Der folgende Text von Klaus Volland steht in einem mittelbaren Zusammenhang mit den Morden der Terrorzelle des nationalsozialischen Untergrunds und den „Pannen“ des Verfassungsschutzes.
Willi Mader – ein Opfer der NS-Militärjustiz
Vortrag von Klaus Volland
Bremervörde, Bachmann Museum
16. 11. 2011
In der Bremervörder Liborius-Kirche befindet sich seit den 50er Jahren in dem Raum links vom Eingang eine Gedenkwand, die „Unseren gefallenen Brüdern“ gewidmet ist, den Hunderten von Kriegstoten der Stadt Bremervörde. Lange Jahre fehlte auf dieser riesigen Wand der Name von Willi Mader. Erst die durch das Eindringen von Feuchtigkeit notwendig gewordenen Malerarbeiten zur Neuerstellung der Wand im vergangenen Winter machten es möglich, dass seit diesem Frühjahr – auf meine Initiative hin – auf dieser Wand auch an Willi Mader erinnert wird.
Aber wer war Willi Mader? Wo ist er gefallen, wie ist er gestorben? Auch mir, der bis dahin schon über 30 Jahre in der Ostestadt gelebt hatte, war sein Name bis 2008 völlig unbekannt. Erst damals wurde ich durch die Notizen meiner Frau Johanna, die sie im Niedersächsischen Staatsarchiv in Stade für ein Stolpersteinprojekt gemacht hatte, aufmerksam auf Willi Mader, den Bremervörder mit Hamburger Wurzeln, den die nationalsozialistische Terrorjustiz 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt hat.
Nach dem Studium dieser anhand der Findbücher des Stader Archivs gefertigten Notizen entschied ich mich spontan, das Schicksal Maders näher zu untersuchen. Im Laufe des Jahres 2008 arbeitete ich die Wiedergutmachungsakten zum Fall Mader im Staatsarchiv Stade durch und hatte zudem das Glück, dass mir die Familie Mader/Grotheer in Bremervörde zahlreiche Dokumente zur Verfügung stellte: Familienfotos, die Aufzeichnungen von Willi Mader aus den Gefängnissen und der Briefwechsel mit seiner Frau Adelheid bis zu seiner Hinrichtung im Februar 1945. Hinzu kam das Studium der einschlägigen Literatur.
Wegen anderer Verpflichtungen und Neigungen lag das Projekt eine Zeitlang auf Eis. Heute aber freue ich mich, an diesem Tag zwischen Volkstrauertag und Totensonntag hier im Bachmann Museum vor Ihnen über das bewegende Schicksal von Willi Mader zu referieren. Ganz besonders möchte ich Joachim Mader und Jürgen Grotheer für die Bereitstellung der Familienfotos und –dokumente danken und ebenso Alexander Oppermann, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Bremervörder Kultur- und Heimatkreises, der die Power Point Präsentation zu meinem Vortrag erstellt hat.
Eines der beiden zentralen Dokumente meines Vortrags ist das Todesurteil, das das Feldkriegsgericht des Zentralgerichtes des Heeres am 3. November 1944 gegen Willi Mader verhängt hat. Das für politische Strafsachen von Wehrmachtsangehörigen zuständige Zentralgericht des Heeres war im April 1944 geschaffen worden und residierte in der Witzlebenstraße 4-10 in Berlin-Charlottenburg. Die Verhandlung führte im Fall Mader der Oberfeldrichter Dr. Otto Wöhrmann. Ankläger war der Oberfeldrichter Paul Vahrenkamp. Das Urteil lautete: „Der Angeklagte wird wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode/zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit und zur Wehrunwürdigkeit verurteilt.“
Das zweite zentrale Dokument meines Vortrags ist das Schreiben vom 5. Februar 1945, in dem das Zentralgericht des Heeres dem Verteidiger von Willi Mader die unmittelbar bevorstehende Vollstreckung des Todesurteils mitteilte:
„In der Strafsache gegen den Unteroffizier Willi Mader ist die Vollstreckung des Todesurteils durch Erschießen angeordnet, der Gnadenerweis für den Verurteilten ist abgelehnt. Der Verurteilte befindet sich z. Zt. im UUG. Spandau, Wilhelmstraße 23.
Die Vollstreckung des Urteils findet am 9. 2. 1945 um 8.30 Uhr auf dem Schießstandgelände Spandau statt. Diese Nachricht ergeht mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass Sie zur strengsten Geheimhaltung verpflichtet sind, insbesondere, dass Sie dem Verurteilten über die bevorstehende Hinrichtung keine Mitteilung machen dürfen, solange die Bekanntgabe durch das Gericht nicht erfolgt ist./Diese wird an dem betreffenden Tage um 6 ½ Uhr erfolgen.“
Wer war dieser Willi Mader, einer der 18 Soldaten, die am 9. Februar 1945 auf dem Schießplatz in Berlin-Ruhleben am Rande eines Hügelgeländes westlich des Olympiastadions von einem Erschießungspeloton hingerichtet worden sind, einer von insgesamt etwa 30 000 Menschen, die als sogenannte Wehrkraftzersetzer Opfer der NS-Militärjustiz geworden sind? Ich möchte Ihnen nun Näheres über das Schicksal von Willi Mader berichten, in dessen kurzem Leben die Stadt Bremervörde – oder wie er zu sagen pflegte, „Vörde“ – eine besondere Rolle gespielt hat.
Gustav Willi Mader kam am 21. Februar 1915 in Hamburg zur Welt. Er sei “ geboren in einer der dunkelsten und ödesten Straßen Hamburgs“, schreibt er in einem seiner Briefe aus der Gefängniszelle an seine Frau. „Ach, meine Heidi, Du kennst ja meine Jugend und weißt, wie trostlos sie war.“ Willi Mader gehörte einer Arbeiterfamilie an und hatte zwei Brüder und eine Schwester. Als 15jähriger war er 1930, wenn den Rechercheergebnissen der Gestapo zu trauen ist, kurze Zeit Mitglied eines kommunistischen Jugendverbands. Über den beruflichen Werdegang des Angeklagten ist in der Begründung des Gerichtsurteils vom 3. November 1944 zu lesen: „Bis zum Jahre 1929 hat er die Volksschule besucht und ist dann, da er keine Lehrstelle bekommen konnte, bei verschiedenen Firmen als Laufjunge, Kontorangestellter usw. beschäftigt gewesen. Im Jahre 1933 hat er sich freiwillig zum Arbeitsdienst gemeldet und ist 1 ½ Jahre dort tätig gewesen. Alsdann hat er ein Jahr als Elektroschweißer gelernt und im Jahre 1935 ordnungsgemäß seine Abschlussprüfung gemacht. Er ist dann als Elektroschweißer bei Siemens angestellt worden und dort bis zu seinem Eintritt in die Wehrmacht tätig gewesen./ Am 4. November 1937 ist er bei der Nachr. Abt. 50 in die deutsche Wehrmacht eingetreten und hat nach dem Ausbruch des Krieges am Frankreichfeldzug teilgenommen. Am 20. Januar 1941 ist er für ein Jahr u.k.-gestellt worden; er war während dieser Zeit bei den Siemens-Schuckertwerken als Elektroschweißer tätig. Am 17. Januar 1942 wurde er zur Inf.Nachr. Komp. des Inf.Reg. 538 wieder eingezogen, am 1. Juni 1942 zum Gefreiten und am 1. September 1942 zum Unteroffizier befördert und nahm dann bei der Nachr. Staffel eines Bataillons bis zum Februar 1944 am Frankreichfeldzug Teil. Er erkrankte dann an einer Beinentzündung und kam ins Lazarett und darauf zu seinem jetzigen Truppenteile, dem Gren.Ers.Regt. 536 in Düsseldorf. (…)Seine militärische Beurteilung lautet: Geistig rege und beweglich. Große schlanke Erscheinung. Zuverlässig. Dienstliche Kenntnisse und Leistungen ausreichend. Führung gut.“
Ein Beleg für die gleichgültige und kaltherzige Haltung des Gerichts gegenüber dem Opfer ist, dass in der biographischen Darstellung fälschlich vermerkt wird, Willi Mader sei 1942 bis 1944 in Frankreich im Einsatz gewesen. Weihnachten 1944 schrieb er aus der Todeszelle an seine Familie: „In der Heiligen Nacht haben meine Gedanken Euch genauso gefunden wie 1942 von Stalingrad und 1943 vom Dnjepr.“
Im September 1934 begegnete Willi Mader während seiner Tätigkeit beim Reichsarbeitsdienst in Bremervörde der damals 17jährigen Adelheid Grotheer, die er im Mai 1936 heiratete. In seinen zahlreichen Aufzeichnungen und Briefen, die er im Gefängnis schreibt, bekannte er wieder und wieder seine Liebe zu ihr:
„ Als ich in den Septembertagen 1934 von Cuxhaven (drei Tage) nach Vörde marschierte, hatte ich noch keine Ahnung, dass ausgerechnet dort in Vörde die Frau leben sollte, für die ich alles tun könnte.(…) Weißt du noch, meine Besuche bei Euch (…), die immer etwas Geheimes, Verbotenes mit sich brachten, aber wir beide ließen uns nicht abhalten, es war doch schön, wenn wir dann Samstag abends noch einmal spazieren gingen. Dann, als ich Dich im Krankenhaus Bremervörde Dezember 1935 besuchte und Dir rote Nelken brachte, dann wurde uns der Junge gebracht und wir sahen uns an./Du, meine liebe Heidi, bist dann von Bremervörde (nach Hamburg) zum Röhrendamm gekommen, fast die Bequemlichkeit, fast die große Speisekammer, das alles hast Du geopfert und bist doch in dies Loch am Röhrendamm gezogen.(…) Weiter, unser Umzug vom Röhrendamm, wo wir trotzdem schöne Stunden verlebt haben, zum (Billwerder) Steindamm. So armselig alles zuging, ich habe das Empfinden, wir waren trotzdem wunschlos glücklich. Vorher brachte ich Dich vom Röhrendamm zum Krankenhaus Marktmannstraße…und einen Tag später hast du den zweiten gesunden Jungen zur Welt gebracht. (…)
Im November wurde ich dann Soldat, das war das erste Abschiednehmen für unbestimmte Zeit. Dann hast du mich oft in der Kaserne an der Autobahn besucht,
weißt Du noch, wie wir dann in der Kantine saßen zwischen all den Menschen und mochten viel lieber alleine sein. (…) Darauf die große Übung in der Gegend von Vörde, wo ich eines Abends einfach losmarschierte, obwohl wir so weit auseinander waren, hatte Glück, es klappte doch alles, wir waren doch mal wieder einige Stunden zusammen, zumal es gerade Schützenfest war.(..) Die größte Freude brachte uns (…) 1940 das Wiedersehn nach dem Westfeldzug, wo ich dann auch gleich reklamiert wurde und endlich wieder bei Dir war. 1940/41 waren dann Monate, die schönsten in meinem Leben, wäre der Krieg nicht gekommen, dann könnte es ja immer so sein. (…) Glücklich war ich immer, wenn ich bei Dir war, alles andere spielte keine Rolle, oft hatten wir doch kein Geld ins Kino zu gehen oder wir hatten kein Fahrgeld, aber glücklich waren wir beide trotzdem. Beim Feuerwerk auf der Alster verloren wir auch noch unser bisschen Geld. (…)Unsere vielen Fahrten nach Vörde, wo uns Vater und Mutter immer so viel Gutes einpackten und wir in Hamburg beim Auspacken unsere Freude dran hatten./Auf der Landungsbrücke Cuxhaven „Alte Liebe“ haben wir gestanden, oder St. Pauli Landungsbrücken, oder Stade, Finkenwerder, Lauenburg (…) Alster, Uhlenhorst, überall einige Augenblicke Freude und Sonnenschein. / Und während ich hier hinter vergitterten Fenstern auf dem Boden liege, ein Tag genauso wie der andere, denke ich an all diese schönen Stunden zurück./1942 wurde ich dann wieder Soldat und Du brachtest mich zum Rotenburgsorter Bahnhof, morgens ganz früh, es war noch dunkel damals im Januar. (…).Deine Besuche in Fallingbostel, Rodelpartie, Flasche Wein usw. Es waren trotz der Kälte schöne Tage, damals im Februar-März 1942, aber es galt ja auch Abschied zu nehmen, denn es ging nach Russland.
