von 28.03.2011

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Michael Sontheimer in einem der ersten taz-Jahre
Michael Sontheimer in einem der ersten taz-Jahre

Von Michael Sontheimer

Knapp drei Wochen bevor die taz am 17. April 1979, nach zehn sogenannten Nullnummern, zum täglichen Erscheinen überging, kam es im Reaktorblock 2 des Atomkraftwerks Three Miles Island bei Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania zu einer partiellen Kernschmelze. Für uns in der Ökologieredaktion der taz war die Kombination aus technischem und menschlichem Versagen in den USA der Beweis, dass Atomreaktoren eine zu riskante Technologie sind, um damit Wasser zu erhitzen.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung dagegen mokierte sich über die „pauschale und naive Forderung“ nach Stilllegung der Atomanlagen. Wir verstanden uns als Teil der Anti-AKW-Bewegung, die 1974 im badischen Whyl ihren Anfang genommen hatte. Es folgten militante Großdemonstrationen in Brokdorf, Grohnde oder Kalkar und nachhaltiger gewaltfreier Widerstand in Gorleben. Die radikale Linke vereinigte sich mit den Bürgerinitiativen und brach aus ihrem Getto aus. Mit mehr als 100.000 Menschen erlebten Hannover und Bonn im Jahr 1979 die größten Protestmärsche in der Bundesrepublik seit den Demonstrationen gegen die Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren.

Michael Sontheimer heute. Foto: Anja Weber
Michael Sontheimer heute. Foto: Anja Weber

Zunächst knickte der niedersächsische CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht ein und erklärte, die in Gorleben geplante Wiederaufarbeitungsanlage sei leider politisch nicht durchsetzbar, dann verhinderte die Anti-Atom-Bewegung die Wiederaufarbeitung in Wackersdorf, ebenso die Fertigstellung des schnellen Brüters in Kalkar. Der Traum der Atomphysiker vom Perpetuum mobile der Plutoniumwirtschaft war ausgeträumt.

GAU alle 100.000 Jahre?

Die Protagonisten der Atomlobby, wie wir den politisch-industriellen Komplex zur Durchsetzung und zum Ausbau der Kernenergie nannten, warfen uns ausdauernd Hysterie und Panikmache vor – und reklamierten die Vernunft für sich. Nur alle 100.000 Jahre, so behaupteten sie, könne ein GAU vorkommen, wenn überhaupt.

Es dauerte 17 Jahre, bis nach dem Unfall von Three Miles Island dann Ende April 1986 Block 4 des Atomreaktors in Tschernobyl explodierte. Die Hilflosigkeit der Betreiber, die Verseuchung großer Landstriche, der Strahlentod vieler Kontaminierter führten in der Bundesrepublik zu einem Stimmungsumschwung gegen die Atomindustrie, den die Freunde der Kernkraft nicht mehr ändern konnten. Die Behauptung, die sowjetischen Reaktoren seien leider Schrott, aber unsere Reaktoren die sichersten der Welt, verfing nur noch bei einer Minderheit.

Das Desaster von Fukushima eröffnet nun die historische Chance, den Ausstieg aus der Atomenergie für Deutschland irreversibel zu machen. Es spielt dabei eine untergeordnete Rolle, dass Angela Merkel und andere Opportunisten mit dem Abschalten der alten Reaktoren aus den falschen Motiven heraus das Richtige tun. Es ist egal, sagte der chinesische Kommunist Deng Xiaoping gerne, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache, sie fängt die Mäuse.
Faulheit der etablierten Politik

Die Atomlobby wird sich nicht kampflos ihre Reaktoren stilllegen lassen. Da ihr Lügen pathologisch ist, werden wir in der nächsten Zeit zu hören bekommen, dass die deutschen Reaktoren natürlich, im Gegensatz zu den japanischen, sicher sind, dass ihr Abschalten immense Kosten nach sich ziehen und den Industriestandort Deutschland existenziell bedrohen würde. Geschenkt. Die Geschichte ist schon über viele Versuche, eine verlorene Sache zu verteidigen, hinweggegangen.

