vonSchröder & Kalender 14.04.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Vielen Dank für die mitfühlenden Genesungswünsche, die mich per Mail, Blog und Telefon erreichten. Inzwischen sieht es so aus, als habe ich meine Kinderkrankheit ohne weitere Folgen überstanden. Nur gegen Licht – auch das des Bildschirms – bin ich noch empfindlich, also trage ich vor dem PC eine Sonnenbrille. Es juckt noch überall, und ich fühle mich etwas schlapp. Das wird sich hoffentlich bald geben. Jedenfalls hat man mich aus der Charité entlassen. Hier ein paar Impressionen aus dem Campus Benjamin Franklin:

Das Dermatologie-Team des Prof. Sterry kann ich empfehlen, das Essen in der Klinik nicht. Deshalb habe ich auf die brutale Tour zwei Kilo abgenommen. Überhaupt war ich ständig müde und schlief, wurde aber immer wieder von schmerzhaftem Jucken geweckt. Das einzige, was half, war Chlorhexidin mit Zinkoxid. Gesicht, Oberkörper und Rücken hatte ich mit dieser weißen Tinktur bedeckt und sah wie ein Aborigine aus. Einer der Ärzte scherzte über meine weiße Gesichtsmaske: »Soll ich Ihnen noch Gurkenscheiben für die Augen bringen?« Wer den Schaden hat …

Ich mußte an den Dermatologen Dr. Benn denken, in einem seiner Texte gibt es eine Stelle, in der er dem Sinne nach schreibt: »Das einzige, was bei Hautkrankheiten hilft, ist Zinkoxid. Mehr braucht man über die Therapie nicht zu wissen.« Ich habe eben versucht, diese Passage wiederzufinden, erfolglos. Der Herausgeber Dieter Wellershoff hat für die Limes-Ausgabe 1960 kein Sach- und Personenverzeichnis erstellt, sondern lediglich ein Begriffsregister, in dem kommt Zinkoxid nicht vor. Er schreibt: »Dieses Register ist ein Versuch, das Denken Gottfried Benns in seinen tragenden Begriffen zu erfassen, ein Hilfsmittel also zum Verständnis der geistigen Position des Autors, seiner Axiome, Thesen und Urteile und seiner gedanklichen Entwicklung. Andere Formen des Registers wurden diskutiert, erschienen aber weniger sinnvoll. Ein Sach- und Personenverzeichnis, interessant für jeden sachbezogenen Autor, wäre bei Gottfried Benn zu einer zwar üppigen, aber unergiebigen Sammlung geographischer, historischer, mythologischer, botanischer und wissenschaftlicher Namen und Fakten geworden, ein lexikonartiger Katalog von zum größten Teil beliebigem und unzusammenhängendem Spielmaterial.« Na, das sehe ich anders! Wo ist mein Zinkoxid?

Neben mir lag eine andere Patientin, Frau Bohnekamp. Zwar zahle ich seit Jahrzehnten eine Zusatzversicherung für ein Einbettzimmer, aber da die Kliniken solche nicht mehr anbieten dürfen, liegt man eben im Zweitbettzimmer. Die Nachbarin war so alt wie ich, also um die Fünfzig und hatte eine Gürtelrose im Gesicht, auch ein Zoster-Virus, also konnten wir uns gegenseitig nicht anstecken. Obwohl ich sehr müde war und nur schlafen wollte, redete sie unentwegt: »Ich habe mir nach der Wende im Speckgürtel von Berlin ein Haus gekauft. Dort lebt ich zusammen mit ihrer Mutter und bin frühpensionierte Lehrerin.« Soweit alles normal, dann wurde ihre Geschichte wahnhaft: Sie werde in ihrem Dorf von den Stasi-Seilschaften verfolgt, man klopfe nachts an ihre Fenster und lasse sie nicht schlafen. Selbst bis nach Indien haben die Stasi-Leute aus ihrem Dorf sie verfolgt.

Ich hörte ihren Geschichten zu, schlief dann doch ein, wurde wieder vom Juckreiz geweckt, nahm das Glas mit dem Zinkoxid vom Nachttisch, um mich neu zu betupfen. Da schrie mich Frau Bohnekamp an: »Sie machen ja einen fürchterlichen Lärm! Hören Sie auf damit, ich habe solche Schmerzen!« Sie rief ständig die Schwester und ließ sich ein neues Schmerzmittel geben. Einmal las ich die Zeitung, es dauerte keine Minute, da schnauzte sie mich an, das Blättern sei zu laut, das könne sie nicht ertragen.

So ging es den ganzen Tag lang und die Nacht, bei der kleinsten Lebensäußerung schnauzte sie mich an, und wenn sie endlich schlief, schnarchte sie wie ein Rohrfrosch. Tagsüber saß Frau Bohnekamp aber quietschvergnügt im Bett, sah Fernsehen oder las Zeitung – sie durfte das –, und schaufelte Suppen, Joghurts, Schokolade und das Klinikessen in sich hinein, das sie sich draußen vom Furagewagen holte – wahrscheinlich klaute. Entsprechend fett war sie. Sie konnte ja das Bett verlassen und war häufig auf dem Flur unterwegs. Abends sah meine Nachbarin stundenlang Liebesfilme, dann war sie in ihrem Element. Mit glänzenden Augen glotzte sie zur Mattscheibe, leckte dabei schmatzend den Löffel ab, bevor sie weiter fraß und furzte – ungeniert im Minutentakt. Wohlgemerkt, sie war nicht bettlägrig und hätte ihre Darmgase in der Toilette ablassen können.

Wäre ich nicht so schwach gewesen, hätte ich mich gewehrt. Einmal holte sie sich mein Essen draußen vom Wagen und fraß es rein. Auf meine Frage, meinte Frau Bohnekamp schnippisch: »Das ist nicht Ihr Essen, das hat man mir geschenkt.« Wahrscheinlich klaute sie auch von den Tabletts der anderen Patienten, denn es fehlt immer etwas. Morgens hatte ich nur eine Scheibe Käse und ein Brötchen, sonst nichts. Ich schleppte mich auf den Flur, auf meine Beschwerde meinte der Pfleger: »Das höre ich immer wieder mal, daß Patienten sich selbst bedienen.« Er griff sich von einem andern Tablett eine Packung Quark und eine Streichwurst, gab sie mir und ging ins nächste Zimmer.

Erst am dritten Tag hatte ich die Kraft, Frau Bohnekamp auf ihr Liebesfilm-Furzen anzusprechen. Da war sie beleidigt und sagte: »Das ist doch wohl meine Privatsphäre!« Zum Glück wurde sie dann entlassen, und ich machte drei Kreuze. Am nächsten Tag sollte ich eine neue Zimmernachbarin bekommen, schlimmer als mit dieser Frau Bohnekamp konnte es nicht werden.

(BK)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/04/14/windpocken-und-zinkoxid/

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kommentare

  • Sehr geehrte Frau Kalender, G. Benn erwähnt Zinkoxid-Salbe in einem Brief an F.W.Oelze, so jetzt aus der Erinnerung heraus: Oelze hatte das große Jucken und Benn empfahl ihm Zinkoxid-Salbe und hatte auch sofort noch eine Geschichte eines Landarztes bereit, der allen seinen Patienten Zinkoxid-Salbe verschrieb und damit großen Erfolg hatte. Zu finden ist das in der 3-bändigen Ausgabe der Briefe Benn an Oelze.
    Viele Grüße
    Thomas Berentelg

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