vonImma Luise Harms 24.05.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Man muss sich aber auch mal zeigen. Am Donnerstag ist Filmvorführung im Theater am Rand (mein Wahlkreis, potentielle Wähler), gleichzeitig eine Diskussionsveranstaltung im Schloss Trebnitz (nicht mein Wahlkreis) über die regionale Energieproduktion – autark oder abhängig – womöglich meine Wähler, meine politischen Gegner, vor allem mein Thema. Dass die Gemeinden mehr von der Energieproduktion in ihrer Region haben müssen, ist eine wichtige Wahlkampfaussage von mir. Wir haben in Reichenow ja selbst mal einen halbherzigen Versuch gemacht, eine Windkraftanlage in Bürgerhand zu kriegen, um damit die Totalablehnung der Windparks etwas einzudellen. Außerdem kenne ich mich mit Windenergie aus meiner Ingenieurinnen-Zeit ein bisschen aus. Das reicht für einen starken Auftritt, bei dem ich einfließen lassen kann, dass ich für den Kreistag kandidiere.

Ich ziehe mein Wildlederjackett an,  das von Humana mit den Umrissen des ausgewaschenen Flecks im Rücken. Die Perlenkette nicht. Aber die knallroten Clogs. Das macht sich gut. Die einen labeln sich mit roten Schals, die anderen mit roten Mercedes-Cabios, ich eben mit den roten Schuhen.

Das Schloss Trebnitz ist eine Bildungseinrichtung, die sich wesentlich mit Fördergeldern für die deutsch-polnische Zusammenarbeit finanziert. Deshalb ist neben den deutschen Referenten auch ein polnischer Redner dabei, außerdem ein paar Gäste aus der polnischen Partnergemeinde. Kopfhörer für eine Simultanübersetzung werden ausgeteilt. Auf dem Podium sitzt neben dem Moderator der Bio-Bauer S. aus Dahmsdorf,  Betreiber einer Hackschnitzelproduktion. Er ist außerdem Kreistagskandidat auf der Grünen-Liste (anderer Wahlkreis, also kein direkter Gegner). Neben ihm der leutselige Landrat, ganz Kumpel, ganz treuherziger Junge, aber mit kaltem Sachwissen und der Fähigkeit,  rhetorisch auch mal kraftvoll zuzubeißen, wenn es sich so ergibt. Der Landrat ist in der SPD. Ich versuche mich an das Wahlprogramm der SPD zu erinnern, damit ich mich bei Gelegenheit darauf beziehen kann.

S., der Biobauer, auch ein Zugezogener, wie so viele, die im Landkreis jetzt nach vorne treten, nebenberuflich Naturschutzaktivist, referiert über seine Hackschnitzelproduktion, zeigt Bilder vom Schreddern der Baumstämme, spricht über die verschiedenen Holzarten und die Bedingungen, das Geschäft einigermaßen rentabel zu betreiben. Er spricht so maßvoll und zielgenau, dass man ihm sofort die Ausweidung des eigenen Waldes anvertrauen würde, wenn man einen hätte.

Ein weißhaariger Herr aus dem schütter über die Stuhlreihen verteilten Publikum will sich ins Gespräch bringen. Er fragt nach den Holzarten, nach dem Brennwert, macht dann seinerseits Belehrungen; er weiß das alles, wonach er gefragt hat. S. pariert geschickt, gibt teilweise recht, fügt andere Fakten hinzu. Der Fragesteller setzt nach, will irgendwie einen Punkt einfahren. Wozu, weiß ich nicht, vielleicht politische Ranküne, von denen ich nichts weiß. “Ich hatte selbst 70 Hektar Wald”, sagt der Weißhaarige zur Untermauerung seiner Kompetenz, “aber ich bin jetzt nicht mehr auf dem Land tätig, bin jetzt Geschäftsmann.” Was immer das heißt. Vielleicht noch mehr Kompetenz.

