vonImma Luise Harms 30.11.2012

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Bei Gemeindeangelegenheiten ist es höflich, sich die Hand zu schütteln. Das gilt für alle Zusammenkünfte, ob man nun herumsteht oder um Tische sitzt. Da werden komplexe Kreise gedreht und vielarmige Kontakte hergestellt. Die Handflächen scheinen geheime Botschaften zu enthalten, die gleichmäßig weiter verteilt werden.
Die Höflichkeit erfordert es nicht, sich vorzustellen. Deswegen werden bei öffentlichen Anlässen auch immer wieder sich zufällig in Reichweite befindende Arme ergriffen. Die Aufforderung dazu kommt wie aus der Pistole geschossen: auf Taillenhöhe wartet der gestreckte, aufrecht gestellte Handteller, der Daumen weist wie ein gespannter Hahn nach oben. Im nächsten Moment hat er, der Daumen, sich um den Handrücken des genötigten Gegenübers geschlossen, drückt ihn beliebig lange und schleudert die Hand – und in ihrer Verlängerung den Unterarm – nach oben und dann wieder nach unten, bevor er ihn freigibt. Besser, man schappt zuerst zu, dann hat man den Prozess in der Hand.
Manchmal nehme ich dabei die Pose der leutseligen reifen Dame ein und lege meine linke Hand gewinnend auf den Rücken der ergriffenen Hand, behüte gewissermaßen den gerade geschlossenen Bund.

Die Jugendkultur hat andere Varianten entwickelt, Fäuste gegeneinander oder mit den erhobenen Handtellern aneinander klatschen oder komplizierte Kombinationen davon. Das heißt „Check“ und ist städtisch, davon will ich hier nicht reden. Auch nicht von Handküssen, bei denen – anders als beim Essbesteck – die Etikette gilt, dass der Mund sich zur Hand zu beugen hat. Das macht zum Beispiel J. ganz falsch, wenn er zeigen will, dass er charmant sein kann. Dann zieht er die nach dem oben beschriebenen Schüttelmodus ergriffene Hand der Dame in die Nähe seines Mundes, sichert sie zusätzlich mit der linken Hand, damit sie nicht entschlüpfen kann, hält inne, schaut über den Rand seiner Brille, als wolle er den Moment des Handkusses lustvoll dehnen, sagt etwas Bedeutungsvolles – und lässt dann ab. Ja, nun habe ich doch drüber geredet. Aber nun bin ich dann auch beim Kuss.

Denn Stadt und Land mischen sich ja. Während die ländlichen Angewohnheiten im großen Mahlstrom der urbanen Kultur allmählich verschwinden, zieht das Französelnde im Verhaltensgepäck der Stadtflüchtlinge aufs Land. Küßchen, Küßchen. Gesäß nach hinten rausgeschoben wie beim argentinischen Tango, nicht berühren, höchstens flüchtiger Hautkontakt der Mundwinkel und ein zartes „p“ am Ohr der Betroffenen vorbei gehaucht. Ich bekämpfe das. Bin ich Französin? Wenn ich kann, umgreife ich mein Gegenüber und ziehe es regelwidrig an mich heran, bis die Körperfronten in Kontakt gehen, zwinge auch die Wangen aufeinander und lasse dann locker. Schwierig, wenn das Gegenüber auch die andere Wange hinhalten will und ich mich im Rückzug umentscheide und als Konzession das zweite Küßchen gewähren will. Dann stoßen die Nasen zusammen. Das tun sie auch mal, wenn nicht eindeutig ist, ob erst rechts oder erst links geküsst wird. Dann hat die Etikette versagt; sie soll ja gerade dafür sorgen, dass Kontaktaufnahmen ohne Bloßstellungen ablaufen.

Dieses Verständigungsproblem gibt es auch bei der handfesten traditionellen Umarmung. Zwei seitlich ausgestrecke Arme kommen sich leicht ins Gehege. Da gibt es dann die Männer-Frauen-Kodierung: die Frau hängt sich um den Hals, der Mann umfasst die Taille. Das kann bei eindeutigen Größenunterschieden auch geschlechtsübergreifend so gemacht werden. Männer klopfen sich dabei gerne noch auf den Rücken. Warum eigentlich? Es wirkt wie ein verlegenes wieder Abklopfen der Berührungsintimität durch Konnotation als väterliche Anerkennung oder Aufmunterung.

