vonImma Luise Harms 25.01.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Da sitzen wir und grübeln, wie es mit uns weitergehen soll. Das Geld ist alle, bis auf ein paar Europfützen auf halb vergessenen Konten.

Thomas will weiter Kino machen, am besten damit rumfahren wie früher mit dem Mironakino. Aber wer soll’s bezahlen? Vielleicht will er doch lieber Wollschweine züchten, die durch ihre gleichbleibenden Bedürfnisse seinen Tag strukturieren und seinem Leben Erfüllung geben. Aber auch davon kann man, realistisch betrachtet, nicht leben. Ich habe, getrieben von der diffusen Sehnsucht nach Durchlässigkeit und Erweiterung meiner Möglichkeiten, mit der Hilfe von Thomas, D. und M. die Wand zur anderen Haushälfte durchbrochen – eine Wand aus Felssteinen, so dick wie eine Burgmauer. Nun möchte ich die andere Seite mit Sinn und Leben füllen. Von MöHRe, unserem Kulturverein, gibt es Interesse, Thomas hat dort drüben einen Kino-Abstellraum, und der Film- und Videoclub, bestehend aus 3000 VHS-Cassetten nutzt auch einen Raum, ist aber zur Zeit im Dämmerschlaf.

Unsere Frage 1, was wollen wir machen? Was will jeder einzeln machen? Was geht zusammen? Und die Frage 2, wo kommt das Geld dafür her? Man müsste Projektgelder beantragen. Finanztöpfe für die Förderung ländlicher Projekte (Überall Benachteiligte!!) scheinen unter jedem Behördenschreibtisch zu stehen. Rahmenrichtlinien und Antragsformulare werden einem von freundlichen Bekannten überreicht, oder man wird gebeten, sie sich aus dem Netz herunterzuladen. Ein Ideenwettbewerb winkt, stand in der Zeitung. Beratende Stellen laden zur Vorsprache ein.

Das Problem ist, die eigenen Vorstellungen in die Sprache der Antragsformulare zu kleiden. Wir lesen die vorangestellten Erläuterungen und stoßen auf Sätze wie: „Mit der Vermittlung von Kenntnissen und Informationen über die Machbarkeit der Gestaltung innovativer Entwicklungsprozesse soll ein Beitrag zur Risikominderung geleistet werden.“

Thomas legt sich bequemer hin, ich kippele nervös auf dem Schreibtischstuhl. Wir lesen weiter und erfahren: „Um stärker wissensbasiert integrierte Initiativen zur Schaffung und Konsolidierung von Beschäftigung durch Diversifizierung, Unternehmungsgründungen sowie örtliche Dienstleistungen und die Akteure bei der Aufnahme neuer Tätigkeiten zu unterstützen, sollen geeignete Informations-, Qualifikations- und Beratungsangebote entwickelt und bereitgestellt werden.“ Thomas’ eines Auge ist schon zugefallen. Er reißt es wieder auf, als ich grundsätzlich werde. Da müssen wir uns eben anstrengen, wenn wir solche Projektegelder haben wollen. Und für andere Sachen muss man sich auch anstrengen. Und er muss sich schon entscheiden, ob er Schweine oder Kino machen will. Und wer war es denn, der den Termin mit den Beratern morgen in Strausberg haben wollte?

Thomas bittet um Verständnis, dass er sich jetzt erst mal ein bisschen hinlegen muss. Ich sage jaja und lese weiter die Sätze in dem dicken Antragsordner, den R.W. uns vorbeigebracht hat. „Was ihr machen wollt, das passt doch genau da rein!“ hat sie gesagt. Wo? Wo passt es rein? Ich renne murrend zwischen Küche und Arbeitszimmer hin und her, schichte die Papiere auf dem Schreibtisch um, gehe durch den Durchbruch in die neu dazu gewonnene Werkstatt und fange mit den Vorarbeiten zum Bau eines CD-Regals an, lasse das dann aber doch wieder fallen, auch weil’s da drüben zu kalt ist, gehe zurück an den Schreibtisch, schiebe die Antragsformulare zur Seite, schreibe einen artig formulierten, aber nicht zu devoten Brief an die Volkshochschule und biete mich als Lehrkraft für einen Kursus „Jetzt mache ich es allein – Haushaltselektrik für Frauen“ an.

Thomas hat ausgeschlafen und setzt sich erfrischt und erwartungsvoll mir gegenüber an den Schreibtisch. Ich werde immer ungeduldiger. Waswillerdennnun? Sollichallesalleinemachen?! Er will eigentlich keine Anträge stellen, eigentlich auch kein Projekt machen, sondern sein mobiles Kino, gucken, ob das geht, weiter nichts. Mir geht’s im Grunde nicht anders: ich will die Räume drüben einrichten, damit es Spaß macht, sich dort zu treffen – irgendwas zwischen öffentlich und privat, zwischen Freizeit, Politik, Kultur. Erweiterung der Möglichkeiten halt. Praktisch kann man sich das vorstellen, aber nicht in die Währungseinheiten von Innovation und Risikominderung übersetzen.

