vonImma Luise Harms 15.03.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ein blogeintrag, vor 9 Jahren niedergeschrieben, aber nicht zuende geführt und bisher nicht veröffentlicht:

“Zettelkasten – Das gibt es in jedem Haushalt: Gegenstände von fragwürdigem Nutzen, die nicht weichen wollen. Wenn umgeräumt wird, sind sie schon aussortiert, stehen bereit zum Wegwerfen, stehen da und überdauern die ambivalenten Gefühle und warten auf dem rettenden Moment, in dem sie resigniert in ein entlegenes Schrankfach zurückgeräumt werden.

Das sind die Gegenstände, von den wir meinen, uns befreien zu müssen, um leichter zu werden und neue Fahrt zu gewinnen. Und auch die, die wir suchen, weil sich plötzlich eine Verwendung für sie ergeben hat. Dann finden wir sie nicht, und wir suchen und suchen, weil sie uns plötzlich unverzichtbar erscheinen. Verworfen, verloren, verschenkt, vergessen.

Der Vater hat sich einen Zettelkasten gebaut. Er hat einen nicht üppig, aber sorgfältig eingerichteten Werkkeller. Es gibt ein benageltes Brett an der Wand, das zur Aufhängung der Zangen und Hammer bestimmt ist. Damit keine Irrtümer entstehen können, ist jedes Werkzeug als Kontur auf das Holzbrett gemalt. Vielleicht ist es auch, damit schludrige Werkzeugbenutzer zur Ordnung genötigt werden.

Der Zettelkasten ist aus fein genageltem und verleimtem Sperrholz. Er hat die Größe eines dicken Buches. Von den sechs Seiten sind zwei verkürzt, die obere reichlich, damit neue Zettel eingefüllt werden können, die vordere ein wenig, für die Zettelentnahme. Zusätzlich ist an der Vorderseite eine halbrunde Aussparung, durch die der benetzte Zeigefinger bequem zurückgleiten, dabei ein Blatt hinter sich herziehen und dem an der Kastenfront angelegten Daumen zum Gegengriff zuführen kann.

Das Halbrund geht nicht bis zum Boden, dadurch sind die unteren Zettelschichten schwer hervorzuziehen. Wie konnte dem Vater dieser Konstruktionsfehler unterlaufen?

Entweder hat sich die Notwendigkeit für die Zeigefinger-Aussparung erst beim Gebrauch ergeben, und nachträglich konnte der Vater nicht so tief sägen, ohne den Boden zu beschädigen. Oder die Stabilität der Vorderseite wäre bei den beiden isoliert dastehenden Holzecken infrage gestellt gewesen.

Der Vater liebt das Naturholz, aber Sperrholz ist kein Naturholz, es ist ein Werkstoff, der auch bei Anfassen sperrig ist. Ein Gegenstand, der vor allem haptisch ansprechen soll, braucht eine glatte Oberfläche. So wird der Kasten im Werkkeller bemalt. Es sieht so aus, als habe sich der Vater mehrmals umentschieden. Die Farbgebung, in der der Kasten endete und die Zeit überdauerte, ist von schwer beschreibbarer Häßlichkeit.: in Tupfen aufgetragene Grüntöne, von hellem Graugrün bis zu dunklem Moosgrün. Ein Muster zwischen der gekräuselten Wasseroberfläche eines Bergsees und einer Spähpanzerbemalung. Was hat der Vater da gewollt? Was hat er sich vorgestellt?”

Ein merkwürdig gespreizter Text. Der Stil ähnelt der beschriebenen Lackierung. Na, wie auch immer, jedenfalls ist das Holzkästchen des Vaters jetzt bei meiner Enkeltochter, also bei der Urenkeltochter des Erbauers.

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