vonImma Luise Harms 08.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Die Wählergruppe muss mitziehen, und MöHRe auch und vielleicht noch der eine Freund oder die andere Freundin aus der Umgebung. Im Grunde brauche ich ein Wahlkampfteam, das mich wie Bodyguards schützt und abpuffert, sozusagen die Klinken putzt, bevor ich sie drücke. Nicht weil ich mir zu fein bin, um das selbst zu machen, sondern weil es das Setting ist, das die Wähler und Wählerinnen erwarten.

Die Wähler, die Wählerstimmen, der Wahlkreis. “Mein Wahlkreis”, immer fand ich diese Art zu reden von Politikern affig, so als wenn sie ein Besitzverhältnis damit ausdrücken wollen: meine Mülltonnen, mein Stabmixer. Jetzt merke ich, dass es keinen Besitz sondern einen Bezug ausdrückt, eher ein umgekehrtes Besitzverhältnis: das ist der Kreis der Menschen, denen ich mich aussetzen muss. Wenn ich das Ziel erreichen will, in den Kreistag zu kommen, muss ich so instrumentell denken, weil ich ihnen vor Augen treten muss. Und das formt diese Sprache.

Aber will ich denn wirklich in den Kreistag? Die Vorstellung, mich in diesem buckligen Seelow zwischen Parteien und Ausschüssen, Tagesordnungen und Rederecht, Eingaben und Anfragen zum zoon expertikon politikon umzuformen, macht mich schwermütig. Außerdem, wäre da überhaupt mehr drin als die Rolle der Querulantin? Und das Verhältnis zu den Menschen meiner Umgebung wird das auch nicht unbedingt verbessern. Diese Mischung aus Scheu und ironischer Herablassung wird sich vertiefen. Als habe man ein Virus – das Virus der Lüge und Intriganz, ohne die professionelle Politik ja gar nicht möglich zu sein scheint. Deprimierende Vorstellung.

Andererseits, man sollte sich selbst beim Wort nehmen. Nun kandidiere ich mal, und dann sollte ich es auch ernst meinen und mich redlich bemühen. Schön wäre, wenn die Stimmen gerade nicht reichen! So ganz knapp! Das wäre das beste. R. aus dem MöHRe-Vorstand gegenüber habe ich das mal angedeutet. Die hat mir dafür eine energische Kopfnuss verpasst. Kommt nicht infrage, die Kandidatin aus Reichenow soll natürlich rein in den Kreistag! Na sicher muss das klappen!

Also Unterstützung muss her. An einem Donnerstagabend habe ich die Wählergruppe und die aus dem MöHRe-Vorstand, die Zeit und Lust haben, zu einemTreffen bei mir eingeladen, um mit ihnen über die Inhalte zu sprechen, also über die sechs Kapitel meines Wahlprogramms, das ja dann auch ihr Wahlprogramm ist. Ich habe diese Punkte sehr frei, meiner eigenen Haltung entsprechend formuliert: für eine selbstbewusste Provinz, gegen Entvölkerung und Enmündigung, für kleinteilige Regionalwirtschaft, für Eigeninitiative (die ich hier im Politikjargon “zivilgesellschaftliches Engagement” nenne) und ein Leben mit der Natur. Entsprechend rechne ich mit Einwänden und notwendigen Streichungen oder Ergänzungen, vielleicht sogar mit störrischer Verweigerung.

Ein paar Tage vorher war die Lokaljournalistin V. vom regionalen Monopolblatt da und hat ein Porträt über mich gemacht; da habe ich diese sechs Säulen auch sehr vorsichtig ins Gespräch gebracht, vorsichtig, weil sie ja noch nicht abgestimmt waren. Aber Frau V. hat sich sowieso mehr für die Situation im Dorf und im Gemeinderat interessiert, also für den Hintergrund der Kandidatur und weniger Inhalte und Ziele. Sie hat einen wohlgefälligen Text daraus gemacht, mit einem Foto, auf dem ich ganz lässig auf einer Banklehne sitzen, ein Fuß auf der Sitzfläche, so Cowboy-mäßig, als wolle ich den Kreistag zureiten. Ha, die Opposition kommt! Aber alleine komme ich ja gar nicht in den Sattel. Ohne Steigbügelhalter.

Die Wählergruppe sollte die Zettelchen auf dem Tisch haben, damit ihnen die Aufteilung einleuchtet und sie die Flyer vielleicht mit unter die Leute zu bringen helfen. Die Zettelchen müssen gedruckt werden, wenigstens eine Handvoll. Das muss einigermaßen gut aussehen. Mein Drucker tut das nicht. Ich habe die Vorlage erst am selben Tag fertig. Eher ging es nicht. Wie komme ich jetzt zu einem anständigen Ausdruck? Der übliche Weg wäre, jemanden in Berlin anrufen, das aus einem Berliner Copyshop mitzubringen. Oder notfalls selbst schnell nochmal nach Berlin düsen. Jetzt höre ich meine eigene Wahlaussage: für kleinteilige Regionalwirtschaft! Kompetenz gibt es auch vor Ort, die Aufträge müssen in der Region bleiben! Es muss doch auch hier irgendwo einen Copyshop geben? In Wriezen oder in Strausberg. Ich suche im Internet und in Branchenverzeichnis, lasse mir Tips geben. Ein paar Anrufe bei angeblichen Copyshops landen auf Faxgeräten und treffen auf Firmen, die Autobeschriftungen machen. Autobeschriftungen scheinen in der Region wichtiger, auf jeden Fall einträglicher zu sein als Papierkopien.

Dann versuche ich es bei einer Druckerei in Altranft, die zum Stephanuswerk gehört, eines der Werke hier in der Region, die behinderte Menschen beschäftigt. Das ist ein Treffer. Ja klar können sie kurzfristig was ausdrucken. Ich soll mit dem Stick kommen. Sie machen einen Digitaldruck. Oder eine pdf schicken und es einfach abholen. Herr H. sagt mir das am Telefon. Aber nur bis viertel vor Vier geht das. “Um Vier wird die Alarmanlage angestellt, ganz pünktlich. Aber wenn Sie um Viertel vor da sind, kriegen wir das noch hin.” Kann ich mir gar nicht vorstellen, in so einem betreuten Werk, diese Schnelligkeit, diese Präzision. In großer Hast baue ich auf dem Rechner einen A3-Druckbogen aus den einzelnen Zetteln zusammen, mache eine pdf daraus, ziehe sie auf den Stick und werfe mich auf den Roller. Um zwanzig vor vier bin ich in Altranft. (wird fortgesetzt)

 

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/05/08/mein-letztes-groses-abenteuer-kandidatur-fur-den-kreistag-13/

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