vonImma Luise Harms 31.08.2013

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Auf dem Anti-Rassismus-Festival – schon wieder im Abseits

Der Blücherplatz ist das Rasenstück vor der Amerika-Gedenk-Bibliothek. Ganz früher standen hier mal Baracken der DDR-Vertretung, in denen man sich Besuchsscheine für Ostberlin holen konnte.

Ich sehe mehrere Zelte, in denen man sich versammeln kann oder Videos gucken. An einem hängt der Programmablauf für den letzten Tag, daneben die Festivalordnung. Darin wird ein schönes Fest gewünscht und dann gesagt, was alles keinen Platz auf dem Festival hat, nämlich: „Rassismus, Gewalt und Aggression gegen Menschen mit Behinderung, Homophobie, Transphobie, Sexismus sowie grenzüberschreitendes Verhalten im allgemeinen.“ Oha! Phobien sind doch einfach nur Ängste. Wer also Angst vor Schwulen und Lesben oder vor Transsexuellen hat, soll draußen bleiben. Ob das gut ist? Wo, wenn nicht bei solchen Gelegenheiten könnten sie ihre Ängste durch Wahrnehmung anderer Selbstverständlichkeiten abbauen? Und grenz¬überschreitendes Verhalten allgemein ist auch nicht erwünscht? Ich dachte, gerade das grenzüberschreitende Verhalten hat dazu geführt, dass die Menschen, um deren Schutz und Verständnis es hier geht, überhaupt da sind?

Da stehe ich schon wieder im Abseits. Niemand da, dem oder der ich diese Fragen stellen könnte. Und selbst wenn, würde ich mich wahrscheinlich nicht trauen. Quer über den Platz liegt eine endlos lange Schlange von aneinander geklebten Plakaten mit Kreuzen und Namen. Die Namen all derer, die versucht haben, die Grenze der Festung Europa zu überwinden, und dabei umgekommen sind.
B. kommt mir entgegen. Ihr Blick gleitet an mir ab wie an Schmierseife. Wir waren mal ganz gut bekannt. Es ist zwanzig Jahre her, dass ich sie erzürnt habe, weil wir in einem Film Bilder verwendet haben, von denen sie sich bloßgestellt gefühlt hat. Das vergisst man nicht. Man könnte es vergessen, wenn man einen neuen Blick auf die Verletzung wagen würde. Aber das will sie nicht. Die Bestrafung durch Ignorieren gibt auch nach zwanzig Jahren noch ein Gefühl von Genugtuung. Arme B. Ich lächle in den Boden rein, als ich an ihr vorbeigehe.

Auf der hinteren Seite des Platzes gibt es das Essen. An einem syrischen Stand will ich in meiner Gefräßigkeit von allem was haben. Eine sehr offene und freundliche Frau schiebt mir unter Erklärungen die Bällchen, Röllchen und Salätchen auf einen Teller. Zu spät sehe ich, dass es am Stand nebenan gebackene Bananen gegeben hätte.

Ein paar Tische und Bänke gibt es auch. Da sitzt O. vor seinem Pappteller und grinst zu mir herüber. Er folgt mir mit dem Blick. Erwartet er, dass ich mich dazu setze? Den finde ich nun klebrig. Dieses ständige Grinsen, diese ständige Bereitschaft, alles gut zu finden, was ich sage. Ich nicke ein „Hallo“ und gehe vorbei.

In einem der großen Zelte ist gerade eine Diskussionsveranstaltung vorbei. Die Leute strömen heraus, formieren sich als Block und ziehen Parolen-rufend und Fäuste-schüttelnd über den Platz, vorbei an der Papierschlange mit den Kreuzen, vorbei an dem Maltisch für Kinder, vorbei an den Fressständen und Biertischen. Ich verstehe die Parolen nicht, kann sein, dass sie arabisch sind. Ich bin von der Absurdität der Situation beeindruckt. Sturm im Wasserglas.

Was soll ich nun tun? Wohin mit mir? Ich bin eigentlich niemandem im Weg, auch mir selbst nicht. Ich setze mich also entspannt und gelassen in den Eingang von einem der leeren Zelte, schaue ein bisschen und nehme dann das Buch wieder heraus. Chr.’s Buch über seine Zeit in der Illegalität. Gerade ist es kurz vor Stammheim. Schleyer, Mogadishu. Chr.’s Erzählfigur stolpert durch die Nachrichtenlage, von Angst und Empörung hin und her getrieben. Da werde ich angesprochen.

Ein dunkelhäutiger, ich sage mal: ein sehr dunkelhäutiger Mann steht vor mir. Er hält mir ein Faltblatt entgegen, entschuldigt sich, dass er mich stört. Mein Fluchtimpuls vor ungewollter politischer Agitation ist sinnlos, ich sitze ja. Aber er wäre auch unnötig, wie sich zeigt. Der Mann möchte mich auf eine Informationsveranstaltung zur politischen Situation in Togo aufmerksam machen. Die Veranstaltung ist am nächsten Freitag. Er sagt noch ein paar Sätze dazu, in sehr gewähltem, elegantem Deutsch, hält dabei den Kopf ganz leicht schräg und schaut mich aufmerksam an. Seiner Ansprache und Haltung nach könnte er der Botschafter selbst sein. Dann sagt er, er will mich nicht von meiner Lektüre abhalten, und geht weiter. Ich stecke das Blatt in mein Buch, ungefähr da, wo dann später die Frage von Mord oder Selbstmord in Stammheim als großer Besen in die Bewegung fährt.

Da läuft O. durchs Bild. Anscheinend hat er hier einen technischen Job übernommen. Er zieht ein Lautsprecherkabel aus dem Zelt und wickelt es auf; es verläuft knapp vor meinen Füßen. O. meidet jetzt den Blickkontakt mit mir. Ich fühl mich blöd.
Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, auch weil über die Lautsprecheranlage heftig zu einer Abschlussdiskussion vor der großen Bühne eingeladen wird. Die Menschen auf dem Platz nehmen kaum Notiz. Beharrlich werden sie weiter aufgefordert, zur Bühne zu kommen. Denn die Auswertung des Festivals sei sehr wichtig. Auswertungen finde ich auch immer wichtig, ich könnte etwas entgegen kommender sein. Ich stehe auf und stecke das Buch ein. Das Faltblatt behalte ich in der Hand. Togo. Wo liegt das noch mal? Neben Ghana, da an dem westlichen Knick von Afrika? War das nicht auch mal von den Deutschen kolonisiert? „Ach, da lesen Sie es ja doch!“ sagt der sehr dunkle Mann, der von links meinen Weg kreuzt, „das ist schön.“ Ich sage: „Ich bin an dem Wochenende gar nicht da, aber ich habe eine Freundin, die sich sehr für Afrika interessiert, der gebe ich die Einladung“. Dann fällt mir ein, wie absurd das ist, zu sagen, dass man sich für „Afrika“ interessiert. Metropolen-Chauvinismus.

Ein paar Menschen sind inzwischen in die Runde vor der Bühne getröpfelt. Auch B., die mit ein paar anderen Frauen die Köpfe zusammensteckt. Nach zwanzig Minuten Locken und Einladen kommt der erste Redebeitrag. Das Einsammeln von spontan geäußerten Meinungen ist offenbar nicht geplant, die Auswertung ist schon vorbereitet. Zwei Frauen und ein Mann geben sich gegenseitig das Mikrophon. Die Redebeiträge haben agitatorische Lautstärke, man hätte sie überall auf dem Platz gehört. Wahrscheinlich sollten wir uns nur hier versammeln, damit die RednerInnen durch unsere Anwesenheit besser in Fahrt kommen.

Es ist viel von erfolgreicher Vernetzung die Rede. Hm. Sind wir nicht alle schon im Internet vernetzt? Vielleicht meinen sie was anderes, zum Biespiel „kennen lernen“ oder „Verabredungen treffen“. Dann kommen rhetorische Figuren der Belehrung, wie man sie von Wahlkampf¬veranstaltungen kennt und die sich an die unverbesserlichen Ignoranten richten: „Es gibt immer noch welche, die behaupten, dass die Flüchtlinge den antirassistischen Kampf nicht genügend unterstützen, dass sie keine aktive Rolle darin hätten! Aber die sollen sich doch hier mal umschauen!“ Ich schaue mich um. Ich sehe Menschen.

Frau/Mann, schwarz/weiß – das sind doch alles Zuschreibungen, oder? Jetzt sollen wir die Flüchtlinge plötzlich doch an irgendwas erkennen. Rassismus gegen Rassismus. Es ist leider so: Die Verhältnisse, die wir skandalisieren, durchziehen unser eigenes Denken. Wie sollte es auch anders sein? Wir setzen uns also auch immer gegen einen Teil von uns selbst zur Wehr.

Ich schiebe mein Fahrrad vom Platz und mache mich nachdenklich auf den Heimweg. Abends gehe ich mit M., die an ihrem Schreibtisch fertig ist, und C., der das Aufräumen für heute aufgegeben hat, essen. Da liegt der Tag dann nicht mehr vor mir.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2013/08/31/teil-iii-auf-dem-anti-rassismus-festival-schon-wieder-im-abseits/

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