Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.
In der Neuauflage des Prozesses vor dem Landgericht Augsburg gegen Max Strauß wegen Steuerhinterziehung sagte auch der »Geschäftsmann« Dieter Holzer aus. Holzer wurde kürzlich wegen der Schmiergeldaffäre beim Kauf der Leuna-Raffinerie durch den französischen Ölkonzern Elf Aquitaine zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Ein anderer »Geschäftsmann«, der in Deutschland seit Jahren gesuchte Waffenlobbyist und Franz-Josef-sowie-Max-Strauß-Freund Karlheinz Schreiber wird vermutlich von der kanadischen Justiz nicht ausgeliefert. Was wir von diesem Kriminal-Tango in Augsburg mitbekamen, steht in ›Schröder erzählt‹. Wir bringen den Text aus der Folge der ›Willkommen!‹ in zwei Fortsetzungen:
Lassen wir mal das Pathologische beiseite und sprechen von den soliden Großschweinereien, die Kohl, Kiep, Franz Josef Strauß nebst Frau, Tochter und Söhnen, Schreiber, Holzer, Pfahls, Riedl, Agnes Hürland-Büning, Günther Krause, Werner Münch und Kanzleramtschef Friedrich Bohl auf dem Kerbholz haben. Und reden wir aus gegebenem Anlaß jetzt über Alfred Sirven. Nur mal zur Rekapitulation: Von den zweihundertfünfundsechzig Millionen Franc Provision für das Leuna-Milliarden-Geschäft flossen fünfzig Millionen Schweizer Franken auf Dieter Holzers Delta-International-Establishment-Konto. Diese Liechtensteiner Firma handelte mit Ölen, Fetten und deren Derivaten, also mit Treibmitteln und Schmierstoffen genauso wie die ›Essences et lubrifiants françaises‹, abgekürzt Elf, deren Manager Alfred Sirven war. Das Geflecht der Milliardengeschäfte um Waffen, Panzer, die Elf Aquitaine, Leuna/Minol woben eben nicht allein der Kanzler Kohl und seine Helfershelfer, sondern ebenso die französische Regierung mit ihrem Außenminister Roland Dumas und der Staatspräsident Mitterrand. Natürlich kann Kohl dazu nichts sagen, weil sonst außer seiner Partei auch die deutsche wie die französische Republik zusammenstürzen würde. Deshalb ist die Sache mit Kohls Ehrenwort irgendwie ganz einleuchtend und stimmig, und es ist nur konsequent, daß er aus Staatsraison jetzt freigesprochen wurde.
Ohnehin hält sich diese Konstruktion aus pervertierter Staatsraison und Ordnungspolitik nur noch mit statischer Schläue, es geht von rechts bis links … nein, das trifft den Zustand nicht mehr! Wir hängen in der leeren Mitte, in einem ›Abjrund von Staatsversagen‹, um mal den legendären Ausspruch des alten Adenauer abzuwandeln. Sieger ist die Marktwirtschaft, und die kennt keine Feinde mehr, dafür manches Opfer. Längst ist es doch zweifelhaft, ob Alfred Herrhausen und Detlev Rohwedder Opfer der RAF wurden oder ob da nicht multinationale wirtschaftliche Interessengruppen ihre Hände im Spiel hatten. Jedenfalls lassen die Tatortbeweise in Bad Homburg auf Sprengstoffexperten der allerersten Kategorie schließen. Und beim Mord an dem Treuhandchef kann nur ein Profi geschossen haben. So einer muß nämlich täglich dreihundert Schuß trainieren, um einen Treffer aus großer Entfernung nachts durch ein geschlossenes Fenster sicher ins Genick plazieren zu können. Seit wann üben Terroristen monatelang auf Schießständen? Also: Ausgebildete Meisterschützen gab es bei der RAF nicht, sondern nur bei der Mafia und in Geheimdiensten. Worauf ich hinauswill? Die symbiotische Lebensgemeinschaft von Nachrichtendiensten und organisierter Kriminalität ist bekannt. Schließlich sucht Interpol Pfahls nicht umsonst mit dem warnenden Hinweis: »Vorsicht! Bewaffnet!« Und es ist für den ehemaligen Chef eines Geheimdienstes ein leichtes, mit Hilfe alter Freunde einen Opel Astra so manipulieren zu lassen, daß er zum richtigen Zeitpunkt mit einem Lkw zusammenstößt. Das haben uns Mielkes Mannen bei republikflüchtigen Fußballstars längst vorexerziert.
Der Kriminaltango, von dem ich erzählen will, begann vor unseren Augen wie eine filmreife Farce. Einer seiner Hauptakteure war ein komischer Heiliger namens Jörg Hillinger, seines Zeichens Leitender Staatsanwalt in Augsburg, geborener Sauerländer mit einer Liebe zur bajuwarischen Lebensart. Der massige Zwei-Meter-Mann bevorzugte Trachtenjanker und Schnupftabak. Er mußte dicke Brillengläser tragen, hatte einen Hängeschnauzer, ein Doppelkinn und eine Halspartie mit den Ausmaßen einer Schaumgummimanschette gegen das Halswirbelsyndrom. Aufgefallen war er mir lange vor dem Parteienbestechungsskandal als Scharfmacher. Im Prozeß gegen den Mörder der siebenjährigen Natalie aus Epfach vertrat er die Anklage, es fehlte nicht viel, und Hillinger hätte die Todesstrafe beantragt. Er schätzte eben das amerikanische Rechtssystem und ließ es auch sonst an autoritärem Gestus nicht mangeln. Dazu liebte er Western mit John Wayne und besprach Horrorvideos für den Katholischen Filmdienst unter seinem Pseudonym Joe Hill.
