vonImma Luise Harms 08.04.2008

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Oderhochwasser im AmateurfilmDie Zeit fürs Geschichten-Schreiben ist in den letzten Wochen knapp geworden, weil ich im Auftrag des Amtes im Oderbruch unterwegs war. Davon will ich jetzt erzählen, denn irgendwo muss ich ja wieder anfangen.

Vor fast elf Jahren, im Juli und August 1997, staute sich die Oder zu einer Flutwelle auf, die dem Oderbruch buchstäblich bis zum Halse stand. Dass der Fluss dann doch in seinem Bett gehalten werden konnte, wurde im letzten Jahr hier ausgiebig gefeiert. Das Amt Barnim-Oderbruch hatte aus dem Anlass alle Amateurfilmer aus der Umgebung aufgefordert, ihr Filmmaterial von den aufregenden Tagen für eine Zusammenstellung zur Verfügung zu stellen. Das haben dann auch neun Filmer getan.

Aber das Amt braucht viel Zeit und Aufmerksamkeit, um sich selbst in Gang zu halten. So blieb das Projekt liegen, bis die Feiern vorüber waren und die Filmer ungeduldig wurden und ihr Material zurückhaben wollten. Nun sollte aber doch noch was damit passieren. Eine Dokumentarfilmerin, nämlich ich, wurde gefunden, die dem ganzen eine Form geben sollte. Ich habe also 20 Stunden Videomaterial gesichtet, dessen Bilder im wörtlichen Sinn erschüttert sind und dessen Originalton authentischer nicht sein könnte.

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Für die, die sich nicht so auskennen, will ich die Ereignisse kurz zusammenfassen.

Das Oderhochwasser stand im Juli 1997 sechs bis sieben Meter über der Landhöhe. Nur der Deich trennte die ungeheuren Wasserfluten von der Tiefebene des Oder­bruchs. Der mit einer Grasnarbe überzogene Sandwall durchweichte bald und an vielen Stellen fing das Wasser an, von unten durchzusickern. Bei Hohenwutzen kam es am 25. und am 30. Juli zu dramatischen Abbrüchen und Abrutschungen des Deichs auf der Landseite. Das Oderbruch wurde evakuiert, die Bundeswehr wurde eingesetzt, um den Deich zu halten. Zu Land, zu Wasser und in der Luft wurden Transportketten gebildet, die Sandsäcke von überall heranschafften. Tausende von Bundeswehr-Rekruten waren abkommandiert, die Deichabbrüche mit den Sandsäcken auszulegen. Aber auch alle Bewohner, die nicht das Weite gesucht hatten, schippten Sand oder halfen anderswo. Wie durch ein Wunder gelang es, den schon fast aufgegebenen Deichrest doch noch abzustützen.

Während der fieberhaften Tätigkeiten versuchte man Schaulustige, Presseleute und alle anderen, die nur im Weg herumstanden, vom Deich fernzuhalten. Deshalb stammen die Amateurfilmer-Aufnahmen von Leuten, die entweder unmittelbar am Ort des Geschehens wohnten oder die in einer Funktion auf dem Deich unterwegs waren.

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H.L. aus Groß Neuendorf war Maurer, nach mehreren Schlaganfällen ist er Invalide und kann sich heute nur noch mit den Stock bewegen. Seine Aufnahmen zeigen Groß Neuendorf als Sand-Umschlagplatz. Containerweise kommen die Sandladungen, die auf dem Dorfplatz von der Bevölkerung in Säcke geschippt werden. Groß Neuendorf war auch logistischer Stützpunkt für viele der Bundeswehrkompanien. H.L. zeigt sie beim Marschieren, beim Sandsäcke-Stapeln und beim Feiern, wenn sie fröhlich das Lied vom Westerwald singen und übermütige Spielchen machen.
H.L. zeigt auch, wie der „Herr Bundeskanzler Kohl“ eingeflogen kommt, um den Betroffenen Trost und seinen Soldaten Kraft zuzusprechen. Es ist H.L. sogar gelungen, ihm die Hand zu schütteln.

