medijuana oder Lucy’s Rausch bleiben ebenso unerwähnt wie die Online-Medien für Psychonauten. Informationen über Kanäle wie Open Mind, Drug Education Agency (DEA), PSI-TV oder Tagesrausch sucht man vergeblich in dem Bericht, obwohl die ausführlich und differenziert zum Thema berichten.

Nur ein deutsches Partydrogenprojekt

Das Suchtpräventionsprojekt Mindzone wurde im März 1996 vom Landes-Caritasverband Bayern e.V. in Kooperation mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium gegründet. Anlass war der gestiegene Konsum verschiedener Designerdrogen unter Partygänger_innen. Diesem Projekt wurde ein ganzes Kapitel gewidmet. In dem Kapitel heißt es: „Zu den Entwicklungen im Projekt gehört aber auch das projektinterne Ringen um Positionen und Aussagen, die gerade in Bayern einen schweren Stand haben: z.B. Umgang mit Akzeptanz, Drogenmündigkeit, Legalisierung, Entkriminalisierung.

Hier ein Lob an die Autoren Sonia Nunes, Johanna Kuban und Dirk Grimm vom Projekt Mindzone: In dem hier zitierten Satz kommt das Wort „Drogenmündigkeit“ vor – das einzige Mal in dem ganzen Bericht. Zum Vergleich: In der „Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission zur Verbesserung der Suchtprävention“, die im Juni 2002 von der Drogen- und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht wurde, tauchte dieser Begriff bereits 16 Mal auf.

Präventionsprojekte haben nicht nur in Bayern einen schweren Stand. So führten der Polizeipräsident der Stadt Leipzig, Horst Wawrzynski (CDU), und der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz (CDU) im Jahr 2011 eine regelrechte Kampagne gegen das Projekt Drugscouts wegen eines Flyers zu Polizeikontrollen. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sagte Bernd Merbitz u.a. zum besagten Faltblatt „Solche Flugblätter, wie man sich bei Polizeikontrollen verhalten sollte, empfinde ich als Kampfansage. Es bedeutet doch nichts anderes, als dass Leuten, die etwas strafbares getan haben, geholfen werden soll, sich gegen jene zu schützen, die für Recht und Ordnung sorgen. Ich halte das für äußerst kritisch. Wir müssen deshalb darüber nachdenken, und haben dies auch schon teilweise getan, ob dies überhaupt ein Projekt ist, das förderwürdig ist.

Wahrlich, es ist schon äußerst befremdlich, wenn ein Landespolizeipräsident eine Aufklärung von Menschen über ihre gesetzlich verankerten Rechte als „Kampfansage“ empfindet. Jede Aufklärung von Menschen über ihre gesetzlich verankerten Rechte ist förderlich für den Rechtsstaat. Jeder Versuch, eine solche Aufklärung zu verhindern, ist eine Kampfansage an den Rechtsstaat. Der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz hat sich mit seiner Aussage als als Verfechter von Rechtsstaatlichkeit selbst diskreditiert.

Derzeit gibt es ein ähnliches Problem in Frankfurt am Main. Der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) polemisiert derzeit gegen das Alice Project, ein Präventionsprojekt in Frankfurt am Main, weil dieses einen Flyer herausgegeben hat mit dem Titel „Polizeikontrolle – was tun?“. Gemäß Grüttner werden in dem Flyer Tipps gegeben, wie man Beamten bei einer Durchsuchung das Leben schwer machen kann. Dabei handelt es sich auch bei diesem Flyer ausschließlich um rechtliche Aufklärung.

Stefan Grüttner war von 1991 bis 1995 hauptberuflicher Sozialdezernent der Stadt Offenbach am Main. Schon damals versuchte die CDU in Offenbach eine sachliche Aufklärung zu verhindern. Es ging um eine PartyDrogenBroschüre, die Helmut Ahrens 1994  für das Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Interessengemeinschaft Frankfurter Diskothekenbesitzer veröffentlichte.  Im von Peter Walter (Erster Kreisbeigeordneter des Kreises Offenbach, CDU) unterzeichneten Indizierungsantrag heißt es:

Die Broschüre hat die Verherrlichung und Verharmlosung von Drogenkonsum zum Inhalt. Sie gibt eine Gebrauchsinformation zu den Partydrogen Ecstasy, Speed, LSD und Kokain. Es werden die Wirkungsweisen der einzelnen Drogen beschrieben. Die Schilderungen sind allgemein so, dass man die Beschreibung als Rezept betrachten kann. Für die jugendlichen Leser werden die Gefahren und Risiken des Drogenkonsums nicht ausreichend und deutlich genug herausgestellt. Vielmehr animiert die Broschüre eher dazu, die Drogen auszuprobieren, da sie den Eindruck vermittelt, dass durch den Drogengenuss nicht viel passiert.

Am 1. Dezember 1994 wurde der Indizierungsantrag von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn zurückgewiesen (Pr. 319/94; Entscheidung Nr. 4452 vom 1.12.1994). Der Indizierungsantrag, der zwar vorgab, im Interesse junger drogengefährdeter Menschen zu handeln, aber lediglich den Staat als politischen Zensor einforderte, ist einstimmig bei der Anhörung am 1. Dezember 1994 in Bonn von der Bundesprüfstelle zurückgewiesen worden. Die Bundesprüfstelle konnte in der ihr zur Prüfung vorgelegten Broschüre keine Gefährdungspotentiale für Jugendliche erkennen.

Die Gründung des Vereins Eve & Rave im Oktober 1994 in Berlin war eine Folge dieses Indizierungsantrag und ging mit einer Politisierung von Party-Peers mit Drogenerfahrungen einher, die sich nicht durch Zensur und einseitige realitätsfremde Drogenaufklärung einschüchtern, respektive irreleiten lassen wollten. Und Eve & Rave Schweiz, nach dem Modell in Berlin im Februar 1996 gegründet, ist außer dem Projekt Mindzone das einzige PartyDrogenProjekt, dass im Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015 erwähnt wird.

Fazit

In dem Alternativen Sucht- und Drogenberichts 2015 werden alternative Projekte kaum bis gar nicht erwähnt. Deshalb erhielt dieser Beitrag den Titel „Semialternativer Drogenbericht“. Nichtsdestotrotz ist der Alternative Sucht- und Drogenberichts 2015 auf jeden Fall lesenswert, leistet er doch einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung in Sachen Drogenpolitik.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/drogerie/2015/05/19/semialternativer-drogenbericht/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Es ist fast unglaublich, da wird der zweite alternative Drogen- und Suchtbericht von jes, akzept und dah veröffentlicht und wir, die für eine grundlegende Neuorientierung der Drogenpolitk in Deutschland und in Europa kämpfen, schaffen es nicht zusammenzustehen und uns vielleicht auch mal zu beglückwünschen.

    Nicht das man einen solchen Bericht nicht kritisieren darf, wir laden sogar dazu ein und sind für neue Themen und Beiträge dankbar. Vielen Dank an dieser Stelle an meinen Kollegen Max, der auf die von dir Hans dargelegten Kritikpunkte reagierte. Hans, du weist es nur zu genau wie anstrengend der Kampf gegen Prohibition, Drogentod, Verfolgung und eine wissenschafts- und informationsresistente Drogenpolitik ist, die lieber auf ein “weiter so” setzt anstatt mutig und innovativ zu reagieren. Ich sage dir ganz ehrlich, dass was wir am wenigsten für unserem Kampf gebrauchen können sind Nörgler und Besserwisser, die uns mit solchen Kommentaren wie diesem einen Bärendienst erweisen. Anstatt die Gemeinsamkeiten in den Fokus zu stellen, versuchts du krampfhaft das Haar in der Suppe zu finden. Hans es gibt ganze Bündel, die in der Suppe liegen wie z.B. 1000 Drogentote, die Tabuisierung von Drugchecking und Naloxon sowie das Verschweigen einer einzigartigen Initiative deutscher Strafrechtsprofs.

  • Vielen Dank, Max, für die Erklärungen. Ergänzungen hierzu:

    – die Drug Scouts waren bereits im letzten ADSB vertreten und bekommen bei Bedarf auch gerne zukünftig Raum im Bericht. Dass in diesem Jahr Mindzone vertreten ist, war mir ein persönliches Anliegen wegen der speziellen Situation in Bayern. Im Übrigen dürfte jede_r, der in dem Bereich tätig ist, vom Bericht mitbekommen haben, und es gibt stets die Möglichkeit, eigeninitiativ einen Artikel vorzuschlagen (betrifft z.B. auch Sie, Herr Cousto). Dass das nicht passiert (bzw. dass die Konsument_innen insgesamt so wenig organisiert sind), ist nicht unsere Schuld.

    – dass das Skandälchen um Alice Erwähnung findet, mutet in der Tat merkwürdig an und hat keinerlei Zusammenhang mit dem Bericht. Das Ganze war lediglich ein zugegebenermaßen fieser Artikel in der Bild-Zeitung, der aber soweit mir bekannt ist keinerlei Konsequenzen für irgendjemand hatte. Z.B. ist mir auch nicht bekannt, dass Herr Grüttner irgendwelchen Druck ausgeübt hätte; an ihn wurde lediglich eine “Beschwerde” gerichtet. Um die Story in den Bericht aufzunehmen, kam sie auch schlichtweg zu spät (nach Redaktionsschluss).

    Insgesamt finde ich es sehr bedauerlich, dass an unserem Bericht im Artikel nur rumgemäkelt wird, und das im Grunde genommen ohne Grundlage.

    schöne Grüße, Bernd Werse

  • Recherchefehler – Richtigstellung

    Nicht der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) polemisierte gegen das Projekt Alice in Frankfurt am Main, sondern Olaf Schiel von der BILD-Zeitung. Unter dem Titel „Drogen-Lobbyist an der Spitze – Versteck-Tipps für Polizeikontrollen – Eklat nach Schulveranstaltung“ mit einem Bild hinterlegt, auf dem man Polizisten in einer Straße sieht und davor in groß den Kopf von Stefan Grüttner sowie den von Wolfgang Sterneck (Projektleiter von Alice) sieht, ist großen Buchstaben zu lesen: „Frankfurts seltsame Drogenhilfe …für die der Römer 50.000 Euro zahlt.“ (Artikel nicht online verfügbar). Im Artikel heißt es, der Sozialminister musste sich wegen Beschwerden von Schülern mit dem Projekt befassen.

    Bitte um Nachsicht und Entschuldigung für die Unterstellung, der Sozialminister habe gegen das Projekt polemisiert – Es war die BILD-Zeitung.

    Hans Cousto

  • Lieber Hans, ich bin ein wenig irritiert über diesen Artikel.

    Zum einen habe ich dir gestern am Telefon erklärt dass der DHV nicht mit einem Artikel vertreten ist weil ich es nicht geschafft habe. Das ist nicht die Schuld der Redaktion, sondern ich musste den Artikel kurz vor Ende der Deadline absagen. Der Rest des DHV Teams hatte ebenfalls keine Zeit. Der geplante Inhalt meines Artikel wäre in die Richtung dieses gegangen: Cannabis policy reform in Europe – Bottom up rather than top down – also CSC, Petitionen etc. http://www.tni.org/briefing/cannabis-policy-reform-europe?context=595

    Zum Zweiten kommen durchaus Konsumenten zu Wort, JES ist als einzige Konsumentenorganisation in Deutschland, die Konsumenten andere Drogen können sich hier mal eine Scheibe abschneiden – ist im Bericht (Patient_innenrechte in der substitutionsgestützten Behandlung – Claudia Schieren, Andreas Kramer, Marco Jesse & Ein Leben mit Drogen unter den Bedingungen der Prohibition – Dirk Schäffer), war auf dem Podium und ist Mitherausgeber.

    Im ersten Bericht gab es nicht nur mehrere Beiträge des DHV, sondern auch u.a.:
    * Drug-Checking, Rüdiger Schmolke und Tibor Harrach
    * Cannabis als Medizin – Probleme und Handlungsbedarf aus Patientensicht, Axel Junker

    Zuletzt darf ich anmerken, dass es mein Angebot als betroffener Patient zu sprechen von der Redaktion ohne Zögern angenommen wurde. Damit waren auf der Pressekonferenz 2 von 5 Podiumsteilnehmer Betroffene bzw. Konsumenten.

    Ich denke diese Punkte fehlen in diesem Artikel – der inhaltlich mit seinem Exkurs nach Leipzig und Frankfurt eigentlich einen anderen Schwerpunkt hat und sich wenig mit den Inhalten des Berichtes beschäftigt – und werfen ein verzerrtes Bild auf den Bericht.

    Zweifelsohne könnte die Vernetzung mit der Szene und mit anderen leider unorganisierten Konsumenten besser sein, ich werde diesen Punkt weitertragen und dann können wir für nächstes Jahr versuchen es besser zu machen. Ich freue mich auch sehr auf Vorschläge der Genannten, ich kann mir noch nicht ganz vorstellen welcher Beitrag für einen alternativen Drogen- und Suchtbericht von Open Mind oder der Hanfparade kommen soll.

    Die Probleme von Alice waren mir bisher unbekannt, ich habe auch eben nochmal meine Mails gecheckt, über die einschlägigen Verteiler und Mailinglisten kam diese Information scheinbar noch nicht. Im Netz fand ich nur folgende Anfrage im Landtag aus dem April, das zeichnet ein etwas anderes Bild der Situation, du hattest leider keinen Link zu deinen Ausführungen mitgeliefert. Das diese Polemisierung wohl nach der Anfrage stattgefunden haben müsste, man möge dem Alternativen Bericht nachsehen nicht dass er nicht auf Ereignisse reagiert hat, die erst vor wenigen Wochen stattfanden.

    Frage 5. Ist der Landesregierung der Flyer “Polizeikontrolle – was tun? bekannt und wie beurteilt sie die darin enthaltenen Ratschläge zum Umgang mit Polizeibeamten?

    Der Hessischen Landesregierung ist der Flyer “Polizeikontrolle – was tun?” erst durch diese parlamentarische Anfrage bekannt geworden. Die darin enthaltenen Ratschläge werden im Rahmen des Rechts der Meinungsfreiheit sowie der Pressefreiheit erteilt und unterliegen nicht der Beurteilung durch die Landesregierung.

    Wiesbaden, 2. April 2015
    http://starweb.hessen.de/cache/DRS/19/6/01696.pdf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert