vonImma Luise Harms 27.03.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

Mehr über diesen Blog

Die Gemeindevertreter sind zu einer Sitzung nach Wriezen eingeladen. Und zwar in den Sitzungssaal der Amtsverwaltung. Letzte Woche war ich im Haus nebenan, im Wriezener Rathaus. Dort wurde einem vorbildlichen Projekt eine Plakette verliehen, aber das ist eine andere Geschichte. Ich hoffe, ich kann sie noch mal erzählen.

Die Amtsverwaltung von Barnim-Oderbruch und das Wriezener Rathaus stehen also nebeneinander. Und das drückt schon was aus. Die Stadt Wriezen, amtfrei, wie es heißt, liegt mitten in dem Amtsgebiet, das ein paar Gemeinde von der Höhe, also von uns, und aus dem Oderbruch zusammenfasst und zusammen verwaltet. Wriezen hat seine eigene Stadtverordnetenversammlung. Macht das Sinn? Die Frage haben wir uns bisher nicht gestellt. Nach Wriezen fährt man zum Einkaufen, zum Tanken, zum Arzt. Wenn man sich den Finger gequetscht hat, fährt man ins Wriezener Krankenhaus. Kulturell kann man den Ort vergessen. Nichts als Motocross und Schaumpartys. Der Wochenmarkt ist die Ödnis pur. Von irgend welchen dissidenten Kräften oder Aktivitäten, die anknüpfungsfähig wären, ist mir nichts bekannt.

Im Oderbruch ist das anders. Da gibt es überall Leute, die quer im Stall stehen, Sumpfblüten und verrückte Projekte. Die Leute, die aus der Großstadt herkommen, ziehen nicht nach Wriezen sondern aufs Land. Und dort versuchen sie auch, ihre Duftmarken zu setzen. Also im Oderbruch lässt sichs leben, hier auf der Höhe im Barnim auch, darum kümmern wir uns ja selbst. Und wir gehören zum Amt. In Wriezen lässt sichs nicht leben, wobei man bedenken muss, dass die Stadt bei der Zusammenlegung der Dörfer zu Gemeinden von 17 Jahren schon einige von den umliegenden Dörfern geschluckt hat. Also in Lüdersdorf oder Biesdorf oder auch in Schulzendorf lässt sichs wahrscheinlich auch leben, aber davon wissen wir wenig.

In Potsdam wird die Peitsche geschwungen. Sie heißt “demografischer Wandel”. Die Peitsche hat eine lange Schnur, die bis ins Jahr 2030 reicht. Wenn die Peitsche zuschlägt, knallt es und alle kuschen. Die Enquete-Kommission des Landtages weiß, dass 2030 die Bevölkerung in den metropolen-fernen Gebieten Brandenburgs um 22 % zurück gegangen sein wird. Die Abenteuerlichkeit dieser Prognose ist auch ein anderes Thema, ganz sicher ein Wahlkampfthema. Darauf komme ich noch mal.

Jedenfalls behauptet man jetzt, das mit dem Bevölkerungsrückgang ganz genau zu wissen. und dann braucht man nicht mehr so kleinteilige demokratische Organe und Verwaltungen. Das Land wird zwar nicht weniger, aber angeblich die Menschen, die dort leben. Deshalb empfiehlt die Kommission die Zusammenlegung der Amtsverwaltungen, sodass jeweils mindestens 10.000 Menschen (hochgerechnet für das Jahr 2030!) von einer Amtsverwaltung bedient werden. Die Gemeindegrenzen wollen sie nicht noch einmal antasten. Da gab es damals schon genug Schwierigkeiten, eine neue lokale Identität zu stiften, die sich nicht auf das Dorf sondern auf die Gemeinde bezieht.

Die Ämter sollen also größer werden. Und dafür sollen sie dann auch besser demokratisch legitimiert werden, also z.B. der Amtsdirektor direkt von der Bevölkerung gewählt und nicht eingesetzt werden. Und auch die Amtsausschüsse, zu denen die Gemeinderäte bisher ihre Delegierten entsenden, könnte dann direkt gewählt werden. Und wenn man sie dann schon so schön legitimiert hat, könnten sie auch mehr Aufgaben als jetzt übernehmen, findet die Enquete-Kommission. Mit anderen Worten, die jetzigen Gemeinden werden nicht erneut zusammengelegt, sondern in einer nach und nach darüber gebauten Entscheidungs- und Verwaltungsstruktur einfach ersäuft. Die jetzigen Gemeinderäte bleiben dann als Kaffeekränzchen übrig, die das Erntefest in ihren Dörfern organisieren dürfen.

So sieht es aus, die Enquete-Kommission hat nur Vorschläge gemacht, aber im vorauseilenden Gehorsam suchen sich die Ämter schon jetzt ihre potentiellen Partner. Und da bin ich wieder bei der Veranstaltung. Vor ein paar Wochen haben sich die Gemeinde-Delegierten schon einmal in Wriezen getroffen, damals im Rathaus, und zwar auf Einladung der Stadt Wriezen, die ihrerseits dafür wirbt, das ganze Amt einzugemeinden. Ich hatte nichts davon erfahren, weil nur der Amtsausschuss eingeladen war – der Bankettsaal des Rathauses als kommunalpolitisches Hinterzimmer, in dem vorgefühlt wird, was so durchsetzbar ist. Das Ergebnis war, eine Eingemeindung in Wriezen stößt bei den Gemeinden auf Widerstand. Na sicher, auch auf meinen. Die spinnen wohl, die Wriezener!

Das Amt hat nun seinerseits eingeladen, und auch die Wriezener Stadtverordneten, eine weitere Beschnüffelrunde. Der Einladung ist der Entwurf für einen Vertrag zur Neubildung eines gemeinsamen Amtes beigefügt. Wriezen soll ins Amt kommen und nicht das Amt zu Wriezen. (wird fortgesetzt)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/03/27/mein-letztes-groses-abenteuer-kandidatur-fur-den-kreistag-6/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert