vonImma Luise Harms 04.07.2016

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Das wusste ich auch nicht. Das große Sandsteinportal vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude ist vom Schloss abgenommen worden, bevor es zerstört und stattdessen dort der Palast der Republik aufgebaut wurde. Vielleicht, wahrscheinlich sogar, deswegen, weil Karl Liebknecht von dem Balkon des Portals 1919 die Republik ausgerufen hat. Wikipedia meint aber, nur ein Fünftel von den Schlossbausteinen sei noch echt.

Wird das Portal denn nun vor das remobilisierte Schloss zurück versetzt? Geht nicht, das Staatsratsgebäude steht, so wie es steht, unter Denkmalsschutz. Wird die Fassade nochmals nachgebaut? Auch eine interessante Vorstellung: zwei gleiche Fassaden, eine unechter als die andere, zwei Pastiches, die sich gegenseitig denunzieren. Ob es den Berlin-Touristen wohl auffällt?

„Ich finde ja, die sollten die Stelle am Schloss aussparen, also dass man da den nackten Beton sieht“, meint Andreas und wedelt mit seinen langen Armen über den Platz vor dem Staatsratsgebäude, auf dem seine kleine Kunstklasse sich versammelt hat, mit mir als Seniorpartnerin. Ein Platz, ein überdimensionierter Gehweg, der bis zur letzten Ritze zuasphaltiert ist, gegen jeden Grashalm richtiggehend abgedichtet. Andreas schüttet jede Menge Bau- und andere Skandale über uns aus, wobei seine wirklich langen Arme abwechselnd in Richtung Bauakademie, Schloss oder Bundesaußenministerium zeigen. Die Studierenden, meist aus anderssprachigen Ländern, verstehen nur halb, sehen sich um und nicken mit vagem Blick.

Und nun erst das Gebäude selbst. Andreas schleudert sein Wissen wie eine Serie von Farbeiern gegen die Außenwand, wie einen Fluch, der zum Menetekel werden soll. Aber es erscheint keine Schrift. Natürlich nicht. Andreas beendet seine Sätze mit einem bitteren Lachen. Nach Ulbricht, Honecker und Krenz hat auch Bundeskanzler Schröder, ja, der Schlimme mit der Agenda 2010, seine Duftmarke hier gesetzt. Und jetzt hat es sich die Elite-Managerschule ESMT, das heißt European School of Management and Technology, unter den Nagel gerissen. Also direkt das Kapital. In der Eingangshalle steht, wer alles. Andreas, der im Innenraum des Foyers den Arm beim Zeigen nur noch halb ausfährt, weiß auch, dass die Studiengebühren 25.000 Euro im Semester betragen, und dass die Firmen, die ihre Managereleven da hinschicken, dafür sämtliche Infos über sämtliche Kontakte von denen einfordern.

Was machen wir denn hier?

Andreas ist Kunstprofessor in der Weißenseeer Hochschule. Wir besuchen die Berlin Biennale. Sie hat sich die ESMT als einen Ausstellungsort gesucht, erbeten oder hat ihn angeboten bekommen. Das ist nicht klar, wäre aber interessant, wie sich später zeigt.

Wir haben über die Texte der Ausstellungsbroschüre geredet, kritisiert, wie die warnend und drohend beschriebene Durchalgorithmisierung der Welt, genau dieser Algorithmisierung den Weg ebnen hilft. Cyber, überall Cyber. Und: es gibt kein Außen zum Kapitalismus. Wirklich nicht?

Jetzt jedenfalls sind wir drinnen, in der Höhle der jungen Löwen des Kapitals. Weil auch die Kunst, die sich damit befasst, drinnen ist. Ich denke an die Kohlpflanzen in meinem Garten, die von weißen Fliegen umschwirrt werden, harmlosen weißen Fliegen, die wie Staubkörner hochwirbeln, wenn ich die Pflanzen gieße. Sie richten keinen großen Schaden an, aber sie legen ihre Eier in die Stängel der großen, kräftigen Blätter von Wirsing, Brokkoli und Blumenkohl, genau in die dicken Hauptschlagsadern. Erst sind nur harmlose dunkle Verdickungen zu sehen. Aber dann: kommen die fetten Raupen heraus, fressen über Nacht alles, was noch grün und saftig an der Pflanze war! Und dann kannst du die Ernte vergessen.

Ist das die Idee? In der Eingangshalle ist eine Infotafel der Biennale aufgestellt, die eine Mimikry mit den Brandings der Multis versucht, sich im angenommenen Namen der Manager-Hochschule mit einem Schmähgedicht gegen die halbherzigen SystemkritikerInnen wendet. „Du investierst in futures, weil alles, was du besitzt, den Bach runtergeht…“ Wer oder was nistet sich in wem oder was ein?