Ich mache mir Luft in Hassausbrüchen gegen die ignorante Bürokratensprache. „Akteure, was soll das denn sein? So ne Verhübschung von denen, die sie früher ‚Betroffene’ genannt haben?“ Die Schmauchspuren durchgereichter Modernisierungserfolge in den Behörden finde ich besonders abstoßend, wenn aus den Lehrlingen Auszubildende werden, die genauso geschurigelt und ausgebeutet werden, oder aus den Ausländern Nicht-Deutsche usw. Entsorgungspark, Betriebsverschlankung und Freisetzung sind bekannte Unwörter; vielleicht ist „Unwort“ selbst auch ein Unwort. Die Sprache wird immer weiter gewändert und gegendert, ihre Schöpfungen kriechen der gegenwärtigen Meinungslage in den Arsch. Die Begriffsungetüme, unter denen sich wohl niemand mehr etwas sinnlich Erfassbares vorstellen kann, werden gegen die exekutiert, die so blöde waren, sich zu Antragsstellungen und anderen Formen der Kontaktaufnahme überreden zu lassen. Hirn verbrannt. Nein, wir wollen keine Staatsknete!

Den Termin morgen absagen? Erst mal sehen, was R.W. dazu meint. Sie kommt abends – ein selbsterregender Wirbelwind. Nach ihrer dritten Unterrichtseinheit über Förderprogramme heute ist sie bestens in Fahrt. Sie lässt sich unsere Pläne schildern, nippt am Wein, blättert in den Akten, überfliegt Passagen und fragt: „Wo seht ihr das Problem? Ich seh’ keins.“  Schon kommt uns alles wieder machbar und greifbar vor. Thomas rechnet. „50.000 – kann man so’ne Summe beantragen?“ „Warum denn nicht, bis 200.000“. Und wenn man nicht ALG II berechtigt ist? „Wieso,  ist doch kein Programm vom Job Center, kannst die Personalkosten beim Europäischen Sozialfonds beantragen“. Sie redet noch eine Weile gegen unsere vermeintliche Verstocktheit an und sagt uns, wir sollen uns nicht anstellen und uns da morgen beraten lassen. „Aber ihr müsst klären, ob das Programm für das Regionalbudget des Landrates Teil des Programms für die Neugliederung der Förderung ländlicher Gebiete ist oder ein anderes EU-Projekt ist, das für sich allein steht.“ Unser Mut sinkt wieder. Sie lässt uns zum Trost und Rat ihren dicken Ordner mit den Förderrichtlinien da, als sie geht. Seine papierene Fülle bläht die roten Deckel. Rosa Merkzettel-Zungen strecken sich in alle Richtungen. Sie sind die Wegweiser zu den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis über die Machbarkeit der Gestaltung und Umsetzung eigener Ideen – wenn man sich an die dann noch erinnern kann.

 

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2007/01/25/die-machbarkeit-der-gestaltung-innovativer-entwicklungsprozesse-als-beitrag-zur-risikominderung/

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kommentare

  • Zu einer Realsatire hat sich jetzt die Regelungswut deutscher und europäischer Politiker verdichtet: Nach einer EU-Richtlinie muß jedes Bundesland ein Seilbahngesetz erlassen, egal, wie flach es beschaffen ist.
    Als das Paragraphenwerk vor einem Jahr im Kieler Landtag verabschiedet wurde, haben die Abgeordneten darüber gelacht – so als hätten sie mit der Politik ihrer Parteien in Brüssel nichts zu tun. Danach verschwand das Gesetz ohne weitere Veranlassung in der Schublade.
    Nun aber plant Lauenburg an der Elbe tatsächlich eine Seilbahn. Sie soll die Altstadt am Elbufer mit den 50 Meter höher gelegenen Stadtteilen verbinden. Allerdings hat das Verkehrsministerium in Kiel kein Amt eingerichtet, bei dem man – wie vom Gesetz vorgeschrieben – eine Seilbahn beantragen und prüfen lassen kann. Es fühlt sich niemand zuständig. Die Lauenburger Stadtverwaltung will mit dem Genehmigungsverfahren deshalb nach Bayern ausweichen, wo es – wegen der vielen Berge – eine entsprechende Behörde gibt. Für dieses bürokratische Ausweichmanöver braucht Schleswig-Holstein jedoch einen Staatsvertrag mit Bayern. Wie die Groteske letztlich ausgeht, wird abzuwarten sein. Es zeigt sich aber einmal mehr, daß das Auftürmen immer neuer Kompetenzebenen – Kommune, Land, Bund, EU – von den dafür Verantwortlichen längst nicht mehr überblickt und sachgerecht gehandhabt wird. Darüber kann man lachen wie die Parlamentarier in Kiel. Die damit verbundenen Kosten hat freilich der Steuerzahler zu tragen.

  • Liebe LandbewohnerInnen nutzt die Ressourcen, die euch zur Verfügung stehen!

    Ein Ratschlag Robert Gernhardts:

    Lehrmeisterin Natur

    Vom Efeu können wir viel lernen:
    er ist sehr grün und läuft spitz aus.
    Er rankt rasch, und er ist vom Haus,
    an dem er wächst, schwer zu entfernen.

    Was uns der Efeu lehrt? Ich will es so umschreiben:
    Das Grünsein lehrt er uns. Das rasche Ranken.
    Den spitzen Auslauf und, um den Gedanken
    noch abzurunden: auch das Haftenbleiben.

  • Nur nicht den Glauben an sich selbst verlieren; und schon garnicht dem Geldmythos auf den Leim gehen, daß es das Geld ist, was alles verwirklicht. Es geht, um die Gewissheit, daß ein Traum niemalsnicht daran gehindert werden kann, ans Tageslicht zu kommen; das trüben, träumen und trümmern des Einzelnen ist wirklicher, als StaatsBundReichrealichkeit und Generalvervvordnung.

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