vonSchröder & Kalender 03.10.2009

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

***
Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
***

Nachbemerkung zu unserem Blog ›Das Müllstück‹ (1 – 3): Trotz heftiger Kritik erlebte das Fassbinder-Stück ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ am Donnerstag seine deutsche Uraufführung. Nach den Prinzipien des Urheberrechts kann nun jede deutsche Bühne das Stück nachspielen. Was wir über die Zusammenhänge wissen und davon halten, haben wir in unseren Blogs gesagt. Interessant ist: Das Mülheimer Theater an der Ruhr vertritt die Auffassung, daß es ihrer Aufführung gelinge »den bewußten und unbewußten Antisemitismus als Tatsache der bundesrepublikanischen Wirklichkeit festzustellen«. Als ob es dafür eines Beweises bedurfte!

Interessant sind die bisherigen Pressereaktionen. ›Der Freitag‹ konstatiert: »Ein politisch eher entschärfter Abend«, die ›Kölnische Rundschau‹ bejubelt die Aufführung, fragt »was an diesem Stück antisemitisch ist« und beantwortet die rhetorische Frage mit der Auskunft: »Mag sein, dass Ciulli die strittigen Textpassagen eliminiert hat.« Die Zeile »Er saugt uns aus, der Jud, trinkt unser Blut und setzt uns ins Unrecht, weil er Jud ist und wir die Schuld tragen« kam also in Mülheim nicht über die Rampe. Und die ›Berliner Morgenpost‹ resümiert: »Das Stück kann in Deutschland gespielt werden. Das wäre nun geklärt.« Wir sind gespannt, was uns die nächsten Aufführungen bescheren werden.

»Dieser Roman, kein Zweifel, ist ein Monstrum. Er schlägt um sich, jähzornig, ohne Übersicht, ohne Besinnung oder gar Disziplin, er beutelt seine Frankfurter Erzählstoffe durch und wird von ihnen durchgebeutelt.« Reinhard Baumgart, Süddeutsche Zeitung.

»Die Ausweglosigkeit, in die Zwerenz seine Personen stürzen läßt, reflektiert einen augenblicklichen Zustand, beschrieben aus der Perspektive der späten sechziger Jahre und ihrer zusammengebrochenen Revolte; sie gibt ein Protokoll der Widersprüche, an deren Unterdrückung wieder einmal gearbeitet wird; sie offenbart, als Versuch einer möglichst aufrichtigen Bestandsaufnahme, die Illusionslosigkeit eines Schriftstellers, der das Potential seines rigiden Anarchismus nicht aufzugeben willens ist zugunsten ›kleiner Schritte‹.« Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau.


Gerhard Zwerenz, ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ sowie das Drehbuch nach dem Roman von Gerhard Zwerenz von Rainer Werner Fassbinder, Leinen, 580 Seiten, April, April! Verlag 1983 (Die Notausgabe ist nur noch antiquarisch erhältlich).

***

***

***

***

***

***

***

***

***

(GZ/ BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2009/10/03/die_erde_ist_unbewohnbar_wie_der_mond/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Die Aspekte der rechtlichen Seite, als auch die zur Literarizität stehen in den diversen Vorbemerkungen der ›April, April!‹-Ausgabe.

    Zum Setzfehlerteufel: Einmal »h« zuviel bei Mülheim ist uns durchgerutscht. Der »Mülleimer« stand so im Konzept – spaßeshalber. Wir dachten allerdings, das sei korrigiert worden. Haben wir jetzt gemacht, danke für den Hinweis.

    Beste Grüße
    Barbara Kalender und Jörg Schröder

  • Den Roman von Gerhard Zwerenz als Sprachwerk, Ausgangspunkt aller weiteren Querelen, habe ich selber seinerzeit als Fischer-Taschenbuchausgabe gelesen, stilistisch sicherlich kein Meisterwerk, aber doch eine wichtige Zustandsbeschreibung.
    Versucht man, das folgende Chaos und „Skandolon“ halbwegs analytisch auseinanderzuklamüsern, ergibt sich für mich eine Hauptfrage, die mit der Bearbeitung von urheberrechtlich geschützten (Sprach)Werken zusammenhängt (Einwilligung zu einer Bearbeitung), und leichte Fassungslosigkeit angesichts einer verlegerischen Entscheidung:
    Wie Du, Jörg , damals im Gespräch mit Zwerenz klarmachtest, bedurfte Fassbinder für die Verwertung des Buches von Zwerenz als Vorlage für sein Theaterstück vermutlich der Einwilligung des Autors Zwerenz (oder aber des Verlages, falls Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts). Und da ja zunächst Suhrkamp eine Veröffentlichung versucht hatte und danach der Verlag der Autoren sich als Rechteinhaber aufschwang, muss doch Zwerenz mit dieser Frage der Einwilligung befasst gewesen sein, denke ich. Vorstellbar wäre, dass man sich hinsichtlich des Theaterstücks auf Verlegerseite auf eine „Freie Benutzung“ iSd § 24 UrhG berufen hat. Vertrackt.
    Klar dürfte hingegen sein, dass für das Drehbuch, das ja fast wortwörtlich der Romanvorlage folgt, als Bearbeitung des Romans von Zwerenz eine Einwilligung des Autors bzw. des mit einem umfassenden Nutzungsrecht ausgestatteten Verlags vorliegen musste (Fischer?). Und eine solche scheint, im Gegensatz zum rudimentären Theaterstück, ja existiert zu haben, sonst hätte man dort doch gut ansetzen können.

    Was mich zu der Entscheidung führt, den Roman nochmals z u s a m m e n mit dem Drehbuch erscheinen zu lassen… mh, das konnte doch nicht klappen! Denn andererseits wollte man doch demselben Rechteinhaber untersagen, das Theaterstück aufzuführen, deshalb war es doch völlig logisch, dass der Verlag der Autoren diese schwache rechtliche Flanke im Gegenzug nutzen würde, um die Gesamtausgabe zu torpedieren. Und der Dreh mit der April, April!-Verlagsgründung – ein Blick auf das Cover lädt zum Schmunzeln ein, ist dort doch der Verleger Jörg Schröder freundlicherweise gleich mitpräsentiert. Das kann als Einladung verstanden werden, die Maschinerie des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb von Stunden in Gang zu setzen. Aber vermutlich ist das zu eng gedacht, vielleicht ging es dem Verleger JS mal wieder um „die Literarizität seiner Geschäfte“ (Diedrich Diederichsen), oder ich habe einen entscheidenen Dreh übersehen.

    Lustig erscheint hier im jüngsten Beitrag die Bezeichnung des aufführenden Theaters:
    Nachdem ihr zunächst die Stadt Mülheim an der Ruhr als Mühlheim geschrieben habt, bezeichnet ihr nun die Aufführungsstätte als „Mülleimer Theater“, also eine Abfallbehälter-Schaubühne – Zufälle gibt’s…

    Viele Grüße von
    Rüdiger Grothues

  • Kann man denn die „Notausgabe“ noch über Sie bekommen, Schröder&Kalender? Oder wurden die damals übrig gebliebenen Exemplare vernichtet?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert