Mit einem roten Kapuzenpulli taucht Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung und eines von derzeit 8.826 Mitgliedern der taz-Genossenschaft, an diesem Samstag auf der Mitgliederversammlung auf. Auf dem Pullover ist er selbst zu sehen im Che-Guevara-Stil, darunter der Schriftzug „KAI“. Der Button zeigt eine Fotomontage: Der Kopf von taz-Anwalt Jony Eisenberg ist auf den Körper von E. T. montiert, am Rand der Schriftzug „Ich bin kein Alien“ (Diekmann führt einen Privatkrieg gegen Eisenberg).
Nach dem Bericht von Aufsichtsrat, Vorstand, Chefredaktion und taz Panter Stiftung ergreift Genosse Diekmann das Wort. Zunächst bemäkelt er, dass taz-Geschäftsführer Kalle Ruch die vor kurzem verabschiedete Chefredakteurin Bascha Mika für die unter ihrer Amtszeit stetig gestiegenen Abo-Einnahmen gelobt hatte. Diekmann merkt an, in dem Zusammenhang hätte doch auch ruhig erwähnt werden können, dass die bestverkaufte taz aller Zeiten die „Feindes-taz“ war, die von ihm und anderen Lieblingsfeinden der taz gemacht wurde. Als nächstes weist Genosse Diekmann die Behauptung von Kalle Ruch zurück, die Entwicklung der Auflage der Bild-Zeitung bedeute die „Enteignung des Springer-Verlages durch Abspenstigmachen der Leser“ (den Spruch hatten „Die 3 Tornados“ geprägt). Vielmehr, so Diekmann in einem etwas länglichen Statement, sei der Kioskverkauf anderer Zeitungen sei nicht minder stark eingebrochen, außerdem habe die Bild-Zeitung ihre Verkaufspreise deutlich erhöht. „Ich möchte also Ihre Euphorie bremsen“, meint Diekmann. Die ersten Genossen rufen dazwischen: „Aufhören!“
Dann kommt Diekmann zu seinem eigentlichen Anliegen: „Ich halte es für richtig, für guten Journalismus auch gutes Geld zu verlangen.“ Unter den taz-Genossen führen die Worte „guter Journalismus“ aus dem Mund des Bild-Chefredakteurs zu Raunen und Gelächter. Diekmann fragt: „Wo ist denn die Strategie bei online? Da soll die Reichweite gesteigert werden, aber woher sollen die Erlöse kommen?“ Die Bild-Zeitung jedenfalls werde im Mobil-Bereich ihre Inhalte bald nicht mehr kostenlos anbieten, sondern Geld dafür verlangen.
Ulrike Herrmann, Redakteurin im Meinungsressort und Mitglied des Vorstandes der Genossenschaft, stimmt ihm zu: „Ich sehe das wie Kai Diekmann. Online muss etwas kosten, und es wird etwas kosten“, sagt sie unter dem Applaus aus dem Publikum. Zeitungsinhalte gebe es während einer „Übergangsphase“ kostenlos im Netz, das werde keine zehn Jahre mehr so weitergehen. Die taz könne es sich nicht leisten, mit dem Online-Auftritt große Verluste anzusammeln. „Wir werden da aber nicht die ersten sein, die das umsetzen“, dazu habe die taz nicht die Marktmacht. Doch wenn größere Anbieter losgehen, werde die taz sich im Windschatten anschließen. Endgültige Entscheidungen gibt es allerdings noch nicht, auch noch keinen Zeitplan.
Geschäftsführer Kalle Ruch sagt, derzeit gebe es etwa rund 1.500 digitale Abos, bei denen uns Leser zumeist 10 Euro im Monat zahlen (man kann auch 20 Euro zahlen). Das entspreche etwa dem Geld, das die taz mit Print-Abos einnehme (schließlich fallen ja die Kosten für Druck und Vertrieb weg). Die taz gebe es auch im EPUB-Format für E-Books. Eine große Entwicklung nach oben habe es noch nicht gegeben. Kalle Ruch: „Schön, dass wir das haben, aber wirtschaftlich bewegt wird da nicht viel.“ Das Anzeigengeschäft auf taz.de finanziere derzeit etwa die Hälfte des Aufwandes. Für die Gesamt-taz sei das keine sehr schwere Last – man habe klar auf Risikovermeidung gesetzt und war „eher vorsichtig“ beim Ausbau der Online-Redaktion. Da sei deutlich weniger Geld investiert worden als in die Regionalisierungsstrategie (zu der unter anderem die NRW-Ausgabe gehörte, die wirtschaftlich gescheitert war, wieder eingestellt werden musste und sehr teuer für die taz war).
Auch für Bernd Pickert, Auslandsredakteur und Vorstandsmitglied der Genossenschaft, ist es „eine notwendige Herausforderung“, online auf lange Sicht kostenpflichtig zu machen. Sobald das zum Trend werde, „dann müssen wir so aufgestellt sein, dass die Leute auch für unsere Inhalte zahlen“. Dabei könne die taz durchaus von der Krise anderer Zeitungen profitieren: Wenn die anderen nur die Tickermeldungen abdrucken, die überall stehen, werde dafür niemand Geld zahlen wollen. Die taz habe dann den Vorteil, nach wie vor viele eigene Inhalte anbieten zu können, die es sonst nirgendwo gebe.
Weitere Informationen zur finanziellen Lage der taz stehen in der Broschüre mit allen Informationen über diese Geno-Versammlung (PDF).
Diekmann hatte sich übrigens erst in diesem Jahr gemeldet, um Mitglied der Genossenschaft zu werden. Das kann jeder machen, der mindestens 500 Euro einzahlt. Diekmann ist nun einer von derzeit 8.826 Genossen. Auf der Genossenschaftsversammlung hat jedes anwesende Mitglied eine Stimme. Heute sind etwa 240 Genossen anwesend. Einen eigenen Antrag hat Diekmann nicht eingereicht. Kurz nach der Aussprache und bevor es an die Abstimmungen über die Anträge ging, war Diekmann auch schon wieder verschwunden. „War er das wirklich oder war das ein Double?“, fragte ein Genosse anschließend.