„Noch nie wollte ich so ungern recht behalten wie jetzt“, sagte mir vergangene Woche Ute Scheub, mit der ich damals in der taz-Ökoredaktion arbeitete. Sie war tief erschüttert über die ausweglose Lage der Menschen, die in der Nähe der außer Kontrolle geratenen Reaktoren leben, und die Inkompetenz der japanischen Krisenmanager. Hin- und hergerissen zwischen Wut, Depression und Zynismus erinnerten wir uns, dass wir vor über 30 Jahren in der taz, die als erste deutsche Zeitung eine tägliche Ökologieseite hatte, nicht nur gegen die Atomenergie anschrieben, sondern auch alternative Energien propagierten: Wind- und Sonnenenergie, Erdwärme.

Diese Anti-AKW-Sticker verkauft die taz in ihrem Online-Shop
Diese Anti-AKW-Sticker verkauft die taz in ihrem Online-Shop

Wir gehörten damit zu den Ersten, doch angesichts der Endlichkeit der fossilen Energien erschien uns das entschlossene Sparen von Energie und die zügige Entwicklung regenerativer Energiequellen als eine banale Notwendigkeit für das Überleben jeder Industriegesellschaft. Wir verstanden nicht, warum unsere offenkundig vernünftigen Vorschläge zunächst kaum Resonanz fanden; wir verfluchten die gedankliche und operative Faulheit der etablierten Politiker.

Angesichts des Horrors und Elends in Japan wäre jede Besserwisserei herzlos, jeder Triumphalismus abstoßend. Aber wir Anti-Atom-Aktivisten der ersten Stunde sollten doch anmerken dürfen, dass wir die künftige historische Wahrheit schon vor über 30 Jahren antizipiert hatten; und dass die Beschwichtigungen der Atomenergiefreunde sich als das erwiesen haben, wofür wir sie immer gegeißelt hatten: haltlose Propaganda, verantwortungslose Lügen. Unser tiefes Misstrauen gegen die Atomenergie war zu großen Teilen weniger von physikalischer Expertise getragen als von unseren Instinkten, gleichzeitig war es vollkommen berechtigt.

Wir hatten recht

Zumindest ernüchternd ist es zu sehen, dass es dreier Reaktorkatastrophen bedurfte, bis die Vernunft die Chance bekam, sich gegen die von militärischen und wirtschaftlichen Interessen manipulierte Politik entscheidend durchzusetzen. Quälend lange hat es gedauert, bis die einfache Erkenntnis, dass die Atomenergie zu gefährlich und ihr destruktives Potenzial zu groß ist, in Deutschland vor dem Sieg steht. Manche der alten Anti-Atom-Aktivisten sind zwischenzeitlich angesichts der Verlängerung der Laufzeiten in Zynismus und Apathie verfallen, viele gingen wieder demonstrieren.

Und zu demonstrieren wird an diesem Wochenende erneut nötig sein, um den Point of no Return zu überschreiten. Das mag lästig sein. Doch beruhigend ist es zu sehen, dass sich die langsame Vernunft nach über 30 Jahren Atomdebatte nicht mehr unterdrücken lässt.

Michael Sontheimer war Mitbegründer sowie Chefredakteur der taz und arbeitete anfangs für die Ökologieredaktion. Heute ist er Mitglied des Kuratoriums der taz Panter Stiftung und schreibt vorwiegend für den Spiegel.

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aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ich möchte die Diskussion um Qualitätsjournalismus an dieser Stelle an einem Beispiel konkretisieren:

    Vor ein paar Tage erschien ein Kommentar bei taz.de.
    Schon klar – Meinungsjournalismus.
    Von wem der Artikel stammt, sollte an dieser Stelle unwichtig sein.

    Folgendes Zitat hat mich entsetzt:

    „Denn warum weigern sich Ärztinnen und Ärzte, sich auf dem Land niederzulassen? Erstens: weil ihre akademischen Ehepartner hier keine qualifizierten Jobs finden. Zweitens: weil sie sich ängstigen, dass ihre Kinder hier womöglich mit denen von Hartz-IV-Empfängern oder anderen aus ihrer Sicht nicht Umgangswürdigen gemeinsam zur Schule gehen müssten.“

    Bei sowas stehen mir die Haare zu Berge. Die Aussagen werden in keinster Weise belegt. Angeblich sollen das die Gründe sein, wieso Ärzte nicht auf dem Lande praktizieren möchten.
    Die Autorin gibt in keinster Weise zu erkennen, woher sie diese „Informationen“ hat.

    Der Verdacht liegt nahe, dass es diesbezüglich überhaupt keine Fakten gibt.
    Nur leider wird suggeriert, bei den angeführten Gründen handele es sich um Tatsachen.

    Sowas finde ich schlimm. Das ist aus meiner Sicht manipulative Meinungsmache.

    Ich glaube, auch Beiträge der Kategorie „Meinungsjournalismus“ können nicht als qualitativ hochwertig eingestuft werden, wenn eigene Überlegungen als Fakten dargestellt werden und Belege für die Aussagen des Autors Fehlanzeige sind.

    Wo ich nun wirklich eine Gefahr sehe:

    Wie oben dargelegt, gibt es keine einheitliche Definition für Qualitätsjournalismus. Eventuell nachvollziehbar, aber nicht risikolos.
    Theoretisch könnte die Verfasserin des o.g. Zitats aus den Niederungen des Meinungsjournalismus jetzt daherkommen und aufrichtigen Herzens versichern, ihr Beitrag sei Qualitätsjournalismus. Schon allein, weil er ihren persönlichen Kriterien dafür entspricht.

    Und halbwegs kritischen Lesern fällt gar nichts mehr ein… eventuell vorhandenes Mißtrauen gegenüber der Journalistenschaft insgesamt wird weiter verstärkt…

    Herr Heiser, ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie dazu ein paar Worte schreiben könnten.
    Schließlich sollte Ihnen daran gelegen sein, das Vertrauen Ihrer Leser in die taz zu erhalten / zu verstärken (sorry, ich kann auch suggestiv..;-))

  • ich möchte noch etwas anfügen zum thema der bewertung von „qualitätsjournalismus“ aus medienwissenschaftlicher perspektive. ein „alter schinken“ zwar, aber im kern, denke ich, im gewissen sinne zeitlos sind die untersuchungsergebnisse von Lutz. M. Hagen in: Informationsqualität von Nachrichten. aus dem klappentext:

    „Die Arbeit verdichtet zunächst medienrechtliche und journalistisch-professionelle Normen zu einem Katalog von Qualitätskriterien: Menge, Relevanz, Objektivität, Aktualität und Verständlichkeit von Information sind Gegenstand vieler empirischer Nachrichtenstudien, deren Methodenarsenal hier systematisiert, kritisiert und ergänzt wird. Es fließen kognitionspsychologische, textlinguistische und wissenschaftstheoretische Überlegungen ein. Ein neues, von Früh entwickeltes Verfahren wird adaptiert: die computergestützte Semantische Struktur- und Inhaltsanalyse (SSI). Die erarbeiteten Qualitätsindikatoren dienen einer quantitativen und qualitativen Analyse der universellen deutschen Agenturdienste. Deren Qualität ist von großem Interesse, denn Agenturen determinieren sehr stark die Nachrichteninhalte der Massenmedien.“

    – auch bei der taz. wo journalistInnen aber explizit selbst recherchieren und berichten, sind sie dem selbstverständnis
    ihrer zeitung verpflichtet. was das für taz-schreiberInnnen heißt ist im Redaktionsstatut festgelegt. daraus:

    „§2 Selbstverständnis
    (2) Die taz engagiert sich für eine kritische Öffentlichkeit.
    (6) Die Zeitung ist der wahrheitsgetreuen Berichterstattung verpflichtet; sie bekennt sich zur Tradition ihrer publizistischen Sprache, sie widersteht dem Druck der Stereotype und des sprachlichen und thematischen Konformismus, sie gibt den Beiträgen ihrer RedakteurInnen, KorrespondentInnen und AutorInnen besonderes Gewicht.

