vonImma Luise Harms 27.04.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Hilfe, ich komme nicht hinterher. Der Wahlkampf ist ein Zeitkampf. Ich drehe drei Wochen zurück.

Ich soll mich doch an meinen eigenen Inhalten orientieren, wenn ich Wahlkampf machen will, hatte mir der stellvertretende Kreiswahlleiter gesagt.

Worum geht es mir? Das weiß ich wohl. Im Prinzip immer dasselbe: Bereitschaft zur Eigenverantwortung fördern. Strukturen öffnen. Selbstorganisation stärken. Verwaltet- und Regiert-werden zurückdrängen. Verwalten und Regieren unter dem schönen Stichwort “Daseinsvorsorge” ist aber genau das, was im Kreistag passiert. Was will ich da also? Thomas hat den schönen Slogan aus dem Ärmel geschüttelt: “Opposition im Kreistag? – Aber imma!”

Gut, also den Slogan hätte ich schon mal. Aber wie rede ich über meine Inhalte; wie wird überhaupt im Wahlkampf über die Sachen geredet. Wie wird das anschlussfähig und stimmt trotzdem? Ich brauche Beispiele.

Die wichtigste Fraktion im Kreistag ist die Linke. 17 Sitze. Ich suche das Kreisbüro der Linken in Strausberg auf und frage nach dem Wahlprogramm. Ich stoße auf eine merkwürdige Bearbeitungs-Rangordnung. Eine Sekretärin, die aus ihrem Glaskasten auf mich zutritt und, nachdem ich meinen Wunsch nach dem Kreiswahlprogramm vorgetragen habe, in verschiedenen, auf einem Ständer ausliegenden Papieren und Broschüren blättert. Kreis, Kreis, Kreis – nee, das ist nicht dabei. Ist das überhaupt schon raus?  Sie wendet sich an den Sachbearbeiter, der jenseits der kleinen Tischgruppe vor seinem Bildschirm sitzt. Er arbeitet sich in die Tiefe seiner Dateien vor. War das nicht letzte Woche auf der Sitzung beschlossen worden? Aber wo ist es? Er steht auf, geht ein paar Stufen zu einem etwas abgesetzten Arbeitsraum hoch. Hier könnte gut der Kreisbüroleiter sitzen. Die Sekretärin und ich flankieren den zurück gelassenen Arbeitsplatz und suchen nach einem belanglosen Gesprächsgegenstand.

Der Leiter kommt die Treppe herunter, ein entschiedener, kantiger Mann; Er setzt sich an den Arbeitsplatz des Sachbearbeiters und überprüft selbst die gespeicherten Dateien. Wir stehen zu dritt hinter ihm und schauen ihm zu. Dies hier, hier ist es doch. Nein, das ist nicht die endgültige Fassung. Die hier, die ist beschlossen worden. Zu mir: “Kleinen Moment, ich druck sie Ihnen aus.” Der Sachbearbeiter geht zum Drucker, der im oberen Raumbereich irgendwo verborgen steht. “Es kommt noch nichts”, meldet er vor dort. Der Leiter: “Da steckt noch ein Druckauftrag drin. Moment bitte.” Er fummelt im Menü. Die Sekretärin lächelt mich an. “Immer noch nichts” ruft der Sachbearbeitervon oben. Eine erstarrte Situation. Ich halte den Laden auf, auch wenn ich ihn anscheinend von nichts abhalte.

Endlich die Erlösung. Der Sachbearbeiter kommt mit zehn Seiten Papier die Treppe herunter, die mir kollektiv überreicht werden. Ich nehme noch ein, zwei interessante Broschüre, um mein prinzipielles Interesse an der Partei zu demonstrieren, und mache, dass ich rauskomme.

Um es kurz zu machen: Das Papier gibt nicht viel her. Es sind hauptsächlich Erfolge, die im Wahlprogramm abgefeiert werden. Was die Partei in der letzten Wahlperiode alles hat erreichen können und auf welchem guten Weg sie sind. Sozusagen: von allem noch ein bisschen mehr, das ist das Programm.

Das CDU-Büro ist in Strausberg in der gleichen Straße . Man merkt gleich, dass die im Landkreis mit drei Sitzen eine untergeordnete Rolle spielen. Nur an einem Tag in der Woche geöffnet. Nur zwei Leute drin. Dunkler Raum mit kleinem Sitzungstisch. Eine Frau am Bildschirm, ein Mann, der Papiere in einen Ordner heftet. Ein Kreiswahlprogramm? Sie überlegen kurz. Nein, sowas haben sie nicht. Wird es das denn noch geben? Nein, das ist eigentlich von der Kreis-CDU nicht vorgesehen. Aber wie soll man denn entscheiden, ob man die CDU wählen will? “Das machen die Kandidaten selbst”, wird mir erklärt. “Die einigen sich auf Texte für die Flyer. Das Wahlprogramm steht dann auf den Wahlkampfflyern”. Und wie kriege ich die? Werden die irgenwo veröffentlicht? “Nein, die werden direkt in die Briefkästen gesteckt.” Aber wann und in welche? Wahlinhalte auf Kassibern. Kein Rankommen jedenfalls, wenn man sich nicht hinter dem Briefkasten auf die Lauer legen will.

Das nächste SPD-Büro ist in Seelow. Ich fahre hin, finde es aber nicht. Ich treffe stattdessen auf das Redaktionsgebäude der Monopol-Zeitung MOZ. Die müssen es ja eigentlich wissen. Sie schicken mich zu einem Laden in der Parallelstraße. Das ist aber ein Büro der Linken. Die sagen mir, das Büro der SPD ist inzwischen in Müncheberg. Da fahre ich jetzt nicht auch noch hin. Ich suche später im Internet.

Die Bauernpartei ist auch stark im Landkreis. Ihr Büro ist auf dem Gelände  der großen Landwirtschaftsgenossenschaft, irgendwo im zweiten Stock des Verwaltungsgebäudes. Der Weg ist flankiert von Vitrinen mit Ehrenurkunden und Pokalen für landwirtschaftliche Erfolge. Das Büro derBauernpartei enthält viele Regale mit Akten und viele Topfblumen. Eine freundliche Frau erklärt mir, dass es das Wahlprogramm der Partei nur online gibt. Sie schreibt mir die Adresse der Internetseite auf einen kleinen Zettel.

Das Büro der Grünen ist unauffindbar in Strausberg versteckt. Auch ihr Programm finde ich später im Internet.

Von der AfD will ich nichts wissen. Außer “Mut zu Deutschland” haben sie nichts zu bieten.

Mithilfe des Internet stelle ich alle Wahlplattformen zusammen und mache eine interessante Entdeckung. Alle sprechen sich für eine Effektivierung der Verwaltung aus und für die “interkommunale Zusammenarbeit” sprich: die Zusammenlegung der Amtsgemeinden. Und das alles mit dem Hinweis auf den zu erwartenden “demografischen Wandel”. Da wartet mein Thema, da geh ich ran! (wird fortgesetzt)

 

 

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/04/27/mein-letztes-groses-abenteuer-kandidatur-fur-den-kreistag-10/

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