vonImma Luise Harms 05.06.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Am anderen Ende des Dorfes blickt mir eine Kuh entgegen. Sie ist aus Plastik und steht einsam auf der Freifläche vor dem riesigen Rolltor eines großen langgestreckten Stallgebäudes, das zu dem ehemaligen LPG-Betrieb gehört. Wie in vielen Dörfern im Oderbruch wurde der Landirtschaftsbetrieb von einer holländischen Familie übernommen. Angeblich kriegen die niederländischen Bauern hohe Stilllegungsprämien, wenn sie ihre Schweinemastanlagen im Land schließen. Die Prämien reichen aus, um sich hier von der Treuhand einen Agrarbetrieb zu kaufen, der um ein Vielfaches größer ist. Mit der Unmenge an Gülle werden Biogasanlagen betrieben; das wird dann noch mal gefördert. Die Biogasanlagen erkennt man an den gedrungenen grünen Runddächern über den Silos.Es stimmt nicht überall, aber doch meistens: Wo die grünen Silotürme sind, sind die Holländer.

Neben ihre neuen Agrarbetriebe bauen die zugezogenen Familien aus Holland neue Wohnhäuser für sich und ihre Nachkommen. Solide zweigeschossige Gebäude aus Backsteinen, mit spitzen Gauben im Satteldach, ganz im Stil ihrer calvinistischen Vorfahren. Das Holländerhaus in Bliesdorf steht schmucklos, sachlich und definitiv, ganz ohne schmiedeeisernen Gartenzierrat, auf einer freien Rasenfläche. Eine kleine, scharf geschnittene Buchsbaumhecke umgibt den Sockel des Gebäudes. Die Haustür erreicht man nicht von der Straße aus, sondern von dem Betriebsgelände nebenan. Da muss dann auch irgendwo der Briefkasten sein. Wahrscheinlich gibt es ein Büro auf dem Gelände, das die Post der Familie mit empfängt. So weit will ich mich aber nicht vorwagen, schon gar nicht mit meinen Pamphleten gegen die agroindustrielle Großproduktion. Die Holländer sind nicht meine Zielgruppe.

Jetzt sind wir durch und wenden die Räder. Da ist noch eine Seitenstraße, die wir übersehen haben. Sie führt durch eine Reihenhaus-Siedlung, die moderne Variante der 4-WEs – gefälliger, niedriger, mit gläsernen Vorbauten für die Eingangstüren, die Straße davor durch Ensembles aus Rasen und Bäumchen gegliedert und beruhigt. Diese Anlage kann erst ein paar Jahre alt sein. Wer redet denn von Entvölkerung? Hier ziehen dieLeute ja offenbar hin. Aber ein großer Teil der Briefkästen ist ohne Namen, viele zugeklebt, damit die Prospekte darin nicht eine überquellende Verstopfung verursachen. Den Verteilern der Anzeigenblätter und Werbesendungen ist es nämlich egal, ob ihre Sendungen einen Adressaten erreichen, sie werden pro Klappe bezahlt. Mir ist das nicht egal. Ich will, dass die Zettel, die wir Stück für Stück zusammen getackert haben, gelesen werden, wenigstens von jemand in die Hand genommen werden, dann vielleicht verworfen, aber doch aufgrund einer menschlichen Entscheidung.

Bei den Briefkästen, auf denen “bitte keine Werbung” steht, zögere ich. Manchmal steht da auch “keine Werbung und auch keine kostenlose Zeitungen!” Weil die Werbung ja immer in der Umsonstzeitung “Märkischer Sonntag” versteckt wird. Ist das Werbung, was ich verteile? Irgendwie ja. Ich werbe ja dafür, dass die Leute mich wählen. Andererseits ist es auch politische Information. Ohne die können die Leute doch gar keine Wahlentscheidungen treffen. Im Fernsehen kriegen die Parteien sogar kostenlose Sendezeit dafür. Woher wollen die Briefkastenbesitzer wissen, dass sie die Sendung nicht haben wollen, wenn sie sie noch gar nicht angeguckt haben? Trotzdem, wenn ich mich dann über die geäußerte Bitte hinwegsetze, den Briefkastendeckel aufmache und meine wichtige Information zur Kreistagswahl hindurchschiebe, lasse ich ihn nicht, wie sonst, – klack – wieder fallen, sondern lege ihn vorsichtig in seine Ausgangslage zurück. Ein bisschen heimlich, immer darauf vorbereitet, dem Besitzer oder der Besitzerin Rede und Antwort stehen zu müssen.

Das Gefühl schlägt um, wenn ich auf einem Kasten das Schild “Werbung veboten” vorfinde. Spinnen die? Verbieten lasse ich mir das nun nicht. Der Briefkasten ist eine definierte Schnittstelle zur Außenwelt, die Ding gewordene Frage an die Welt, ob sie etwas mitzuteilen hat. Was die Menschen auf der anderen Seite des Kastens damit anfangen können, entscheidet sich dann erst. Die Postbotin macht die Briefe, die für Haus Nr. 13 am Ende der Straße bestimmt sind, auch nicht erst auf, um die neuen, unverlangt zugesandten Tarifangebote des ADAC aus den Rechnungen oder Kontoauszügen auszusortieren.

Der Briefkasten ist ein Mund, ist ein Tor, ist die Durchreiche zwischen öffentlich und privat, ist das Aushängeschild der Familie, aber auch die offene Stelle in ihrer Abschottung. Wir lernen viele von ihnen auf unseren Touren durch den Wahlkreis kennen (wird fortgesetzt).

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