    und:
    §3 Grundsätze der redaktionellen Arbeit
    (2) Kein Redakteur und keine Redakteurin darf gezwungen werden, beim Schreiben eine andere Meinung als die eigene zu vertreten oder gegen die eigene Überzeugung zu bebildern oder zu schreiben.
    quelle: http://www.taz.de/6/redaktionsstatut/

    in diesem sinne steht die taz für meinungsjournalismus.

    davon abgesehen ist objektivität – wie herr heiser ja schon anmerkte – nie gegeben. sie kann immer nur angestrebt werden, nie erreicht (noch ein buchtipp: Die Wirklichkeit der Medien).

    die taz versteht sich im ursprung als ein medium der gegenöffentlichkeit, d. h. sie will kritisch stellung beziehen (was durch den „tendenzschutzparagraphen“ im medienrecht auch gedeckt ist, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Tendenzschutz).

    summa summarum denke ich, ist die taz die lauteste, wirksamste und facettenreichste kritische stimme im deutschen blätterwald. insofern liefert sie einen wichtigen beitrag zum „qualitätsjournalismus“ in deutschland.

  • … und vor lauter Schreck gehen jetzt schon Wörter verloren.

    Der erste Satz also noch mal:
    Das hätte ich in der TAT nicht vermutet.

  • Oh. Das hätte ich in der nicht vermutet.

    Ein ausufernde Debatte um einen Thema, dessen Kernbegriff – Qualitätsjournalismus – noch nicht einmal klar definiert ist. Wie kann das funktionieren?

    Für mich schwer zu begreifen, was möglicherweise meiner eher wissenschaftlichen Ausbildung geschuldet ist – ohne klar definierte Begriffe und Strukturen sind wir üblicherweise relativ hilflos.

    Na ja, vielleicht fällt „Qualitätsjournalismus“ eher in diesselbe Kategorie wie „Glück“. Das ist ja üblicherweise auch eine sehr individuelle Angelegenheit ohne klare, allgemeingültige Definition. Ich will mal versuchen, es einfach so hinzunehmen.

    Und da es ohnehin offenbar nicht möglich ist, Recherchejournalismus klar von Meinungsjournalismus abzugrenzen, liegt eventuell die einzige Chance darin, sich den Namen des Autors zu merken.
    Wenn ein Journalist einen informativen und ordentlich recherchierten Artikel zum Thema XY publiziert und zeitnah einen Kommentar zum selben Thema veröffentlicht, kann ich mir ja vermutlich schon in etwa denken, wo das Häschen langläuft und den informativen Artikel gleich vor dem Hintergrund der mir nun bekannten Meinung des Autors werten – auch ohne mit allen Möglichkeiten, die die Sprache so zu bieten hat, vertraut zu sein.

    Schön, dass ihr euch bei der taz „bemüht“. In meinem Verständnis impliziert dieses Wort sogleich, dass das Scheitern eingeplant, bzw. vorprogrammiert ist… was vor dem Hintergrund einer nicht vorhandenen Definition des Begriffs aus meiner Sicht natürlich die logische Konsequenz ist.

    Das Thema verunsichert mich einigermaßen. Trotzdem schön, mal Einblicke in eine ganz andere Welt zu erhalten.
    Also: Vielen Dank für Ihre ausführlichen Darlegungen.

  • > Gibt es überhaupt eine allgemeingültige
    > Definition für Qualitätsjournalismus?

    nicht dass ich wüsste. Es würde mich auch überraschen.

    > Wie wird Qualitätsjournalismus bei der taz definiert?

    Wie überall: Unterschiedlich.

    > Was wird getan, um diesem Anspruch gerecht zu werden?

    Wir bemühen uns.

    > Kann es – und wenn ja, wie? – einen wirklichen
    > Qualitätsjournalismus überhaupt geben, wenn
    > keine klare Trennung zwischen Meinungs- und
    > Recherchejournalismus besteht?

    Ich glaube nicht, dass eine klare Trennung von Meinungs- und Recherchejournalismus möglich ist. Es fehlt einfach an objektiven Kriterien, nach denen man objektiven Journalismus in der Praxis eindeutig definieren könnte.