Zunächst mal, oder zuerst hat sich die Kapitalistenschule in der DDR-Geschichte eingenistet. Der große Hörsaal zur Linken enthält noch das Staatswappen der DDR als wandfüllendes Glasmosaik. Es ist von einem großen Vorhang bedeckt, hat Andreas bei anderer Gelegenheit gesehen. „Wenn sie die Elitestudenten erschrecken wollen, ziehen sie den Vorhang zurück“, erzählt er grinsend. Er steuert in den Flur, der zu diesem historischen Showroom führt; wir ihm nach. Da werden wir aber sofort zurückgebellt. „Hallo, nein, da können Sie nicht rein! Die Biennale-Ausstellung ist im ersten Stock.“ Andreas fängt eine Schau-Diskussion an. „Das Gebäude gehört doch der Stadt, also uns allen. Wir müssen das doch mal angucken können. Wieso kann man da nicht rein? Was haben Sie zu verbergen?“ Undsoweiter. Die beiden Aufsichtspersonen verweisen auf die Trasse, die für den öffentlichen Durchzug bestimmt ist. Sogar in den Garten, den Campus, dürfen wir, wenn wir wollen. Aber sonst ist ja normaler Hochschulbetrieb. Das müssten wir bitte berücksichtigen. Nein nach rechts auch nicht. Bitte da hoch und oben dann links. Undsoweiter.

Wir haben uns während des Wortwechsels etwas aufgefächert und im großen Foyer die Bekanntmachungen gelesen. Nun sammeln wir uns wieder um Andreas wie die Kohlfliegen um die Pflanze, wenn der Wasserstrahl zu Boden geflossen ist. Im Treppenhaus, das sich ausladend an einer historischen Mosaik-Glaswand entlang in den oberen Gebäudeteil auffaltet, sind zwei Künstler am Werk. Mit schwarzem Gestänge, einer großen Stehleiter und Scheinwerferanordnungen bereiten sie eine Installation vor, die in ihrer Gesamtaussage noch nicht zu erkennen ist.

Die Aussage des großen Mosaiks hinter ihnen ist dagegen gar nicht misszuverstehen. Sie fügt sich zu einem der üblichen dumm-DDR-deutschen Lebenspanoramen – die Männer breitbeinig mit Bauplänen und schwerem Gerät, die Frauen mit Kindern oder Ährengarben. Dieses Glasmosaik betrachte ich lieber im Detail: wie die Glasstücke zusammengesetzt sind. Ist es überhaupt Glas? Ja, ist es, und irgendwie geklebt. Die breiten schwarzen Fugen sind nicht etwa Metall, das die einzelnen Scherben zusammenhält. Es sind Auslassungen zwischen den transparenten Scheiben, die zusammen ein System von Straßen und Wegen bilden und mit einer bitumen-ähnlichen Masse ausgespachtelt und damit dunkel gemacht sind. Erinnert mich irgendwie an den Gehweg vor dem Eingangsportal.

Auf den großen leeren Flächen der Foyers unten und oben stehen meterhohe Urzeit-Hörner aus Acrylglas, geschwungen, züngelnd. Andreas zeigt uns, wie sie sich flammenartig in den gläsernen Tafeln spiegeln, auf denen die großen Konzerne ihre Rechte geltend machen, und diese damit allegorisch in Brand setzen. Ja, allegorisch, sieht hübsch aus.

In der hinteren linken Ecke ist nun der Eingang zum Ausstellungstrakt, in den wir rein dürfen. „Simon Dennys“, sagt Andreas bedeutungsvoll und nickt in die Runde. Das steht auch an der Wand. Simon Dennys Arbeit heißt „Blockchain Visionaries“. Ein Gang führt an ein paar ausgestellten Briefmarken-Blocks vorbei. Aha, Blockchain= Briefmarkenblöcke? In dem großen Raum dahinter sind drei Messekojen aufgebaut, komplex, mit viel Schrift, viel hochgerasterten Fotografien, die auf Acrylmodellen aufgezogen sind. Worum geht es? Ich vertiefe mich in die Schriftblöcke. Das Wort „Asset“ taucht immer wieder auf. Was heißt das genau? Ich erkundige mich bei den Studierenden, die meist besser englisch können als ich. Genau wissen sie es auch nicht, bzw. haben ´ganz unterschiedliche Erklärungen. Das Smartphone gibt bescheid: es ist die Gesamtheit der zur Verfrügung stehenden Güter, um Profit zu erwirtschaften. Also Manpower, Know how, Montagehallen, Standortvorteil und so was mehr. Aber was ist nun damit? Die Sätze lesen sich wie wadenbeißerische Parolen: „When software eats the world, voice your dissent in…“

Und dann gibt es Arrangements von lebensgroßen Personen, elektronischem, bzw. digitalem Gerät, das wie in Tabernakeln präsentiert wird, und jeweils einem neu entworfenem Briefmarkenblock. Visionäre Briefmarkenblocks? Blockchain heißt wohl doch was anderes. Ist eine komplizierte, zukunftsträchtige Sicherheitstechnologie, auf der die finktive Internet-Währung Bitcoin aufbaut. Das hab ich aber erst später rausgekriegt.