Als er es endlich geschafft hatte, drei Kurzgeschichten zu verfassen, rief er par ordre de mufti die Augsburger Journalisten im Presseclub zusammen. Die fühlten sich verpflichtet, vollzählig anzutreten, um sich des Wohlwollens von Chefankläger Joe Hill zu versichern. Als Schriftsteller war der Staatsanwalt eine Katastrophe, schon die Titel seiner Elaborate künden davon: ›Der Weg ist das Ziel oder Vom erfüllten Leben des Justizsekretärs Josef B.‹. Die zweite Geschichte heißt ›Der Antrag‹ und handelt »von einem Mann, der gierig nach einem Weibe giert«, die dritte, ›Die Verlobung‹, ist auch nicht gerade von Manzoni. Egal, hier geht es nicht um Literatur, sondern ums volle Menschenleben, wo das Geld die Politiker anspringt wie ein Straßenköter. Jedenfalls war dieser Rübe-ab-Jurist und Horror-Rezensent geradezu prädestiniert, die große deutsche Staatsversagensblase aufzustechen.
Er hatte Helfer: Winfried Kindler, ein verbissener Langstreckenläufer und Amtmann bei der Steuerfahndung Augsburg, vernahm in Lugano den Schweizer Treuhänder Giorgio Pelossi, der wegen nicht gezahlter Provisionen den Karlheinz Schreiber verpfiff. So kam die Affäre ins Rollen. Schreibers Villa in Kaufering wurde durchsucht, der Waffenhändler floh ins Ausland. Gegen den Ex-Verfassungsschutzpräsidenten, Ex-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Ex-Strauß-Helfer und zuletzt Ex-Daimler-Manager Holger Pfahls wurde auch ermittelt. Gerade erklärten übrigens die ehemaligen Minister Genscher und Stoltenberg vor dem Untersuchungsausschuß: »Pfahls war als Verteidigungsstaatssekretär kein Entscheidungsträger.« Soviel Chuzpe wird nicht mit dem sofortigen Entzug der Ministerpension bestraft, sondern einfach hingenommen!
Es ging um die Millionendeals mit Messerschmitt-Bölkow-Blohm, Thyssen Industries und Airbus Industries – also um Panzer, Hubschrauber, Waffen, für die Abermillionen Provisionen geflossen waren – und um die Verstrickungen der Strauß-Familie in diese Geschäfte. Das bayerische Amigo-System lief auf vollen Touren. Der verbohrte Augsburger Staatsanwalt Hillinger, keinem warnenden Wink von oben gehorchend, wurde zum Rapport beim Generalstaatsanwalt nach München bestellt, das Justizministerium warf ihm Knüppel zwischen die Beine. Doch er und sein Mitarbeiter, der junge Staatsanwalt Winfried Maier, blieben uneinsichtig, hatten sich geradezu in den Fall verbissen.
Am 22. April 1999 hatten Joe Hill und Zorro Maier endlich erreicht, daß der Ermittlungsrichter Haftbefehle gegen Pfahls und zwei Thyssen-Manager ausstellte. Sonderkommandos der Kripo standen in drei Städten bereit, um die drei Verdächtigen zu verhaften. Da befahl der Generalstaatsanwalt in München die Aussetzung des Vollzugs mit der Begründung, er wolle die Angelegenheit noch einmal überprüfen – was einer Strafvereitelung im Amt nahekam. Damit wurde der Showdown hinausgezögert, und dem Ex-Geheimdienstchef Holger Pfahls blieb genug Zeit, sich aus Singapur, wo er als Daimler-Manager arbeitete, abzusetzen und unterzutauchen. Dennoch war allen Beteiligten klar, daß Joe Hill den Fall weiterbetreiben würde. Das war der Stand der Dinge, als Merkwürdiges auf der Staatsstraße 2027 geschah: Am 28. April fuhr Jörg Hillinger mit seinem gerade vier Wochen alten weißen Opel Astra durch Augsburgs Westliche Wälder.
Um elf Uhr fünfzig auf schnurgerader Strecke und klarer Sicht bemerkte ein Pkw-Fahrer zwischen den Ortschaften Zusamaltheim und Roggden, wie ein weißer Opel vor ihm plötzlich Schlangenlinien fuhr. Offensichtlich versuchte Hillinger das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen, was nicht gelang. Er geriet auf die linke Straßenseite und stieß frontal mit einem Sechsundzwanzig-Tonnen-Lkw zusammen. Der Staatsanwalt wurde im Wrack seines Wagens eingeklemmt und war sofort tot. Die Ursache für Hillingers Tod bleibt ein Rätsel, denn die Obduktion der Leiche ergab, daß er keinen Herzanfall erlitten hatte und nicht eingeschlafen war. Spezialisten der Spurensicherung des Bayerischen Landeskriminalamtes untersuchten das Wrack und stellten keine Manipulation fest. Allerdings lag dieses Ergebnis ein bißchen schneller vor, als die Polizei erlaubt.
Fortsetzung folgt
(BK / JS)
Lieber Guter Onkel,
leider wurde Ihr Kommentar als Spam angesehen, daher können wir erst heute dazu äußern:
Nein, Hillinger verunglückte mit einem Opel.
Stimmt, Zusamaltheim liegt mehr nördlich.