    Vielleicht wird das an einem Beispiel deutlich: Nach welchen objektiven Kriterien sollte eine Zeitung entscheiden, welche Themen sie ins Blatt nimmt und wie groß sie sie ins Blatt nimmt? Nach welchen Kriterien sollte sie entscheiden, welches das wichtigste Thema heute ist? Ist es Fukushima? Die Revolution in der arabischen Welt? Der Baustopp bei Stuttgart 21? Mietpreiserhöhungen? Der Biosprit E10? Klonfleisch? Die Nebenbei-Diät? All dies sind reale Aufmacher deutscher Zeitungen von heute (Galerie:
    http://paper.meedia.de/titelgallery_drupal/?q=gallery/&g2_itemId=152722&g2_page=&thumbnail=&mediamode= ) Welcher ist der objektiv richtige Aufmacher?

    Die gleichen Probleme gibt es auch im weiteren Verlauf: Welche der vielen im Laufe einer Recherche gewonnenen Informationen sollen in den Artikel kommen? Wie umfangreich müssen Erkundigungen überhaupt sein, um „Recherche“ genannt werden zu dürfen? Wenn eine Zeitung in einem Artikel die politischen Positionen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen wiedergibt – wie soll sie diese Gruppen auswählen? Welche Parteien sollen rein, welche Nichtregierungsorganisationen, welche Stimmen aus dem Ausland?

    Wer daran glaubt, dass es objektiven Journalismus gibt, der müsste auch daran glauben, dass dann nur eine einzige überregionale Zeitung nötig wäre. Ich glaube nicht daran.

  • Klare Sache, es ist gut verständlich, wenn Herr Sontheimer jetzt vielleicht kein Triumphgefühl, aber dennoch eine gewisse Genugtuung angesichts der Tatsache „Wir hatten recht“ empfindet.

    Dennoch: Ich muss anti-aktivist und OWLerin zustimmen. Einer Tageszeitung steht es meines Erachtens prinzipiell nicht gut an, Aktivismus zu betreiben. Auch nicht, wenn es sich dabei um die taz handelt.

    Das Interview mit Dana Priest habe ich mir jetzt auch noch mal vorgenommen. Die dazugehörigen Leserkommentare sind natürlich nicht repräsentativ, aber eine gewisse Sehnsucht nach einer klaren Trennung zwischen Recherche- und Meinungsjournalismus scheint doch vorhanden zu sein.
    Bei der taz wird das Spektrum ja zusätzlich noch um die Kategorie „Kampagnenjournalismus“ (aus meiner Sicht eine Art aktivistischer Meinungsjournalismus) erweitert.
    Vor einiger Zeit habe ich ein markantes Statement einer führenden taz-Redakteurin gelesen. Sie sei Journalistin und keine Aktivistin. Und etwas später hat sie die taz-Leserschaft zur Teilnahme an der Kampagne für die iranischen Regisseure aufgerufen.
    Ah ja. Gut, vielleicht sieht diese Frau (und auch die taz?) die Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus an einer anderen Stelle als andere Leute.

    Aus meiner Sicht kann aus einer Vermischung dieser Bereiche – insbesondere Recherche/Meinung – auch schnell mal ein schwer zu durchschauender Manipulationsjournalismus resultieren.

    Beispiel: Ein Redakteur hat ein Thema zu 100% sauber recherchiert, seine Rechercheleistungen werden allen Ansprüchen in herausragender Weise gerecht. In seinen auf diesen Grundlagen verfassten Artikel lässt er auf geschickt-subtile Art und Weise seine eigene Meinung einfließen.
    Und zwar durch entsprechenden Satzbau, geeignete Wortwahl, durch suggestive Aussagen und Fragen usw… Das diesbezügliche Repertoire eines guten Journalisten dürfte recht umfänglich sein.
    Dem durchschnittlichen Leser – der vermutlich nicht über dieselben sprachlichen Fähigkeiten wie der Autor verfügt – wird vermutlich noch nicht mal auffallen, dass er in eine bestimmte Richtung gelenkt wird.

