vonImma Luise Harms 26.08.2013

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Um kurz vor sieben scheint die Morgensonne schräg von hinten auf dem Schlossturm und auf die Fahne, die dort seit gestern wieder hängt. Keine mit Herzchen, keine klassische rote Turmfahne, sondern eine pinkfarbene, am Rand schon reichlich zerfetzt. „ObiL“ steht drauf, und ein hochgereckter Daumen. Das „M“ ist gestern schon abgerissen und von vielen „Ohs“ begleitet als pinkfarbener Stoffdrachen über den Schlossplatz gesegelt.
An meinem Schrank, direkt neben dem Fenster, also in einer Blickachse mit der Schlossfahne, hängt ein pinkfarbenes Jackett, unzerfetzt. Ich habe es zufällig bei Humana gefunden und für meinen Auftritt auf der MObiL-Eröffnung gestern gekauft. Pink ist die Erkennungsfarbe von MObiL, der Mitfahr-Dezentrale aus Reichenow, bekannt in Stadt und Land durch das ebenfalls pinkfarbene mobile Büro, das bei allen Gelegenheiten im Landkreis um TeilnehmerInnen wirbt.
Gestern also großer Bahnhof auf dem Rondell vor dem Schloss, mit vielen Amt- und WürdenträgerInnen, mit vielen der bisherigen MObiL-Mitglieder. Thomas ist der Veranstalter und moderiert mit Charme. Tobias Morgenstern & friends vom Theater am Rand inszenieren das neue Mitfahrsystem musikalisch, es gibt MöHRe-Kuchen, Gutshof-Pizzabrot und gesponsorten Saft von der Bergschäferei. Danach ein ausuferndes Gruppenfoto aller bisher Beteiligten und einen Autokorso mit beflaggten MObiL-Teilnehmer-Autos. Davor gab es Reden und Großworte. Eine durfte ich halten. Es war auch hier wieder der Versuch, die Grenze der Wohlanständigkeit zu überschreiten, was mir gelungen ist; anwesende Politiker haben sich pikiert gegen meine Anmache verwahrt. Ich hatte schon die Befürchtung, dass meine Sätze zu komplex und zu abstrakt wären. Aber viele haben mich angesprochen und nach dem Text der Rede gefragt. Deshalb steht sie hier noch mal:
……………
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
ich bin gebeten worden, den Start des MObiL-Projektes mit ein paar Gedanken zu begleiten. Also will ich der Frage nachgehen, worin liegt das Bereichernde oder, wie es so schön heißt, das Zukunftsweisende, wenn sich auf der Basis einer lockeren Organisation wie MObiL spontane Fahrgemeinschaften bilden.
Erlauben Sie, dass ich nicht sofort zur Sache komme, sondern zunächst kurz über die Hintergründe rede. Es ist bekannt, dass die ländlichen Regionen sowohl finanziell als auch infrastrukturell ausbluten. Das Geld fließt nach oben, dort wo die großen Banken ihre Finanzlöcher bereithalten oder Drohnenprojekte Milliarden verschlingen. Nicht zu vergessen, es handelt sich dabei um Solidarvermögen, das aus unser aller Steuern stammt. Es ist dazu gedacht, das gesellschaftliche Zusammenleben ohne Ansehen von Arm und Reich abzusichern – und ohne die Überlegung, ob es sich überhaupt lohnt.
Bei den ländlichen Regionen wird diese Effizienzrechnung bedenkenlos angewandt. Dorthin rinnt das Geld immer knapper, mit der Begründung, dass dort ja auch immer weniger Menschen leben, die Ausgaben also nicht gerechtfertigt seien. Aber egal, wie viele Menschen in welcher Region leben, alle haben das gleiche Bedürfnis nach Bildung, Kultur, ärztlicher Versorgung, Transport oder Kommunikation – und den gleichen Anspruch darauf.
Wir dürfen nicht aufhören, uns gegen die Unterordnung unserer Gemeinschaftslebens unter ökonomische Kalküls zu wehren. Deshalb sage ich es gerade hier: es ist ein Skandal, wenn im letzten Reichenower Haushalt gerade mal 12.000 Euro zur Investition in dörfliche Belange übrig geblieben sind; alles andere ist gebunden oder fließt in die übergeordnete Administration. Es ist ein Skandal, dass die Schulen in der Region geschlossen werden, wenn eine bestimmte Schülerzahl unterschritten wird. Und es ist ein Skandal, dass es Tage gibt, an denen nicht ein einziger Bus das Dorf Reichenow anfährt.
