vonImma Luise Harms 19.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Was haben wir also, um in den Wahlkampf zu ziehen? Wir haben ein paar kleine Pappen für einzelne Laternenpfähle. Und wir haben 12000 Flyerchen mit sechs unterschiedlichen Themen. Wir haben eine Reihe von Festen und anderen Veranstaltungen, auf denen ich mich jetzt aber nicht mehr aufzutreten traue, wenn ich nicht ausdrücklich eingeladen bin. Einladen tut mich keiner. Mit dem lustigen Wahlkampfbauchladen mag ich schon gar nicht auftauchen. Der steht in der Ecke mit den restlichen Buttons drin und dem einsamen Wahlkampfhelfer, zur Wand gedreht, damit mich Besucher nicht darauf ansprechen.

Es ist nunmal mein Schicksal, preussisch-deutsch sozialisiert zu sein, und dann auch noch als Ingenieurin instrumentell überformt. Also denke ich bei Missgeschicken unwillkürlich über eine Apparatur nach, die ich zwischen mich und das Störfeld schieben kann. So kommt es zum zweiten Gerät, dem “Wahlkampfautomaten”, einem Briefkasten, der an einer Stange vor meinem Haus angebracht ist und alles Infomaterial, sprich: die sechs Flyer bündelweise enthält. Zum gefälligen Entnehmen. Damit niemand, der Wahlkampfmaterial weiter verteilen will, bei mir persönlich vorsprechen muss, falls er und sie dazu vielleicht zu schüchtern ist. Und damit ich nicht mit der ernüchternden Tatsache direkt konfrontiert bin, dass gar niemand danach fragt.

Ein dritter Apparat ist die Wahlkampf-Plattform für den Infostand beim Theater am Rand in Zollbrücke (mein Wahlkreis). Die legen die Zettelchen zwar aus, aber die sind ja so klein, gehen bestimmt zwischen dem anderen Infomaterial verloren, schieben sich irgendwo drunter. Also baue ich einen Papp-Katheder mit einer gefalteten Papieroberfläche, in deren Falten die sechs Themen gut übersichtlich aufgefächert liegen. Die sechs Themenüberschriften stehen so untereinander und ergeben einen Sinnzusammenhang. Thomas nimmt die Plattform mit und berichtet, sie wurde bereitwillig entgegen genommen. Ob daraus auch Flyer entnommen werden, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich nicht von Flyer-Nachforderungen gehört.

Wir müssen die Texte zu den Leuten bringen, die Briefkästen abklappern. Es nützt alles nichts. Wir machen mithilfe des Internet und einer Gebietskarte eine Aufstellung der Gemeinden im Wahlkreis 1. Es sind 70 Dörfer und Gemeinden mit ungefähr 30.000 EinwohnerInnen, darunter die Städte Wriezen und Bad Freienwalde und die von ihnen eingemeindeten Dörfer mit zusammen etwa 20.000 Einwohnern. Die werden für meine Anti-Eingemeindungspolitik wohl kaum zu gewinnen sein. Bleiben also 50 Dörfer mit 10000 BewohnerInnen, denen ich mich als Vertreterin ihres Interesses nach Erhaltung ihrer Unabhängigkeit anbieten kann. In einem Haus oder einer Wohnung wohnen im Schnitt zwei Personen. Das sind also 5000 Briefkästen, in die wir unsere Wahlzettelchen stecken können. Weil das sonst wahrscheinlich niemand macht, hätten wir sogar eine echte Chance, dass die Zettel zur Kenntnis genommen, vielleicht sogar gelesen werden.

“Machen wir also öfter mal einen Abendspaziergang”, meint Thomas lakonisch. 50 Dörfer. Es ist vollkommen aussichtslos, aber machen wir mal einen Versuch.

Wir tackern jeweils sechs Themenflyer zu einem Heftchen zusammen. Das sieht hübsch aus und blättert sich auch schön, im Format wie ein altes Tarzan-Heftchen. Aber das liest keiner; zu wenig Bilder, bzw. immer das gleiche, und zu viel Text. Das legt man weg. Außerdem haben wir dann nur noch 2000 Info-Einheiten. Also nur zwei der sechs Themen mit einem aufreißerischen Deckblatt: “Lassen Sie die Stimme im Dorf!” und dem Hinweis auf die übrigen Themen im Internet. Die eigens angeheftete Lasche macht die Sache persönlich und interessant. Diese Zweierflyer-Einheiten stecken wir uns bündelweise in die Tasche und fahren zur Probe nach Kunersdorf.

Es ist ein schöner Maienabend, als wir am Ortsrand parken. Kunersdorf besteht aus einem alten Ortskern mit wenigen Häusern, die den ehemaligen Schlossplatz umstehen, und einer lang gestreckten Siedlungsstraße mit neu erbauten Einfamilienhäusern. Diese Siedlungsstraße ist ideal zum Verteilen. Thomas links, ich rechts, gehen wir an den Zäunen und niedrigen Hecken entlang, die das öffentliche Straßenland vom privaten Vorgarten trennen. Der Rasen ist auf beiden Seiten gleich exakt geschnitten. Die Briefkästen, deren unglaubliche Variationsbreite wir in den nächsten Wochen noch kennenlernen werden, sind am Zaun angebracht oder unmittelbar davor, gleich nebem dem Absaugstutzen für die Klärgruben. Menschen sind keine zu sehen, das ist uns recht. Mir zumindest. Ist doch ein bisschen peinlich, wenn die Kandidatin selbst ihre Werbezettelchen einwerfen geht. Dafür gibt es Hunde, die sich hinter den Zäunen wie toll gebährden, belfern, dass die Schwarte kracht. Als wären sie Hundepraktikanten, die den hinter der Gardine sie begutachtenden Herrchen zeigen müssen, was sie draufhaben, damit sie auf Festanstellung hoffen dürfen. Aber die Briefkastenklappen sind sicheres Außengebiet.

Frohen Mutes und strammen Schrittes gehen Thomas und ich durch das Siedlungsgebiet. Weil wir in Rufweite sind und sonst niemand da ist, können wir uns dabei unterhalten und uns auf die blühenden Magnolien, die farbenprächtigen Fliederbüsche hinweisen. Die Bepflanzungen der Gärten ähneln sich; so wie Zäune, Carports, Hauseingangstüren und Gartenzierrat scheinen sie Moden unterworfen zu sein. Die vor zwanzig Jahren noch sehr beliebten Korkenzieherweiden sieht man gar nicht mehr, dafür diese weißblättrigen kugeligen Weidenbäumchen. Auch die Blautannen-Hausse scheint vorbei, man trägt wieder mehr Obstbäumchen. Nur die Rasenflächen sind überall gleich kurz, getrimmt bis zum äußersten Halm.

Die Siedlungsstraße zieht sich. Nach einem Kilometer mündet sie auf die Bundesstraße, auf der wir nun zum alten Ortskern zurücklaufen müssen. Dort finden wir weitere Briefkästen, an alten Dorfhäusern, an Villen-artig ausgebauten Landhäusern, aber auch vor den typischen 4- oder 8-Wohneinheiten-Bauten, die zu DDR-Zeiten für die Bereitstellung von Wohnraum skrupellos zwischen die alten Häuser geklotzt wurden. Nach anderthalb Stunden und 3 Kilometer Briefkastenmarsch haben wir unser Auto wieder erreicht. Die Auswertung: Der Fußmarsch ist ganz schön anstrengend und das Zurücklaufen ohne Verteilen unbefriedigend. Besser wärs mit dem Fahrrad. (wird fortgesetzt)

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