vonImma Luise Harms 15.01.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Als Neuling im Format war mir nicht bewusst, dass Bloggen so angesagt ist, jedenfalls  von den Trend-Medien gut beobachtet wird. Mein erstes blog (Ab nach Hause – wo ist das?) war aufgefallen. Am Freitag um 14 Uhr zum Interview ins Deutschlandradio Kultur. In der Sendung „Blog-Spiele“ wollen sie mit mir, die ich mich von der Stadt aufs Land umgesiedelt habe, über die Frage sprechen, ob das Internet ein Zuhause, eine Heimat sein kann. Fahrtkosten werden erstattet. Kein Problem.

Ich löse in Strausberg Nord einen Fahrschein ABC für 2,60, überlege kurz, ob ich eine Tageskarte für 6 Euro nehme, dann noch ein paar, mit Wegen verbundene Erledigungen machen kann, entscheide mich dagegen, weil ich ja gegenüber dem Sender die Differenz zwischen zwei Einzelfahrten (5,20) und der Tageskarte (6 Euro) nicht rechtfertigen kann.

Ich komme viel zu früh an, umrunde den Nazi-Bau und den Nachkriegs-Anbau des ehemaligen RIAS, werde nach einem Blick auf die Checkliste von verglasten Uniformierten durch die Schranken gewunken. Im Foyer habe ich vor drei Jahren Filmaufnahmen mit dem Deutschlandradio-Pressesprecher Karl-Heinz Stamm gemacht. Er war Mitbegründer der taz und ist in diesem Haus gelandet – oder gestrandet; das wusste er selbst nicht so genau. Er führte mir den Störsender vor, der repräsentativ im Treppenhaus aufgebaut ist. Ich habe schon damals nicht verstanden, wer damit eigentlich wen gestört hat, und bei was.

Im vierten Stock wartet eine Frau mit blondem Seidenhaar auf mich. Sie ist eine der RedakteurInnen, die diese Sendung auf eigene Rechnung produzieren. Festefreie hießen die bei der taz, hier mit Honorargarantie und Urlaubsgeld-Anspruch. Sie macht mich mit dem Techniker bekannt und holt mir Kaffee. Im Studio sind Moderator und der andere Redakteur bei der Vorbesprechung. Der Redakteur empfängt mich mit überbordender Begeisterung, die ich mir nicht erklären kann. Der Moderator hat Fragen an mich vorbereitet. Ein abgesteckter Parcours mit dem Ergebnis: Heimat kann überall sein, auch im Internet. Wie finde ich das überhaupt, frage ich mich? Macht nichts, wenn ich anderer Meinung bin, wird signalisiert.

Die Sendung wird einen Tag vorm Sendetermin aufgezeichnet, soll aber möglichst 1:1 durchlaufen. Eine gewisse live-Angespanntheit der Beteiligten ist zu spüren. Anmod – Trailer – Abnahme – Frage – Antwort – Trailer. Ein Filzstift bewegt sich in der Hand des Redakteurs wie ein Zeiger, piekst durchs Glasfenster, damit der Techniker punktgenau die Regler hochzieht. Einer der Beiträge handelt von interessanten Referaten auf der 23. Jahreskonferenz des Chaos Communication Clubs. Früher, erinnere ich mich, hieß er Chaos Computer Club und war ein Haufen von wahrhaft anarchistischen Hackern. Nun werden dort Referate über zukunftsfähige Mensch-Maschine-Schnittstellen gehalten.

Es kommen noch andere Themen. Der Redakteur wird vom Moderator angespielt und stürmt dann durch die Sendesekunden, wobei die zweite Satzhälfte der ersten regelmäßig ins Wort fällt. Es geht um die Verwertungsgesellschaft Wort, die dafür sorgt, dass Autoren Geld kriegen, wenn ihre Arbeiten irgendwo in den Medien verwertet werden. Sie will sich jetzt auch für die Interessen der Blogger einsetzen. Das ist interessant! Doppelt interessant, denn das Thema „Zuhause“ wird mit der Einspielung eines Trailers eingeleitet, in dem wesentliche Teiles meines blogs „ab nach Hause – wo ist das?“ verlesen werden. 2:45 Minuten! Ist das dann nicht eine Verwertung, die meine Urheberrechte betrifft? Müsste ich dafür nicht Honorar kriegen? Ich verschiebe die Überlegung mit dem angenehmen Gefühl, noch was gut zu haben. Denn jetzt bin ich dran.

Wo ist für mich zuhause? Im Dorf Reichenow, dort bin ich in mehreren wohlüberlegten Schritten hingezogen. Ich antworte Andante, in ganzen Sätzen, die ihr Ende abwarten können. Die Stimme krächzt und piepst noch ein bisschen, aber das wird sich gleich geben. Der Moderator hat die typische Interviewer-Krankheit, den Gast heftig anzunicken, in der Absicht, ihn damit zu Höchstleistungen zu ermuntern. Aber der Blick in die wabernden Gesichtszüge bringen meine Gedanken ins Schwimmen. Schon befinde ich mich mit meinen Antworten auf Nebengeleisen, verzettele mich. Der Moderator platziert seine nächste Frage in meine Atempause. Also das Dorf, die Zeitung. Bloggen als Ersatz für die gedruckte Zeitung. Ob das alles überhaupt ohne DSL geht? Dazu hatte ich ja mal was in der Ortszeit geschrieben. Aber das führt jetzt alles zu weit. Heimat, Freundschaft im Internet? Jetzt kann ich den einzigen Gedanken anbringen, den ich für diese Sendung vorbereitet habe: Freundschaften entstehen da, wo man sich aufeinander eingelassen und Konflikte durchgestanden hat. Diese Bedingungen werden im Internet wohl kaum entstehen können. In den Chats kommt und geht man unerkannt und ohne Verpflichtung. Also sind Internet-Bekanntschaften keine Freundschaften und das Netz keine Heimat, wenn man diese beiden Phänomene voneinander ableitet. – Und da ist die Sendezeit auch schon um.

Der Moderator dankt, ob mit oder ohne Zuhause im Internet. Ich an seiner Stelle hätte mir eine Gute Heimreise gewünscht. Die Redakteurin kommt rein und lobt. Zu der Frage, was die Zukunft auf dem Land ohne DSL bedeutet, sind wir nicht mehr gekommen.

Während der Techniker die Aufzeichnung fertig macht, Versprecher und Räusperer herausschneidet, folgen mir Moderator und Redakteure auf den Flur, um zu rauchen. Ich hatte im Vorgespräch ein bisschen vom Gutshof erzählt, von meinem MöHRe-Engagement und den Überlegungen, ein dörfliches Internet-Café zu machen. Sehr spannend finden sie das, vielleicht ein Thema. Soll ich das mit dem Fahrgeld jetzt ansprechen? Blogwart Mathias hatte auch was von Antrittshonorar erwähnt. Immerhin bin ich für den Auftritt als Gast in der Sendung 6 Stunden unterwegs. Und was ist überhaupt mit meinem Text, den sie verwendet haben?

Der Redakteur möchte wissen, was es in Reichenow denn sonst noch Interessantes gibt. Über so ein Internetcafé könnte man doch mal eine Reportage machen. Kann man auf dem Gutshof Urlaub machen? Ach, ne home page gibt es von Gutshof? Gut gut. Dann spricht er vom Fahrgeld. Ob ich Quittungen habe. Ich sage, bisher nur einen Fahrschein. Ich brauche 2,60 hin, 2,60 zurück, sind 5,20, und 3 Euro für Sprit, um zur S-Bahn zu fahren. Der Redakteur holt sein Portemonnaie aus der Tasche. Ich warte, dass er mir 8, 20 abzählt. Er zieht einen gefalteten 20-Euro-Schein hervor. Ich sage: ich kann das nicht wechseln. Er darauf: Nee, ist schon gut. Ich soll den Rest behalten. Das wäre dann aber für alle meine Auslagen. Ich könnte ihnen dann ja vielleicht die Fahrscheine noch schicken.

Die Redakteure verabschieden sich mit gewinnendem Lächeln und gehen zurück ins Studio. Der Moderator möchte noch mit mir Kaffee trinken und mich dabei zum Thema DSL auf dem Land interviewen. Wir gehen in die Kantine. Er kauft mir ein Stück Käsekuchen und einen Kaffee. Von dem Tischchen in der Ecke aus sehe ich durchs Fenster auf die Satellitenschüsseln auf dem Dach. An den Anblick erinnere ich mich. Hier hatte ich Kalli Stamm gefilmt und schöne Schärfeverlagerungen gemacht.

Der Moderator zieht ein kleines Aufnahmegerät und ein riesiges Schaumstoff-ummanteltes Mikrophon aus der Tasche, auf dem „Deutschlandradio Kultur“ steht. Er ist vielleicht Ende zwanzig, macht ab und zu auch Beiträge für andere Sender. Diesen hier will er sich auf Halde legen, weil die Gelegenheit gerade so günstig ist. Ich versuche, mit seiner Souveränität mitzuhalten, schiebe den Käsekuchen beiseite und  beantworte seine Fragen lächelnd und ruhig, verdränge das Gefühl, hier zum Preis von 1 Käsekuchen und 1 Kaffee gemolken zu werden.

Als er alles abgefragt hat, sagt er: Nun essen Sie mal Ihren Käsekuchen! Er will dann noch ein bisschen was wissen, wie man auf dem Land denn überleben kann. Er würde vielleicht auch gern rausziehen, aber irgendwie muss man doch auch Geld verdienen. Wie ich das mache. Ohne DSL. Er hätte sich schon überlegt, Abbruchhäuser auszuschlachten und dann alte Baustoffe zu verkaufen.

Ich verabschiede mich, gehe benommen die ellipsenförmige Treppe hinab, bis ich im Erdgeschoss wieder am Störsender lande.

Auf der Rückfahrt in der S-Bahn mache ich mir grimmig Notizen für dieses blog. Die beiden Fahrkarten habe ich heute losgeschickt.

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/01/06/dkultur_200701061630.mp3

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2007/01/15/verwertungsschleifen-dorf-blog-im-deutschlandradio/

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kommentare

  • Liebe Imma,

    diese deine Funkerfahrung habe ich mir beim Lesen wirklich gut vorstellen können. Aber wie geschäftstüchtig du plötzlich denkst – und das als alte Nietzscheanerin (“Ich aber lasse mich gerne betrügen – um mich nicht vor Betrügern schützen zu müssen!”). Oder sollte die kleinbäuerliche Wirtschaftsweise, vor der schon Lenin et al grauste, eure gutshöfische Lebenskunst bereits infiziert haben? Ich bin in meinem verslumten SO-36-Block jedenfalls immer noch der Meinung: Der Teufel scheißt immer auf die größten Haufen – und das ist auch gut so: Es vereinfacht die nächste Kulakenvernichtung erheblich.

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