K.L. aus Hohenwutzen sitzt heute einsam rauchend in seiner Wohnzimmergarnitur; früher war er NVA Offizier bei den Grenztruppen und der Abschnittsverantwortliche für den Grenzübergang an dieser Stelle. Sein breites Sächseln verrät, dass er hier hergeschickt wurde. Seine ehemalige Position verschaffte ihm Zugang zum Deich und färbt auch seinen Bericht von den Ereignissen. Herrn Platzek habe er erst daran erinnern müssen, dass der ja auch mal unter ihm an der Grenze als kleiner Soldat gedient habe. Mit Herrn Kirchbach (gemeint ist General von Kirchbach, der den Bundeswehreinsatz im Oderbruch leitete und hier als Held gefeiert wird) also mit diesem Herrn Kirchbach sei die Zusammenarbeit angenehm gewesen, der habe große Kompetenz gezeigt. Aber als dann der damalige Verteidigungsminister Rühe mit Bus und seinem ganzen Tross auf den Deich raufgefahren sei, habe er das nicht gern gesehen.

H.B. ist Wirt in dem etwas höher gelegenen Altglietzen, deutscher Anglermeister in einer bestimmten Fischart, und Verwandter einer von der Evakuierung betroffenen Familie in Neurüdnitz, das direkt hinter der dünn gewordenen Deichstelle liegt. Er dokumentiert das Ausräumen der Wohnung, den Aufbruch und auch den besorgten Blick der Anwohner auf die Abbruchstellen. Er fährt mit mir noch einmal zu den Stellen, wo er gefilmt hat, vor allem zum „Rutsch“, wie die Gefahrenstellen von 1997 hier genannt wird, zum berühmten Kilometerstein 70,4, der damals mit dem halben Deich in die Tiefe gestürzt war. Den Kilometerstein finden wir nicht, „ist wohl wieder geklaut“, meint B. Er hat nicht nur die Hubschrauberflüge und Bundeswehr-Aktivitäten dokumentiert, sondern auch wie die Anwohner mit allen Fahrzeugen, die noch zur Verfügung standen, Sandsäcke zum Deich fahren und die abgerutschten Stellen ausbessern.

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U.K. war Bürgermeister in Neuküstrinchen. Er hat die Polizeifahrzeuge aufgenommen, die durch den Ort rollen und die Einwohner zur Evakuierung auffordern. Er zeigt, wie die Fahrzeugkolonnen das Dorf verlassen, rennt selbst zum Deich und sieht, wie auch die Bundeswehrsoldaten vor dem als sicher angenommenen Deichbruch flüchten. K. erzählt, dass er lieber auf dem Deich als im Hinterland war. In der Nähe des Wassers hat er sich sicherer gefühlt, weil er da wenigstens gesehen hat, was los ist.

H.P. ist ein heute 80-jähriger Rentner, Akkordeonspieler und Chronikschreiber. Sein Haus liegt am Fuß des Oderbergs, einer kleinen Erhöhung im nördlichen Oderbruch. Haus und Garten waren der Logenplatz für die Start- und Landeaktionen der Bundeswehr-Hubschrauber, die von einem Platz bei Hohenwutzen Netze mit Sandsäcken abholten und zum Deich flogen. P. hat vor allem seine Emotionen illustriert: „Wir können dem Herrgott nicht genug danken, dass wir auch heute noch trockenen Fußes sind“. Mit erschreckten Augen tritt er selbst vor seine Kamera und spricht von den unzähligen Anrufen der Freunde und Verwandten, die sich besorgt nach ihnen erkundigen, dabei aber das Klima der Angst nur weiter vergrößern.

