vonImma Luise Harms 03.07.2008

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Zu der Zeit, als West-Berlin noch eine Insel in DDR-Land war, hatte ich eine fragile Beziehung zu einem scheuen Hamburger. Die Verständigung war zart und schwierig. Zueinander reisen dauerte lang und war schwierig – ein Hindernislauf durch Ketten von Amtspersonen. „Bitte Ihre Reisedokumente. Waffen, Munition, Funkgeräte dabei?“
Telefongespräche mussten uns über die Distanz hinweghelfen. Aber wie kommt man sich durch Reden nah? Wir hätten uns aus unserem Alltag erzählen können, wenn wir ein altes Paar mit langer Beziehungsgeschichte gewesen wären. Aber diesem vorsichtigen Tasten, diesem Weglauf-Hinterherlauf-Spiel einer neuen Verliebtheit bekommt das Telefonieren nicht gut. „Du musst nicht am Wochenende kommen, wenn du nicht willst“, „ – – “, „Wir könnten uns auch in der Woche danach treffen, vielleicht für ein paar Tage länger“, „Ja, wenn du das gerne möchtest“, „Sonst hätte ich das doch nicht vorgeschlagen, aber was ist mit dir?“, „- – -“, „- – -“, „Ich weiß nicht, ich würd’ dich schon gerne sehen, aber ich muss noch mein Referat fertigmachen“, „Ja, dann ist das schwierig – – -“, „Bist du jetzt sauer?“, „- – – nein, wieso denn?“ Und so weiter. Wir lauschen in das Atmen hinein, spüren dem Verebben und dem Wieder-Heranfluten der redenden Berührungsversuche nach.
Die Telefonverbindung zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet wurde durch teure Richtfunkstrecken aufrecht erhalten. Kodiert und komprimiert, wurden hier tausende von Gesprächen versandt: Notwendiges und Sinnloses, Zärtliches und Heimtückisches, Streits, einseitiges Geplapper, knappe geschäftliche Anweisungen, Familienklatsch. Ein noch in den Anfängen steckendes intelligentes Kommunikationsmanagement teilte die jeweils freien Kanäle zu. Dessen Logik konnte nicht zwischen wichtigen und unwichtigen Inhalten unterscheiden, nur zwischen Signal und Stille, wobei sie das Sprechen mit „Signal“ und das Schweigen mit „Stille“ identifizierte. Das war natürlich ganz falsch, denn Stille bedeutete für das Leitungs-Zuteilungsmanagemet, dass diese Verbindung gerade nicht gebraucht wird und anderweitig vergeben werden kann. Was für eine Katastrophe für das beredte Schweigen, es hatte keine Chance mehr, wenn es unter -20 db fiel. „Hast du XY noch mal gesehen?“, „Ja, gestern, aber nur ganz kurz“, „Und? Wie ging es dir damit?“ (Funkloch) „Bist du noch da?“, „Ja, sicher“ (Funkloch) „“Dann sag doch was!“, „Was soll ich denn dazu sagen?!“ (Funkloch).
Die modernere Kommunikationstechnik würde eine sanfte Atmosphäre einblenden, damit die Gesprächsbeteiligten keine rhetorischen Erstickungsgefühle kriegen. Vielleicht tut sie es ja auch schon. Telefongespräche sind durch die exzessive Konkurrenz billig geworden. Es gibt Flatrates und Billignummern, dabei hinterlistige, die schwer kontrollierbar zwischen Quasi-Nulltarif und Hochpreistarif umschalten. Irgendwie muss die aufwändige Bewerbung ja finanziert werden.
Auch wenn man gegen die kapitalistische Inwertsetzung aller Lebensbereiche ist, erfasst einen deren Logik oft hinterrücks, und ehe man sich’s versieht, denkt und plant man mit. So machte S. neulich einen teuflischen Verbesserungsvorschlag. Das Schweigen in den Gesprächen könnte erfasst und zur Einblendung von Werbebotschaften genutzt werden. Ich habe S. wegen seiner charakterlosen gedanklichen Mitarbeit an destruktiven Entwicklungen natürlich streng getadelt, konnte mich aber nicht davon abhalten, über die Realisierbarkeit seiner Fantasie weiterzuspekulieren.