S. bleibt gelassen, lächelt und gibt zu, dass alle Holzarten, bezogen auf ihr spezifisches Gewicht, den gleichen Brennwert haben. “Trotzdem verarbeiten wir kein Pappelholz. Der Abtransport der Hackschnitzel ist dann unverhältnismäßig teuer. Die schweren Laster fahren die Straßen kaputt, das finden wir ökologisch nicht vertretbar.” S. redet auch für eine Hackschnitzelproduzenten-Vereinigung, in deren Vorstand er ist. Der Fuß im Vorstand einer Vereinigung ersetzt, was die Reputation angeht, auf dem Land den Doktortitel.

Ich habe genug vom Hackschnitzel-Business und überlege, ob ich das angekündigte Thema anmahnen soll. Aber jetzt kommt der polnische Teilnehmer zum Zuge. Er hat bis dahin mit unbewegtem Gesicht am rechten Rand den Podiums gesessen. Ein hageres Gesicht unter hoher runder Stirn. Die dünnen Lippen liegen regungslos aufeinander. Die schmalen, wie in die Haut geritzten Augen schauen in das Nichts über den Köpfen der Zuhörer. Es ist ganz unmöglich, sich eine Vorstellung von dem Fachwissen zu machen, mit dem Herr I. uns jetzt konfrontieren wird.

Er stellt zunächst seinen Assistenten in der ersten Stuhlreihe vor, einen aufgedunsenen jungen Mann mit stumpfen Gesichtszügen – ein grotesker Gegensatz, die beiden. Herr I. erhebt sich zum Referieren. Wir stülpen uns die Synchron-Kopfhörer über. Der Referent holt weit aus. Er spricht von menschlicher Entwicklung im allgemeinen, von Energie, Masse und Information als deren Bestandteile, von der Inkorporierung dieser Bestandteile, wie sie sich zum Beispiel beim Atmen wirksam entfalten.

Damit wir das alle mal nachempfinden, bittet er uns aufzustehen. Nun breitet sich Erstaunen aus; damit haben wir Zuhörer nicht gerechnet. Auch die Kollegen Experten auf dem Podium sollen aufstehen. Während wir in den Zuschauerreihen uns zögernd erheben, auch der Moderator und Biobauer S. , versucht der kumpelige Landrat, mit verschränkten Armen und ausgestreckten Beinen sitzen zu bleiben. Aber das hält er nicht durch. Ächzend steht auch er auf, dreht sich einmal um sich selbst, zieht sein Jackett aus und hängt es über seine Stuhllehne.

Auf Anweisung des polnischen Referenten heben wir die Arme über den Kopf, lassen sie sinken und lachen dabei schubweise ha – ha – ha! Wir spüren der Energie nach, die die Lacher wie ein Düsenantrieb in unseren Körpern zurück lassen. Das macht der Landrat dann doch nicht mit; er versucht, mit dem Biobauern zu tuscheln. Aber der ruht heiter in sich; das bisschen Eso-Lachen macht ihm nichts aus.

Wir dürfen uns dann wieder setzen. I. berichtet von seiner Tätigkeit als Dorfberater. Er legt das Axiom kleiner Einheiten dar – da horche ich auf – und er erzählt von den polnischen Hobbit-Dörfern, die ihre eigene Währung haben, Tauschhandel unter einander aufbauen und ihre Energie selbst produzieren und konsumieren – da horche ich noch mehr auf.

Jetzt kommt wieder ein plastischer Einschub. Der Assistent kommt ins Spiel. Er öffnet die neben sich abgestellte Reisetasche, entnimmt ihr nacheinander Teller, Bälle und Reifen und wirft sie dem Referenten zu. Herr I. lässt die Teller auf Stäben kreisen und die Bälle durch die Luft fliegen. Eine sehr luzide Veranschaulichung von den ewigen Kreisläufen aus Masse und Energie. Der Versuch, das Publikum und die Podiumskollegen auch hier zum Mitmachen zu bewegen, misslingt. Mein Herz hat Herr I. gewonnen, jedenfalls meine volle Aufmerksamkeit.