Wir müssen fordern, aber wir sollten nicht ergeben abwarten, bis unsere Forderungen erfüllt werden. Wir sollten auch unsere Möglichkeiten zur Selbsthilfe entdecken und verbessern, auch um von der Einlösung staatlicher Pflichten unabhängiger zu werden. Das ist das, was gegenwärtig unter dem Stichwort Commons fast schon zum Modethema geworden ist: Ressourcen gemeinsam nutzen, sich gegenseitig Hilfe leisten, gemeinsam und unentgeltlich an Projekten arbeiten, die allen nützen.
Ich würde sagen, Reichenow kann in dieser Hinsicht als vorbildlich angesehen werden: Die Feste, die dörflichen Einrichtungen, der MöHRe-Verein und seine Aktivitäten, vieles beruht auf der freien Initiative und uneigennützigen Zusammenarbeit von Reichenower Bürgern und Bürgerinnen.
Der Individualverkehr war allerdings bisher eine Grenze für das Verständnis von gemeinsamem Nutzen. Ein PKW-Innenraum ist von einer geradezu geheiligten Privatheit. Und auch das Bedürfnis, von A nach B zu kommen, gilt als privates Problem, das individuell gelöst werden muss. Man nimmt vielleicht den Nachbarn mit zu einer Veranstaltung im nächsten Ort, wenn es keine Umstände macht; oder man holt auch mal die Nachbarin von der S-Bahn ab, wenn sie gerade kein eigenes Auto zur Verfügung hat. Aber wer hält neben dem einzelnen Fußgänger auf der Landstraße und fragt von sich aus, ob er ihn vielleicht mitnehmen soll? Das sind am ehesten diejenigen, die wissen, was es heißt, in dieser Hinsicht auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Hier stellt MObiL ein wichtiges Bindeglied dar: Die Verbindlichkeit und Hilfsbereitschaft, die unter Nachbarn üblich ist, wird auf den Kreis der MObiL-Mitglieder ausgeweitet. Und das Projekt sorgt dafür, dass das Mitnehmen und Mitgenommen-werden sichtbarer, üblicher und damit vielleicht auch gesellschaftlich akzeptierter wird.
Und da bin ich an dem möglicherweise wichtigsten Gewinn durch MObiL. Es ist ein Projekt der organisierten und damit erleichterten Grenzüberschreitung. Oder anders ausgedrückt, es ist ein Projekt, in dem sich die Beteiligten bewusst gegenseitig etwas zumuten.
Alle, die es schon mal gemacht haben, wissen: man muss sich schon einen Ruck geben, um sich auf der Straße den vorbei fahrenden Autos zuzuwenden und den Daumen, oder hier jetzt die MObiL-Karte herauszuhalten. Warum kostet es Überwindung?
Wer trampt, bittet öffentlich um Hilfe. Er bzw. sie macht sichtbar, dass er oder sie die anderen Menschen braucht, und tut das ganz selbstbewusst. Und gerade das erscheint wie ein Sakrileg an einem Grundpfeiler der Individualgesellschaft: der persönlichen Unabhängigkeit. Man kann ihn auf den knappen Satz reduzieren: Auf keinen Fall jemandem zur Last fallen.
Warum ist vielen Menschen ihre Unabhängigkeit so wichtig? Ich glaube, sie vermittelt ein Gefühl von Sicherheit vor Auseinandersetzungen. Denn materielle Unabhängigkeit scheint davor zu schützen, mit anderen überhaupt in Kontakt treten zu müssen, um z.B. Wünsche zu äußern oder Wünsche zu verhandeln. Und Kontaktaufnahme bedeutet immer auch die Möglichkeit, missverstanden zu werden und in Konflikt zu geraten. Man will nicht fragen und damit andere in die Verlegenheit bringen, Nein sagen zu müssen, oder noch schlimmer, dass andere etwas gegen ihren Willen tun, weil sie nicht Nein sagen mögen, und einem das später nachtragen.
Zu dem MObiL-Projekt habe ich diesen Einwand öfter gehört: „Wenn ich so einen Aufkleber auf der Scheibe habe, dann MUSS ich die Leute ja mitnehmen.“ Nein, MÜSSEN Sie nicht. Es gibt keine Mitnahmepflicht bei MObiL. Machen Sie eine freundliche Geste und fahren Sie weiter, wenn Ihnen so zumute ist. Wer eine Bitte ausspricht, muss damit rechnen, dass sie nicht erfüllt wird, und darf das nicht persönlich nehmen. Wer eine Bitte zulässt – und das tun Sie ausdrücklich mit dem MObiL-Aufkleber auf Ihrem Auto – muss sich die Freiheit herausnehmen können, auch mal ohne schlechtes Gewissen Nein zu sagen, damit das Ja in anderen Fällen ein wirkliches, ein eigenes Ja ist. Nur selbst bestimmte Entscheidungen können die sozialen Beziehungen, in denen wir alle voneinander abhängig sind, zu einem Reich der Freiheit machen.
Abhängigkeit und Freiheit, das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Ich meine, die Unabhängigkeit aus Gründen der Konfliktvermeidung ist das, was letztlich zur Fessel wird. Denn das Abschotten von einander, der eigenen Sicherheit zuliebe, hat den schwerwiegenden Nachteil, dass man es verlernt, Möglichkeiten von Konflikten realistisch einzuschätzen. Vorsichtshalber geht man deshalb jeder Konfrontation lieber gleich aus dem Weg. So verkümmert die Fähigkeit, leicht und alltäglich Verbindungen zu einander aufzunehmen. Die Spekulationen darüber, was der oder die andere denkt oder vorhat, werden bodenlos. Und jede harmlose Frage kann zur Peinlichkeit, wenn nicht zur Bedrohung werden.
Der Daumen, die gehobene Hand oder hier die MObiL-Karte ist deshalb nicht nur die Bitte um Mitnahme, es ist die Zumutung an das Gegenüber, sich zu dieser Bitte zu verhalten, und es ist die Bereitschaft, die Entscheidung des Gegenübers zu akzeptieren. Dadurch ist es gleichzeitig eine Geste des Protestes gegen die Segmentierung der Gesellschaft in Kleinsteinheiten, die sich gegenseitig misstrauen und sich Feind sind.
Diese künstliche Grenze zu überwinden tut gut, weil sie hilft, den Reichtum menschlicher Beziehungen wieder zu erschließen. Und sie ist die Voraussetzung für jegliche Art politischen Handelns. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir die Fähigkeit haben, uns gegenseitig angstfrei anzusprechen. Dazu leistet das Mitfahrerprojekt MObiL einen wichtigen Beitrag.
Ich wünsche ihm einen guten Start und eine große Breitenwirkung.
…………………….
Auch Gerda, eine Freundin, die oft in Reichenow zu Gast ist, war begeistert. Sie war gestern mit ihrem neuen MObiL-Ausweis als eine der ersten von Strausberg nach Reichenow gefahren – „gemobst“, wie wir das nennen. Und sie hatte alles das, was ich abstrakt erörtert habe, tatsächlich konkret erlebt. Ihren sehr schönen Bericht möchte ich hier gleich noch anhängen:
……………….
Mobil in Mol
Als ich wie gewohnt etwas unkonzentriert nach der langen Fahrt in Strausberg Nord aus der S-Bahn tapere, wird es mir bewusst: Jetzt wird es ernst, jetzt geht es nicht weiter wie gewohnt.
Erstmal zum Geldautomaten. Das Taxi nach Reichenow kostet 22 Euro, das ist also der Einsatz, wenn ich nicht wegkomme. Imma meinte, ran an den Kreisverkehr. Ein Stück weg vom Bahnhof, da baue mich mit meiner pinken Reisetasche vor dem Kreisverkehr auf. Wie das so wirkt, mit so einer Reisetasche unterwegs zu sein?
Den rosa Ausweis gezückt. So, muss ich jetzt aber trotzdem den Daumen raushalten? Wahrscheinlich ja. Also mit der einen Hand den rosa Ausweis Richtung Fahrbahn gehalten, die andere Hand macht den Daumen, zwei Hände im Einsatz. Viel Verkehr vor so einem Kreisverkehr. Aber nix da, keiner nimmt mich mit. Man starrt mich verständnislos an, zwei junge Frauen, die mit dem SUV aus dem Bahnhof rausfahren sogar fast verächtlich. Ich, eine Landstreicherin. Naja, vielleicht so wie ich den soundsovielten Straßenzeitungsverkäufer in der U-Bahn ansehe oder jemand, der mich im Cafe anschnorrt, wo ich doch gerade versuche, die Welt zu vergessen.
Kaum mit der Anhalterei angefangen, komme ich mir schon komisch vor. Da mag dazu beitragen, dass ich ein kurzes Sommerkleidchen anhabe, das mir jetzt um die Knie flattert. Ich wollte mir noch eine Hose drunter anziehen, habs aber vergessen. So stehe ich da, leicht bekleidet, naja, egal, jetzt muss ich da durch, jetzt will ich es wissen.
