vonImma Luise Harms 07.01.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Schwein3.jpgDie Kleine ist misstrauisch geworden. Zeit ihres Lebens musste sie der Wucht der Dicken und der Aggression der Bissigen ausweichen. Sie hatte gelernt, deren Bewegungen für sich zu deuten. Sie weiß zum Beispiel, dass die anderen ihr nicht den Futtertopf wegnehmen können, ohne ihren eigenen dabei aufzugeben. Hinter den Bewegungen der Schwestern tun sich ihre eigenen Freiräume auf. Jetzt sind die beiden nirgends mehr zu sehen. So viel Freiheit ist verdächtig. Die Kleine stemmt ihre Vorderläufe in das Stroh auf dem Karren. Der Hinterlauf sitzt im Strick fest. Die Kleine sträubt sich, als der Schlachter sie vom Wagen zieht. Thomas läuft nebenher, Stefan und Richard flankieren die andere Seite. Der Weg ist vorbestimmt. Die Kleine schnüffelt und äugt. Der geflieste Boden ist wieder sauber. An der Decke hängen die Schwestern, aber so hoch sieht die Kleine nicht. Ihr Hinterlauf hängt an der Boden-Öse. Die Hand des Schlachters, der Bolzen, dann nichts mehr. Noch einmal lege ich meine Hand auf den Bauch des Tieres, will ihm im Augenblick des Todes nahe sein.

Als auch das dritte Schwein an die Decke gezogen ist, posiert Schlachter H. zwischen ihnen zum Fotos. Das war nicht seine Idee. Er hat gesehen, dass ich fotografiert habe und will mir entgegenkommen; er ist ein freundlicher Mensch. Dann wird das Messer gewetzt und das Fell abgezogen. Die Wollschweine haben einen dichten, rötlich gelockten Pelz. Er hat es möglich gemacht, dass die Schweine den ganzen Winter über im Freien bleiben konnten. Für die Enthaarungsmaschine ist die Wolle eine Überforderung; die Haut muss ab. Wenn das Schwein nicht rasiert werden kann, gibt es keinen Speck, denn die Haut des Schweins ist die Speckschwarte. Mit Fell und Haut wird den Tieren nun also ein großer Teil des darunter festsitzenden, mühsam angefütterten Fettes heruntergezogen. Thomas rechnet im Stillen, wie viel an Schweinegewicht dadurch verloren geht. Das, was jetzt kommt, wollen wir nicht mehr mit ansehen und machen uns auf den Heimweg. Das Fleisch wird zwei Tage später geholt.

… Am Morgen ist das Feuer heruntergebrannt, und der Kopf des Elens ist verschwunden. Mit seinen riesigen Hörnern war er so schwer, dass Salge und Martin ihn nur zusammen anheben konnten. Welches Tier hat ihn von unserer Feuerstelle weggeschleppt? Martin ist sicher, dass Hyänen das nicht schaffen würden. Ein Löwe? Ich kriege ein flaues Gefühl im Magen. Na ja, ich lebe ja noch. Ich lebe noch, und dies ist der letzte Tag des Jahres 1983. Silvester in Tansania. Wir fahren mit der Beute, drei Gazellen und zwei Antilopen, zu einer Silvesterparty in die Usambaras. Dass die Jagdtrophäe des erlegten Elens nun doch verloren ist, macht die Stimmung noch eine Spur missmutiger. Aber schließlich hat man ein repräsentatives Mitbringsel für die GTZ-Kollegen. Zum Abendessen wird es jedenfalls reichlich Fleisch geben. Als wir ankommen, ist das Interesse an großen Fleischmahlzeiten gering. Einer der Kollegen nennt das Jagdvergnügen der privilegierten Ausländer schlicht Wildern und stiftet andere zur Verweigerung der Nahrungsaufnahme an. In der subtropischen Nacht isst man sowieso lieber leichte Salate. Die Ortsansässigen GTZ-Mitarbeiter geben nur widerwillig Raum in ihren Kühltruhen frei, um die Ausbeute der Jagd wenigstens vor dem Verderben zu schützen. Als die Partygäste sich darauf einigen, dass jetzt Mitternacht ist, und „Prost Neujahr!“ über das stille und dunkle Usambara-Tal rufen, bleibt Martin in der Küche sitzen und isst aus einer Riesenschüssel Antilopenfleisch-Salat.

Als wir zurück sind, wollen Stefan und Richard keinen Kaffee mehr, auch keinen Tee. Sie wollen einfach alleine sein. Auch ich bleibe alleine, denn Thomas kehrt um und fährt ins Oderbruch zurück. Er hält die Vorstellung nicht aus, dass mit der Fettschicht unter der Haut ein großer Teil seiner Schweine einfach verloren ist. Er will das Fett aus den Fellen schaben, bevor sie weggeworfen werden. Als er zurückkommt, geht es ihm besser. Nun ist alles verwertet; das war er seinen Tieren schuldig. Nur als er die ausgeschabten Häute in den Abfall geworfen habe und die abgezogenen Gesichter auf dem Grund der Tonne lagen, sei die Trauer hochgekommen; die Blesse der Bissigen war noch immer zu erkennen.

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