    Solche Artikel habe ich bei der taz (OK, bei anderen Zeitungen auch, aber um die geht es hier nicht) schon häufiger gelesen.

    Verstehen kann ich so ein journalistisches Vorgehen natürlich schon, ich möchte auch nicht unterstellen, dass der Autor in jedem Fall bewusst handelt. Trotzdem finde ich es ausgesprochen bedenklich.
    Wenn das Ziel, zu informieren mit dem Ziel, Meinung zu machen, vermischt wird, frage ich mich:
    Darf so etwas als Qualitätsjournalismus bezeichnet werden?

    Ich habe eben mal den Begriff „Qualitätsjournalismus“ gegoogelt. Ergebnis: Es wird ausführlich debattiert. Leider habe ich keine wirkliche Begriffsdefinition gefunden. Tja, was genau soll Qualitätsjournalismus denn nun sein? Sicher, ich habe da – wie viele andere vermutlich auch – schon gewisse Vorstellungen. Nur: Keine Ahnung, ob ich damit richtig liege.

    Daher einige Fragen an Sebastian Heiser:

    Gibt es überhaupt eine allgemeingültige Definition für Qualitätsjournalismus?
    Wie wird Qualitätsjournalismus bei der taz definiert? Was wird getan, um diesem Anspruch gerecht zu werden?
    Kann es – und wenn ja, wie? – einen wirklichen Qualitätsjournalismus überhaupt geben, wenn keine klare Trennung zwischen Meinungs- und Recherchejournalismus besteht?

    Herzlichen Dank.

  • Nur leider werden sie vermutlich – und das möglicherweise zu recht – gleich losquietschen: „Dafür haben wir aber kein Geld!!“.

    Aber vielleicht wäre hier wirklich ein guter Ansatzpunkt, die erwirtschafteten Gewinne (inkl. großmütiger Bild-Spende) sinnvoll zu investieren.

  • Ich stimme anti-aktivist voll und ganz zu.

    Von einer aktivistisch tätigen Tageszeitung kann ich wohl kaum eine objektive Berichterstattung erwarten.
    Deshalb war die Kampagne, um auf die Situation der iranischen Regisseure aufmerksam zu machen, aus meiner Sicht falsch – trotz des lobenswerten Grundgedankens.

    In der taz habe ich vor einiger ein Interview mit der US-Journalistin Dana Priest gelesen, in dem sie die Wichtigkeit einer klaren Trennung zwischen Meinungs- und Recherchejournalismus betont. Dem kann ich nur zustimmen. Meines Wissens ist diese wünschenswerte Trennung in der gesamten deutschen Presselandschaft nicht wirklich existent.

    Vielleicht wäre es für die taz eine gute Sache, sich dahingehend weiter zu entwickeln. Das dürfte bei kritischen Zeitungslesern sehr gut ankommen.
    Ferner könnte die taz sich damit in Deutschland ein echtes Alleinstellungsmerkmal verschaffen.

    Das wär schon was…

  • Auch wenn man auf der richtigen, der guten Seite steht:
    Für einen Journalisten, für eine Zeitung, ist es nie gut, Teil einer Bewegung zu sein. Journalisten sollten beobachten, nicht kämpfen, alles andere ist Boulevard.

  • liebe taz, ich wünsche dir weiter viel kraft im kampf gegen die atomkraft. denn bald wird auch japan wieder aus den medien verschwunden sein und die leute beginnen wieder zu denken, so schlimm wirds in deutschland bestimmt nicht. man muss immer wieder an die gefahren erinnern bis auch das letzte atomkraft werk auf der welt abgeschaltet wurde.
    ich wohne jetzt in brasilien und das schlimme ist, hier sollen mit deutschen geldern neue atomkraftwerke finaziert werden.

  • 100.000 Jahre ein Gau, bezieht sich auf EINEN Reaktorblock(insgesamt 442):

    100.000/442=226

    Ich vermute das da eine Zehner-Stelle zuviel ist? Dann käme man nähmlich auf durchschnittlich alle 23 Jahre eine Kernschmelze was hinhauen könnte?!

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