Einige Autofahrer deuten irgendetwas, nach links oder nach rechts, oder sie schütteln den Kopf, das ist irgendwie nett und bringt mich aber langsam auf die Idee, dass ich mich vielleicht im Kreisverkehr in die richtige Richtung stellen soll.
Mach ich. Ich schubbere die Reisetasche übers Gras, Position mit Ausweis und Daumen. Autos fahren vorbei, keines hat den rosa Aufkleber.
Eine Dame bleibt stehen! Sie fährt aber nur bis Prötzel, denn da wohnt sie ja. Oh ja, da fahre ich mit und sehe dann, wie ich von dort weiter komme. Ich frage sie, ob sie das Projekt kennt. Eigentlich gehe eigentlich davon aus, weil sie doch mit so wissendem Blick stehen geblieben ist und weil es doch einen Tag vor Eröffnung sicher schon ganz berühmt ist. Aber nein, kennt sie nicht. Und: Das ist ja alles gut und schön, aber wenn ich nicht eine Frau und mit so einem sympathischen Äußeren (hört! hört) gewesen wäre, dann hätte sie mich nicht mitgenommen. Doch nicht alleine als Frau am Steuer. Man hört ja so viel Schlimmes. Sie wisse ja nicht, wie es in Österreich sei, ja, den Akzent habe sie erkannt, aber seit wir hier Westen sind, ist es gefährlich geworden. Da legen sich die Leute auf die Straße und man hält an, weil man Hilfe leisten muss, und der springt auf und stiehlt einem das Auto. Ist sie sicher, dass so etwas wirklich passiert ist oder hat sie das im Fernsehen gesehen? “Ich wusste gar nicht, dass die Gegend hier so gefährlich ist!! Jetzt haben Sie mir aber Angst gemacht.” Ich lade sie ein, doch morgen zum Schloss zur Eröffnung kommen mag und plötzlich würde ich es nett finden, sie dort wieder zu treffen und mit Prosecco anzustoßen, denn wir haben doch jetzt ein kleines gemeinsames Abenteuer hinter uns. Das mit der Kassa und dem Beitrag zum Benzingeld findet sie nicht so gut, wenn sie doch ohnehin den Weg fährt. Kopfschütteln.
So, wir sind da, sie rät mir, durch Prötzel zu laufen, bis zur Goldenen Kartoffel, ja, ich kenne mich aus. Und dann wünscht sie mir alles Gute, bis Reichenow ist es ja noch so weit. Ich muss innerlich schmunzeln und denke, so, wenn ich aus Prötzel nicht wegkomme, dann rufe ich an, dann soll mich jemand aus Reichenow abholen, denn dann ist es wirklich nicht mehr weit…. Schleppe ich meine Reisetasche durch den Ort, die dann doch wieder nicht so leicht ist. Per Anhalter, da muss man schon auch ein wenig gut zu Fuß sein, mit Gepäck ist nicht so toll. Daher wohl Tramper-Rucksack und nicht Reisetasche.
Die Goldene Kartoffel, hier gehts nach Wriezen, Standbein, Spielbein, Ausweis raus…. Oh nein, ich stehe an einem ewig langen Grundstück, ein Schäferhund springt herbei und bellt mich an. Er hört auch nicht mehr auf, weil ich ja stehen bleibe, wo soll ich denn auch hin? Ich spreche freundlich auf ihn ein und erkläre ihm alles. Er sieht mich auch etwas freundlicher an und bellt trotzdem weiter. Ich verstehe, ich soll es nicht persönlich nehmen, aber schließlich ist er hier der Hund und so wird das gemacht.
Das Telefon läutet. Ich denke mir, ich stehe da jetzt ewig und vielleicht sucht mich ja schon jemand oder hat mich gesehen und rettet mich. Meine Freundin Uli, der erkläre ich, dass ich am Straßenrand in Prötzel stehe und trampe und ein Hund bellt, und, huch, da bleibt ein Auto stehen, warte mal…
Zwei junge Männer, einer hat eine verwegene Sonnenbrille in Neonfarben. Ich komme ein wenig ins Strudeln mit der Erklärung, sie fahren nach Wriezen, ich kriege noch zusammen, dass der Abzweig nach Reichenow davor kommt. Ich steige ein, warte, hat man mich nicht vor so etwas immer gewarnt? Zwei Männer, ein unaufgeräumtes Auto, Gepäckstücke mit Military-Tarnmuster, und der eine sagt immer Mädchen zu mir. Was mir einerseits schmeichelt, aber andererseits an meinen Aufzug und mein ungewöhnliches Verhalten erinnert. Das Projekt kennen sie nicht, sagt der eine, der andere meint, warum soll man denn nicht auch mal was Gutes tun und auch mal nett sein? Auch sie schütteln den Kopf über die Idee mit der Kasse, wo man doch denselben Weg hat… Ich erzähle von der Ukraine, wo man sich nur auf die Strasse stellen muss und die Hand heben, und man kann kilometerweit herumfahren, alle verdienen sich gerne etwas dazu. Die Ukrainer lachten sich krumm, als wir mal den Zug nahmen (und nie ankamen). Unsere Mitfahrgelegenheiten boten uns sogar noch Kost und Logis an. Jeder würde uns gerne aufnehmen, so erklärten sie, dort gehe niemand ins Hotel, man muss doch einfach nur jemand fragen!