Es gibt in der Umarmungtechnik auch noch die Variante des Kreuzgriffs. Die Arme legen sich wie eine Schärpe diagonal um den Leib des Gegenübers. Auch dabei können Körperteile unschön aneinanderstoßen, wenn nicht klar ist, ob der linke Arm unten oder oben ist. Vorausschauende Diagonal-UmarmerInnen segeln deshalb in eindeutiger Schräglage aufeinander zu, damit Kollisionen durch Fehlstellungen schon vor dem Auftreffen der Körper korrigiert werden können.

Und es gibt den Übergriff: S. und P. zum Beispiel knutschen beim Umarmen. Das heißt, sie greifen das Gegenüber, legen es sich in ihrem Arm zurecht und beschmatzen seine Wange ausgiebig und geräuschvoll. Da gibt es kein Entkommen.

In kritisch-solidarischen Kreisen hat sich die Umarmung als absolutes Muss durchgesetzt. Alle umarmen sich, wie sich auf Dorffesten alle schütteln. Wie umarmt man sich, wenn man sich nicht umarmen will? Flüchtig und mit minimaler Berührung. Und einarmig. Der rechte Arm legt sich kurz auf den Rücken des Gegenübers, Wange oder auch Schläfe gehen flüchtig in Kontakt, und schon ist es vorbei. Auch da nehmen manche schon in der Annäherung eine eindeutige Haltung ein: die Schulter ist vorgeschoben, der Arm in halbrunder Stellung aufnahmebereit, der Kopf seitlich gestellt, dass die Berührungswange in Front geht.

Ich wünsche mir mehr Variationsmöglichkeiten. Manchmal greife ich doch entgegen den Gepflogenheiten mit beiden Armen zu und halte ein bisschen länger fest, um zu spüren, wann es dem Gegenüber ungemütlich wird. Ich versende mutwillig Signale, um zu erkunden, wo die zugelassene Etikette endet und die umarmte Person anfängt, sich Gedanken über die Art der Berührung zu machen.

Umgekehrt ist es schwieriger. Wie entkommen? Ich dachte schon an ein T-Shirt mit einer freimütigen Aufschrift: „Bitte nicht umarmen. Mir ist grad nicht danach.“ Das ist zu deutlich. Der Sinn der Etikette ist, Verhalten ohne Stellungnahme zu ermöglichen. Ich komme auch nicht ohne dieses Versteck aus. So habe ich nun eine schon seit Wochen anhaltende ansteckende Bronchitis, der man besser nicht zu nahe kommt. Ich meine es nur gut mit meinen kritisch-solidarischen Freunden und Freundinnen. K. hält das nicht zurück. Als ich sage: „Vorsicht, ich hab ne Erkältung“, lächelt sie und antwortet: „Das macht nichts, ich hab dieselbe,“ und zieht mich an ihr Herz.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2012/11/30/hand-kuss-kodierungen-in-kuhlen-zeiten/

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kommentare

  • Ach Imma,
    rasch vor dem Taxifahren ein Wort zur Jottwehdeh-Kussanatomie: wenn sowas schon mit K. endet lese ich’s gleich nochmal und freue mich auf die nächsten Begegnungen an diversen Taxihalten. Das Aneinanderrankommen (ich beobachte es etwa seit 1975 bei den frauenbewegten Freundinnen und habe es damals gleich bei Mama ausprobiert, als sie mich in Berlin besuchte – die bekamn vielleicht Augen!!) macht mir seither trotz allem viel mehr Freude als ehedem der korrekte Händedruck. Danke für die hübsche Aufklärung. Vermutlich bin ich ab jetzt noch viel aufmerksamer – und natürlich auch vorsichtiger – beim Zeremoniell.
    Gruß Heiner

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