vonErnst Volland 18.09.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Der Kuss

 

Der große Wagen hält abrupt am Straßenrand.  Ich stehe an der Auffahrt

Richtung Hannover, um nach Berlin zu kommen.

Am Steuer des Viertürers sitzt ein Mann in einem braunen

Ledermantel.

„Steigen Sie ein,“ sagt er, nachdem ich meine Richtung genannt habe,

„ein Stück kann ich sie mitnehmen.“

Ich werfe meinen Rucksack auf den hinteren Sitz und nehme

vorn Platz. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz beim Autostop,

sich so zu platzieren, dass man sich mit dem Fahrer unterhalten kann.

Der schneeweiße Wagen gleitet über die Fahrbahn. Der Motor ist kaum zu hören.

„Etwas Musik vielleicht? Wählen Sie doch bitte den Sender.“

Ich drücke auf die Senderknöpfe, bis ich eine mir vertraute Melodie

höre.„Hit the road Jack” von Ray Charles.
“Toller Sänger.”

Der Fahrer klopft mit den behandschuhten Fingern auf das Lenkrad.

„Richtig toller Sänger.“

Er erzählt mir, dass er in der Schuhbranche arbeitet, Besitzer mehrerer

Schuhläden ist und nach Hannover auf die Messe fährt, um sich

neue Modelle anzuschauen. Als er erfährt, dass ich im künstlerischen

Bereich arbeite, etwas mit Grafik zu tun habe, bietet er mir

eine Arbeitsmöglichkeit  auf einer Messe an.

„Sie könnten doch gut meinen Stand auf der Messe dekorieren, ich

meine entwerfen und so etwas. Ich zahle gut.“

Ich lasse ihn im Unverbindlichen und er wechselt das

Thema.

„In Berlin, da geht es ja sicherlich drunter und drüber, ich meine

 mit den Bekanntschaften und , man hört da ja so einiges. Wilde

Geschichten.“

Ich zünde mir eine angebotene Zigarette mit dem Feueranzünder an,

der am Armaturenbrett steckt. Der Fahrer zieht meine

Hand mit dem Anzünder zu sich herüber und drückt

die Spitze der Zigarette in das kreisrunde glühende Loch des

Anzünders. Dabei schaut er abwechselnd auf die Fahrbahn und auf mich.

„Schon mal etwas von homoerotischer Liebe gehört?“

Ich warte einen Augenblick und denke nach.

„Meinen Sie schwule Männer?“

Ja, so könnte man das sagen, haben Sie etwas dagegen?“

„Nein, überhaupt nicht, jeder soll nach seiner Facon glücklich

werden.“

Der Fahrer zieht an seiner Zigarette und schweigt.

„Darf ich Sie einmal etwas fragen. Sie müssen die Frage

nicht beantworten.“

„Sie waren so nett, mich in Ihrem Wagen mitzunehmen, also

dürfen Sie auch alles fragen.“

„Es handelt sich aber um eine sehr direkte und persönliche Frage.“

„Warum nicht.“

Wenn ich jetzt auf den nächsten Parkplatz fahren würde,

wären Sie dabei, ich meine, also ein bisschen Liebe.“

„Ja, warum nicht, aber umsonst mache ich das nicht.“

„Sind Sie mit 50 Euro einverstanden?“

„Nein! Das ist zu wenig.“

„Hundert Euro.“

„Nein.“

„Ich kann Ihnen auch 150 Euro anbieten.“

Ich mache es auch nicht für 200, hier am Straßenrand.

Das ist nicht mein Niveau. Mein Vorschlag ist, Sie laden mich

ein Wochenende in Ihr Haus ein und dann machen wir es uns gemütlich.“

„Abgemacht, ich schicke Ihnen ein Ticket und Sie kommen, versprochen?“

„Ehrenwort, versprochen, ich komme.“

Nach einer halben Stunde erreichen wir die Abfahrt Hannover, ich

steige aus und bin mit einem weiteren Auto bald in Berlin.

Eine Woche später liegt ein Ticket Berlin/ Bremen in meinem Briefkasten.

Ich bin zu einer Party im Haus des Fahrers eingeladen.

Nach einem Tag sage ich zu.