Erstmal umstehen wir hier Andreas und rätseln bzw. bezweifeln die Kritikhaltigkeit dieser merkwürdigen Messe, die vor allem den Satz wieder beschwört: Es gibt kein Außen zum Kapitalismus. Andreas gruselt sich vor allem vor den Kunststoff-Figuren, die messebau-mäßig mit Winkeleisen in die Ausstellungkojen montiert sind. „Fürchterlich, nich?“ sagt er, zieht dabei die Schultern schützend vor die Ohren und lässt die Arme mit gespreizten Fingern neben sich baumeln. Aber die stilistische Angleichung sei ja wohl gewollt. Bloß wozu? Den kapitalistischen Plan von innen her kritisieren? Vorführen, so dass er sich selbst verrät? Wir sprechen über Akzelerationismus, also die lebensfressende Digitalisierung noch mit anzutreiben, damit sie sich in dem ihr eigenen Irrsinn umso schneller selbst verzehrt. Eine Neuauflage der alten Verelendungstheorie sozusagen.

Während wir noch diskutieren, kommt eine Schulklasse in den Raum. Die SchülerInnen, geschätzte 6. Klasse, setzen sich zu Hauf vor das erste Exponat. Der Lehrer erklärt ihnen Aspekte der Digitalisierung, der Internet-Währung, des dezentralisierten Datenmanagements. Die SchülerInnen bleiben beim Handfesten. Sie fummeln auf ihren Handys, kriegen sie dann aber weggenommen. Denn das sollen sie hier nicht, sie sollen zuhören. Aber was hören sie? In der Auslegung des Lehrers ist das Objekt nun wirklich nichts anderes mehr als ein Messestand der Bitcoin-Unternehmen.

Wir verschwinden durch eine ramponierte Holztür in den nächsten Raum. Es ist ein abgewrackter Gebäudeteil mit unverputzten Wänden und Sperrholz-Verkleidungen. Rohbau, Rückbau, Ruine? Es geht um die Golfstaaten. Eine in Sand verlegte Sprintstrecke, die in sich selbst zurückführt, selbst-bremsend sozusagen. Damit kann ich was anfangen.

Und das wars schon mit der Berlin Biennale zu Gast im ESMT. In die Besenkammer haben sie sie geschoben. Da wo es garantiert niemanden juckt. Wir sind ernüchtert, tröpfeln zurück ins obere Foyer, würden gern noch etwas mehr echte Ausbeuterelite-Atmosphäre schnuppern. Aber wir werden beobachtet, unser Weg ist vorgezeichnet, führt selbstbremsend wieder die Treppe runter. Aus einem der Gänge, in die wir neugierig hineinspähen, kommt eine Gruppe von Männern in leichter Business-Bekleidung, weißes Hemd und Schlips, manche auch im Anzug. Ihre Gesichtszüge sind asiatisch, vielleicht chinesisch. Sie umspülen uns, gehen durch uns hindurch. Wir zählen nicht, wir sind gar nicht da. Sie sind auf dem Weg nach unten. Auf halber Treppe, vor dem bieder-deutschen Glasmosaik machen sie Halt. Sie verteilen sich auf den Stufen und machen auf Ansage „Cheese“. Angesagt haben das die beiden Künstler, die wohl doch, jedenfalls hier, einfach Dienstleister sind und die sich auf diesen Augenblick mit Leiter, Scheinwerfern und Kameras schon seit einer Stunde vorbereitet haben. Daniele, unser italienischer Kommilitone, stellt sich in der letzten Reihe dazu und wird so, historisch gesehen, ein Teil der chinesischen Delegation. Sie merken es nicht oder es ist ihnen egal.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2016/07/04/kunst-o-kunst-im-hohen-haus/

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kommentare

  • Liebe Imma, auf der Suche nach Dir ganz persönlich und live zur Klärung, an welchem Tag Du jetzt zuz uns kommst, habe ich wieder einmal mit Vergnügen Deinen Blog gelesen – scharfsinnige ironische anschauliche Momentaufnahme Deiner Welt, in die sich unsereins hineindenken kann…! Der Italiener, der sich unter die Chinesen gemischt hat, ist ein schöner Schlusspunkt und zaubert einem ein Lächeln aufs Gesicht…
    Melde Dich, ich habe Dir eine SMS geschickt! Kussgruß Lena

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