Schubweise kommen die Botschaften in der deutschen Übersetzung aus dem Synchron-Kopfhörern. Die Übersetzerin hat vor Anstrengung ein rotes Gesicht. Ihre Augen hängen starr an den Lippen von I., versuchen, den Sinn seiner Sätze voruaszuahnen, um sie in der Übersetzung grammatisch richtig anzusetzen. Vielleicht bleiben die einzelnen Aussagen dadurch etwas unverbunden. So etwa der Hinweis, dass auch in den Schulen oder zum Beispiel in den Sportstätten viel sinnlos verausgabte Energie einzufangen und abzuschöpfen wäre. Oder die Forderung, dass Polen auch ein Energie-Einspeisungsgesetz braucht, damit die regionale Energieproduktion und ihre autarke Bewirtschaftung nach vorn gebracht werden kann.

Der Landrat hat seine Kopfhörer abgesetzt und nötigt dem Biobauern ein geflüstertes, aber deutlich wahrnehmbares Gespräch auf. So ein Rüpel! So eine Missachtung der Gastfreundschaft gegenüber den eingeladenen polnischen Gästen! Ich bin wieder kurz davor, mich einzumischen.

Nun ist er selbst dran. Er beginnt damit, dass er den polnischen Beitrag düster kommentiert: “Wenn die Polen ein Energie-Einspeisungsgesetz nach deutschem Muster beschließen, gefährden sie damit den sozialen Frieden!” Es kommen Nachfragen. Er erklärt, dass dann das gleiche passiert wie in unseren Regionen: die fetten Subventionen der erneuerbaren Energien würden das internationale Kapital ins Land locken. Die gewachsenen kleinbäuerlichen Strukturen, die so wichtig für das Funktionieren der ländlichen Regionen sind, würden durch den Ausverkauf von Land und Ressourcen in kurzer Zeit zerstört. Er verweist darauf, dass sich in die große fotovoltaische Anlage in Neuhardenberg die Chinesen eingekauft haben. Landgrabbing! Das sagt er nicht, aber auf das Bild beruft er sich: Überall fällt das um die Welt geiernde milliardenschwere Finanzkapital über die zum Fraß vorgeworfenen Ländereien her und hinterlässt soziale Erosion und Dörfer ohne Land.

So so. Das hätte ich nicht gedacht, dass der Landrat sich so klar positioniert. Er bringt noch weitere Zahlen und Namen und verweist auf Entwicklungen, um zu zeigen, wie wichtig der Erhalt der regionalen Wirtschaftsräume ist.

Der weißhaarige Zuhörer bringt sich wieder ins Gespräch. “Es ist doch eine Schande, wenn gute Ackerfläche, auf der Weizen oder Roggen wachsen könnte, mit Solarfeldern zugebaut wird!”, will er punkten. Aber jetzt komm ich. “Nicht unbedingt”, sage ich, indem ich mich ihm zuwende, “wenn das Getreide, wie hierzulande üblich, unreif abgeschnitten und in die Biogas-Anlage gefahren wird und dort in einem thermischen Prozess in Strom verwandelt wird, dann ist es besser, gleich Strom auf der Fläche zu produzieren; dann hat man wenigstens nicht auch noch den Umwandlungsverlust.” Ich rede weiter Richtung Podium und erkläre, dass es wenig Sinn macht, immer von Energie zu reden, es kommt ja auf die jeweils angemessene Energieform an – elektrische, mechanische, thermische Energie. Dann werde ich politisch. Im Grunde geht es immer um Strom, wenn von Energie die Rede ist, das ist die Basiseinheit, die globale Währung, in die alle lokal erzeugte Energie überführt wird, um dann sinnloser Weise und unter hohen Verlusten in die jeweils gebrauchten Energieformen zurück verwandelt zu werden.

Den Weißhaarigen bringt meine Intervention in Rage. Er fällt mir von hinten ins Wort: “Hören Sie, liebe Frau, Sie können doch nicht…” Aber jetzt komme ich in Rage und erhebe die Stimme: “Was fällt Ihnen ein? Seien Sie gefälligst nicht so herablassend! Überhaupt, warum müssen Sie hier ständig belehren?” Und noch anderes sage ich. Der Weißhaarige brummelt in mein Geschimpfe: “…hab doch nur, …kannte ja Ihren Namen nicht…” Der Landrat vor mir grinst, zieht den Kopf ein und rollt mit den Augen.