Der Fahrer holt mich vom Flughafen ab. Er parkt direkt vor seinem Haus,

einer Villa aus der Gründerzeit, die abgesetzt von anderen

Häusern steht.

Mit Überraschung sehe ich wie eine Frau die Tür öffnet und der

Fahrer diese als seine Frau vorstellt.

Es ist noch früh am Abend. Ein Zimmer ist mit Girlanden dekoriert.

„In ein, zwei Stunden werden drei, vier Gäste kommen. Dann

steigt die Party.“

Ich entschuldige mich und gehe aus dem Haus in den Garten. 

An einem Apfelbaum denke ich nach. Sollte ich lieber gleich wieder

abreisen. Die Neugierde überwiegt und ich gehe wieder in das Haus

zurück. Die Frau des Fahrers ist nicht zu sehen.

Ich stoße mit einem Glas Champagner mit dem Fahrer an. Allmählich

wird es dunkel und kein Gast kommt.

„Dann feiern wir halt alleine, prost.“ Er schenkt mir ein weiteres Glas

Champagner ein.

„Meine Frau macht jetzt die Betten und dann dürfen wir.“

„Ja, ich dachte Ihre Frau ist dabei, ich meine zu dritt kann auch schön sein.“

In diesem Augenblick wusste ich, es gibt kein Weg mehr zurück, was

auch Überraschendes kommen sollte. Ich befinde mich mitten in einem Tunnel

und der way out führt nur nach vorn.

„Die ist heute unpässlich, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Frauen haben so ihre Tage. Da haben wir Männer es ja besser.

Noch etwas Champus?

Ich halte ihm mein Glas hin, er zieht meinen ganzen Arm zu sich

herüber und schenkt mir mit einem Lächeln ein.

„Morgen zeige ich dir dann die Stadt. Wir bummeln ein bisschen,

kaufen etwas Schönes. Du wirst sehen, das wird ganz nett.

Und jetzt  ins Schlafzimmer, komm.“

Er versucht mich an die Hand zu nehmen, ich wende mich ab,

gehe aber hinterher.

Im Schlafzimmer steht ein ganz einfaches Doppelbett, rechts

ein großer Schrank.

Der Fahrer knipst die Nachttischlampe an. Der Raum füllt

sich mit rotem Licht.

Ich kichere. Sieben Gläser Champagner und das rote Licht

im Schlafzimmer reizen mich zu dieser Reaktion.

„Das ist ja wie im Puff.“

„Magst du das Licht nicht? Das ist doch Romantik pur.“

Kannst du mir einen Gefallen tun? Ziehst du bitte dieses

schwarze Negliege an. Du würdest mir eine unglaubliche

Freude machen.“

Der Fahrer holt das schwarze Leibchen vom Bügel herunter und

wedelt damit vor meinem Gesicht.

„Bitte, zieh das an.“

Ich streife meine Hose und das Hemd herunter, bin nackt und schlüpfe

in das Negliege. Es ist kurz wie ein T-shirt und reicht mir bis

zur Hüfte.

Mit einem Sprung bin ich im Bett und warte.

Ich hätte nie gedacht, das die Haut eines Mannes so rau ist.

„Küssen ist nicht drin. Tut mir leid, aber das geht nicht.“

Ich schaue auf das Glied des Fahrers. Es befindet sich in erigiertem

Zustand. Ich habe die Erektion erst nicht bemerkt, da sein

Penis die Größe meines Mittelfingers besitzt und steif ist.

„Ist das alles ?“ fragte ich ihn.

„Ja. Leider, da ist nicht viel, aber in der letzten Woche war

ein ganz bekannter Schauspieler hier. Bei dem ist alles noch kleiner.“

Er rutscht mit diesen Worten ganz nahe an mich heran, ich

weiche aus und falle aus dem Bett.

„Mir ist übel, ich möchte gehen.“

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür des Schrankes

und ich sehe, wie im Schrank eine mir unbekannte Person steht.

Ich reiße meine Kleidung an mich und laufe im

Negliege aus dem Haus auf die Straße.

Ich laufe und laufe, bis ich so erschöpft bin, dass ich mich hinter einen

Busch lege. Ich blicke in den Himmel und sehe das Sternenbild des

Großen Wagens. Dann schlafe ich ein.

 

 

 

 

 

 

 

 

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