Doch, das finden auch die beiden jungen Männer ganz witzig und siehe da, da ist schon der Abzweig nach Reichenow! Gute Reise, Mädchen, gern geschehen, Mädchen, sagt der eine, und ich raus, wieder was geschafft, immerhin, bis hierher bin ich gekommen, da habe ich doch schon etwas zu erzählen, morgen, mit Glas in der Hand!
Ich gehe die Straße nach Reichenow ein wenig rein, biegt da überhaupt irgendjemand irgendwann ab? Wirds schon dunkel? Eine SMS: Uli schreibt, sie hätte sich unsere Unterhaltung noch ein wenig angehört, aber ich hätte sie ja wohl vergessen. Oha!
Eine Maus kommt auf mich zugerannt. Vielleicht ein Omen, dass ich mich da aufstellen soll? Ich stelle die Tasche ab und mache ein Beweisfoto, sie ist überhaupt nicht scheu. Sie rennt auf meine Tasche zu, wenn die offen wäre, dann wäre sie auch noch hineingesprungen. Was es alles gibt, aber halt, da kommt ein Auto.
Ein Kabrio, wieder zwei junge Männer, sie müssen erst mal für mich umständlich Platz machen. “Nehmt ihr mich zum Schloss mit?”, ich krabble hinten hin und vergesse, von der Maus zu erzählen.
Ja, das Projekt, das wird ja morgen eröffnet, das hatte ja jeder im Briefkasten. Ich erzähle, dass die anderen Autofahrer es gar nicht kannten und dass da wohl noch an der Publicity außerhalb Reichenows gearbeitet werden muss. Sie erzählen, dass sie ja auch den pinken Wohnwagen schon gesehen haben. Ich, ganz stolz auf Thomas, “Den kenne ich!“ Sie finden das Projekt im Prinzip gut, aber werden da die Fuhrunternehmer nicht Stunk machen? Und, ja ja, man weiß ja nicht, wo man da einsteigt. “Oder wer da zu einem einsteigt” sage ich und steige aus. “Ich glaube, die Menschheit ist besser als ihr Ruf”. Er lacht, wir winken.
Angekommen! Unfassbar. Ich stapfe auf Immas Haus zu, das Adrenalin jagt mir durch die Adern, was für ein Abenteuer, kann es kaum erwarten zu erzählen! Vera und eine Freundin kommen mir zu Pferde entgegen, ich strahle die bekannten Gesichter verzückt an, nicht zu fassen, ich bin da, angekommen, bei den Meinen. Aber leider, Imma ist nicht da, ich erspähe Menschen vor dem Delicati und steuere, die Reisetasche geschultert, drauf zu, ich muss doch jetzt mein Abenteuer berichten. Kein Thomas, keine Imma im Delicati, aber wenigstens konnte ich noch anbringen, dass ich soeben nach Reichenow gemobst sei, aber das Projekt leider noch zu wenige Leute kennen. “Die, mit denen Du mitgefahren bist, ja jetzt schon”, meint Dea und ich merke, wie beseelt ich von meiner Mission bin. Glücklich biege ich um die Ecke, da wird schon an einer schicken Bar gebaut, unerhört unschüchtern rufe ich ein lautes und freudiges “Guten Abend”.
Ich rufe Uli an. Die meint, sie habe noch versucht, unser Geplauder am Handy aufzunehmen, das wäre doch sicher interessantes Material für das Projekt. Ich erzähle von der Dame und frage mich, ob die im Osten getrampt seien? „Sind sie sicher“, sagt Uli, und das wäre jetzt auch im Westen gefährlicher. “Wie, das ist gefährlich, in diesem westlichen Osten?” frage ich. “Nein, das ist nicht gefährlich”, meint Uli und sagt, was wir alle sagen: “Früher haben das alle gemacht, nur heute macht das niemand mehr…”
Gerda Klingenböck
……………….

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