Vorbereitet würde die Nutzung der Ressource Schweigen wahrscheinlich durch das tückische Angebot, die Telefonatmosphäre durch die Gestaltung einer angenehmen Hintergrundakustik zu verbessern, zum Beispiel durch die Atmosphäre eines Cafés oder Theaterfoyers oder durch das milde Murmeln eines Gebirgsbaches, vielleicht auch durch die Einblendung leicht bekömmlicher Hintergrundmusik. Dazu müsste die Gesprächsatmosphäre als Qualitätsmerkmal von Telefonverbindungen zunächst erkannt und werbebotschaftlich dargestellt werden. Dann folgt die Vermarktung als „Stimmungskanäle“ für Kunden mit nie versiegendem Distinktionsbedürfnis.
Ist die Technologie der Gesprächspausenerschließung erstmal entwickelt, kann sie anderen Vermarktungssparten zugeführt werden. Zum Beispiel so: Umsonst-Gespräche mit Anschlußkosten-Rückerstattung, wenn Werbebotschaften in den Gesprächspausen akzeptiert werden. Es könnten unterschiedliche Kategorien angeboten werden, je nachdem, wie schnell die Werbung einsetzt und wie lange sie dauert.
Da ließe sich dann noch viel mehr rausholen, wenn man an die Abhörtechnologie denkt, mit der die Regierung auf Terroristen-Keyword-Jagd in den Telefongesprächen ihrer Bürger gehen will. Eine halbwegs intelligente Software wird ja in der Lage sein zu erkennen, ob es in dem Gespräch z.B. um Reisepläne geht. Dazu gibt es viele Produkte, deren Anschaffung empfohlen werden kann. Oder die lieben Kinder, an ihren Stimmen leicht zu erkennen, freuen sich über den Hinweis, dass heute ihre Lieblings-Comicserie im TV läuft.
Schließlich werden Telefongespräche mit Werbeeinblendungen der Standard; dann kann man die Werbefreiheit als besonderes Qualitätsmerkmal von Telefonverbindungen wieder neu vermarkten. So ist Kapitalismus: immer innovations- und wachstumsbereit. Wer damit Probleme hat, wird gefragt, ob er/sie denn zurück in die Steinzeit will, zurück in die Zeit der handgekurbelten Funkverbindung, bei der immer nur eine eingleisige Leitung zur Verfügung steht, auf der sich die beiden Gesprächsteilnehmer gegenseitig den Weg freigeben müssen, als handele es sich um eine zu schmale Brücke.
Engpässe behindern, aber wie wir wissen, enthält jede Behinderung auch Chancen für bisher nicht bedachte Entwicklungen. Wenn der Gesprächspartner seinen Sätzen ausdrücklich das Ende setzen muss, um dem anderen die Leitung zu überlassen, legt er damit fest, welches Schweigen zu seiner Rede gehört und wo das Schweigen des anderen anfängt. Die Zäsur „bitte kommen“ ist eine klare Entscheidung, den Gesprächverlauf jetzt in die Verantwortung des Gegenübers zu legen. Der muss sich dazu verhalten, auch wenn er seine Botschaft auf die einfache Wieder-Freigabe der Leitung beschränkt: „Bitte kommen“ – „Bitte kommen!“ – „Bitte kommen!!“. Die Beziehung mit meinem scheuen Hamburger Freund hätte durch so einen Gesprächsverlauf vielleicht eine ganz andere Wendung bekommen.

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kommentare

  • Liebe Imma, ich finde es unverantwortlich, sowas zu schreiben. Wenn mir irgendetwas dieser Art jemals von einer Telekommunikationsgesellschaft angeboten werden sollte, werde ich dich heimsuchen.

    Coni

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