Der Moderator nimmt die Fäden wieder in die Hand, die Debatte geht weiter. G., Geschäftsführerin der LAG Märkische Seen, des Projekte-Zusammenschlusses für die Euroförderung in der Region, verweist auf die Bedeutung regionaler Wertschöpfungsketten und dass sie das in ihrem neuen Programm jetzt auch noch stärker berücksichtigen.  Ein polnischer Besucher will wissen, was die deutschen Landgemeinden gegen die Windkraftanlagen haben. Ich erzähle von dem Widerstand in unserem Dorf und dass das was damit zu tun hat, ob die Menschen das als ihren eigenen Reichtum empfinden – und auch nutzen können – oder ob der einfach abgezapft wird und in anderer Leute Taschen fließt.

Der Landrat nickt mir bestätigend zu; er ist unbedingt dafür, dass die Gemeinden einen besseren Zugriff auf die lokale Energieproduktion haben müssen, das muss beim nächsten Regionalplan berücksichtigt werden. Hört, hört – ist das SPD-Politik?

Nachdem der Moderator uns aus der Debatte raus und hin zum Buffet gekriegt hat, stehen wir mit Häppchen herum. Der Landrat kommt grinsend auf mich zu: “Na, Frau Harms, das war ja gar nichts heute, da hatten wir ja schon ganz andere Streits, was?” Ich kann mich gar nicht erinnern, dass wir heute gestritten hätten. Erstaunlicherweise. “Aber jetzt weiß ich ja, wie ich Sie ärgern kann”, fährt er Suppe-löffenld fort, “was hat er gesagt? Liebe Frau?” “Na, mit sowas können Sie mich nicht ärgern, aber damit, dass Sie nicht zuhören, wenn andere reden. Wenn Sie denken, Sie wissen das eh schon alles, und sich einfach unterhalten.” “Stimmt. Das passiert mir immer wieder”, sagt der leutselige Landrat, “das ist unhöflich, nicht?” fragt er, als wäre ich seine Mama.

Ich wechsele das Thema. “Sagen Sie mal, Herr Sch., wenn Sie so für den Erhalt der lokalen Identität sind, was denken Sie denn über die Folgen der diskutierten Ämterzusammenlegung? Das ist doch ein regelrechter Angriff auf die Dörfer- und Gemeinde-Struktur!”  Ohne sich auf mich zu beziehen, wiederholt der Landrat meine Position. “Das wird eine Katastrophe”, er stellt seine Suppenschale ab, weil er jetzt beide Hände braucht. “Das ist eine fatale Entwicklung. Das war schon nach der letzten Gemeindereform unheimlich schwierig, die Identifizierung mit dem Dorf auf die neue Gemeinde zu übertragen.” “Da stehen Sie aber im Widerspruch zu Ihrer Partei”, bringe ich mich als Gesprächspartnerin in Erinnerung, “die war schließlich an dem Enquete-Bericht beteiligt, in dem die neue Ämterzusammenlegung vorgeschlagen wird.” “Na, wenn schon”, sagt der Landrat und löffelt wieder, “ich find auch nicht alles richtig, was in der Partei vertreten wird”. Aha, so einfach ist das, Herr Landrat. “Dann müssen Sie das aber mal laut und deutlich sagen!”, sage ich noch. Dann wende ich mich dem Biobauern zu, der mit der LAG-Geschäftsführerin da steht.

Beide kenne ich aus anderen Zusammenhängen. “Sag mal”, spreche ich S. von der Seite an, “was für eine Position hat eure Partei auf Kreisebene eigentlich zu den Vorschlägen derEnquete-Kommission?” “Ja, das weiß ich jetzt nicht so auswendig.” “Aber der Vorschlag zur Ämterzusammenlegung ist doch ein echte Bedrohung, oder?” S. ist auf dem Gebiet nicht fit, das merkt man. “Ja, es gibt da wohl eine Haltung. Das wurde mal besprochen. Aber auf der Sitzung war ich nicht dabei.” Aha, so einfach ist das, Herr Kreistagskandidat. (wird fortgesetzt)

 

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