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R.L. ist aus Wriezen. Zur Zeit des Hochwassers war er Medienbeauftragter des Kreises und durfte mit Spezialausweis die Aktivisten auf dem Deich begleiten. Seine verschwommenen Bilder zeigen das Geschehen nur schemenhaft. Das liegt nicht nur daran, dass er eine schlechte Kamera hatte, in deren Handhabung er nicht richtig eingewiesen war. Es liegt auch daran, dass er genau wie die meisten anderen Filmer seine Originalkassetten längst überspielt und die ursprünglichen Bilder auf einer schlechten VHS-Kopie aufgehoben hat. Manchmal geben die Erzählungen den Bildern ihre Schärfe zurück: „Der Deich war ganz aufgeweicht; man hatte das Gefühl, dass man sich auf Gummi bewegte“. „Die Hubschrauber haben mit ihren Rotorenblättern einen ungeheuren Druck auf den Deich ausgeübt. Einmal schrie mich der Einweiser an, ich soll mich sofort auf den Boden werfen, sonst hätte mich der Luftdruck ins Wasser gefegt.“

Auch D.H. aus Bad Freienwalde war in einer Funktion am Deich unterwegs. Er hat die großen Flächen der ausgelegten Sandsäcke gefilmt und dabei beobachtet, wo sie alle herkamen: aus Spanien, Italien, aus Argentinien oder den USA. Zuckersäcke aus Pforzheim z.B., „das ist ja in den Alt-Bundesländern“ bemerkt er. D. H. weiß auch, wo die Säcke – 9 Millionen! – geblieben sind: auf der Müllkippe von Wriezen. „Die waren ja nicht mehr zu gebrauchen, waren ja völlig kontaminiert“ Mit dem Oderhochwasser waren Öl, Gift und Fäkalien aus den überschwemmten Gebieten, vor allem in Tschechien und Polen, in die Oder gelangt und hatten nach dem Zurückweichen überall braunes Land mit abgestorbener Vegetation zurückgelassen. D.H. hat auch dokumentiert, wie der gefährdete Deich einige Monate später neu aufgebaut wurde. Auf beiden Seiten wurde eine Wand von Lehm und Ton in die sandige Erde eingezogen, um das gefährliche Durchsickern des Grundwassers beim nächsten Hochwasser zu verhindern.

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B.S. aus Neuküstrinchen hat erst nach Abklingen der Flut das Glück des Chronisten beim Sammeln von Bildern für sich entdeckt. So musste er sich auf das Abfilmen der Feierlichkeiten danach beschränken. Ein Jahr nach dem Hochwasser, im August 1998, wurde auf dem Sommerdeich bei Neureetz ein Monument eingeweiht, und nicht nur der verehrte General von Kirchbach war wieder dabei sondern auch alle die Polit-Gesichter, die ihre Nasen schon während des Hochwassers in die Kameras gehalten hatten.

Zehn Jahre später gab es noch eine Feier, eben die, zu der der Film vom Oderhochwasser nicht fertig wurde. Dafür wurden noch einmal Sandsäcke als Rednerpult und als Altar für einen ökumenischen Gottesdienst aufgeschichtet, flogen noch einmal Hubschrauber Ehrenrunden und konnte „Deichgraf“ Platzek noch ein­mal die Brandenburger mahnen, mit ihrer Tatkraft nicht nur den Deich zu halten sondern auch die deutsche Einigung zur Vollendung zu bringen. Hier tritt B.S. selbst als Interviewpartner von Uli Zelle vom RBB auf. Zelle fragt, ob die Gefahr eines Deichbruchs für die Zukunft gebannt sei. B.S. antwortet, die Gefahr liege vor allem darin, dass jetzt die Polen auch Deiche bauen und deren bisherige Überschwemmungsgebiete nicht mehr zur Verfügung stehen. Er erwähnt nicht, dass die Versuche, auch im Oderbruch wieder mehr Schwemmland für Oderhochwasser zur Verfügung zu stellen, an den Oderbruch-Bauern gescheitert ist, die sich weigern, dafür Land herzugeben.

Wen der Film interessiert:

„Bilder vom Deich – Die Amateurfilmrolle vom Oderhochwasser 1997“

D 2008, 58 Min.

all.install2@gmx.de

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2008/04/08/das-glueck-des-chronisten-beim-sammeln-von-bildern/

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kommentare

  • liebe imma,

    hast viel geschafft, wa…
    dass du bild UND text kannst, hast du mit euren dvd zu theaterstücken schon bewiesen!! …amateurfilmer sind halt keine medienleute, dafür liefern sie ganz andere einsichten “von unten”, und das kommt aus deinem blog rüber…

    liebe grusskuesse von deiner lena

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