Dann kam ich im Januar 43 in Urlaub, schöne 3 Wochen waren das, ich musste dich erst von Vörde holen damals. Im Februar mussten wir auf dem Hamburger Hauptbahnhof Abschied nehmen. (…) Dann kam ich von Krementschug im April in Urlaub, wollte Dir immer gerne etwas Schönes mitbringen, aber ich bin nie zu etwas gekommen, war wohl zu ehrlich. Dann nochmal im Oktober zu Hause./Mölln, Schwerin, Wismar usw. brachte uns das Jahr 43 auch wieder. Außerdem die Besichtigung der Trümmer Hamburgs. Im Vorwerk Brombeeren- und Pilzsuche. Walkmühle, Hesedorf, Museum für Völkerkunde und Geschichte in Hamburg (…)“
1943 wurde die junge Familie Mader in Hamburg ausgebombt, und Willi Maders Mutter verlor bei einem der alliierten Luftangriffe auf die Hansestadt ihr Leben. Adelheid Mader zog daraufhin mit den Kindern zu ihren Eltern in die Zevener Straße 46 in Bremervörde und lebte dort in sehr beengten und wenig komfortablen Verhältnissen. Am 20. Juli 1944 beantragte Willi Mader in Düsseldorf Urlaub, um die Wohnung in Bremervörde für seine Familie herrichten zu können; in seinem Gesuch sprach er von „elektrischen Anlagen, Öfen, Wasser, Gas und anderen Arbeiten.“
Im letzten Teil seiner nach der Verurteilung im Gefängnis geschriebenen Schilderung der gemeinsamen Lebenszeit mit seiner Frau Adelheid geht Willi Mader auf die Tage Ende Juli 1944 ein, in denen er aus allen gemeinsamen Träumen gerissen wurde und jäh ins Unglück stürzte:
„Nun kam das Jahr 44, wir sahen uns in diesem Jahr häufiger, am schönsten sollte es in Düsseldorf werden, als ich Dich dort im Juli vom Bahnhof holte. Schöne Tage in Düsseldorf und anschließend wollten wir zusammen in Urlaub fahren, so haben wir es uns vorgenommen und schön ausgemalt. Ein paarmal sahen wir uns in Düsseldorf, von der Stadt habe ich Dir aber wegen des schlechten Wetters wenig zeigen können, nur den Rhein und das Schlageterdenkmal sahen wir zusammen. In Düsseldorf wurde ich im Gefängnis, neben der Zelle des Albert Leo Schlageter, der dann später als Freiheitskämpfer erschossen wurde, eingesperrt. Seitdem haben wir uns nicht wiedergesehen.“
Zu dieser Passage ist anzumerken, dass auch Willi Mader wie damals wohl die meisten Deutschen, so auch der berühmte Philosoph Martin Heidegger, der NS-Propaganda aufgesessen ist, die Schlageter, den 1923 erschossenen Nationalisten, Attentäter gegen den französische Besatzungsmacht im Rheinland und frühen Parteigänger der NSDAP, als patriotischen Märtyrer heroisierte.
Seit dem 1. August 1944 befand sich Willi Mader in der Wehrmachts-Haftanstalt des Gefängnisses Düsseldorf-Derendorf in der Ulmenstraße 95. Zuvor hatte er noch drei glückliche Tage mit seiner Frau Adelheid verbringen können, die vom Bürgermeister der Stadt Bremervörde eine Bahn-Reiseerlaubnis nach Düsseldorf erhalten hatte. Über das Zustandekommen dieser Verhaftung, die nicht nur ihn, sondern sicher auch seine Frau völlig verstört hat, macht das Gerichtsurteil folgende Aussagen:
„Im Juli 1944 war der Angeklagte bei einem Ersatztruppenteil in Düsseldorf in der Telefonzentrale beschäftigt. Eines Tages rief die Zeugin Hildegard S., 18 Jahre alt, an und verlangte den Leutnant Beckmann. Dieser war nicht zu erreichen. Sie sprach deshalb mit dem Angeklagten. Die Unterhaltung dauerte etwa 1 Stunde und führte dazu, dass sich die beiden zu einem Treffen verabredeten. (…) Erst bei der dritten Verabredung am 24. Juli 1944 trafen sich die Beiden in den Anlagen von Düsseldorf und unterhielten sich etwa 1 Stunde. Während der Unterhaltung zeigte der Angeklagte der S. Fotos und auch ein Flugblatt, das überschrieben ist „Manifest des Nationalkomitees Freies Deutschland an die Wehrmacht und das deutsche Volk“. Dieses Flugblatt will der Angeklagte ein halbes oder ein Vierteljahr vorher, als er sich noch bei einer Genesungskompanie im Generalgouvernement befand, gefunden haben. Er überließ das Flugblatt der Zeugin, ohne einen bestimmten Rückgabetermin mit ihr zu vereinbaren.“
Am 4. August schrieb Willi Mader in seiner Düsseldorfer Gefängniszelle einen mit Stempel vom 16. August aus Berlin-Charlottenburg abgesandten Brief an seine Familie, in dem er verzweifelt seine Unschuld und seine Ehrenhaftigkeit beteuerte: „Meine liebe Heidi! Meine lieben Jungs!
Bitte denkt nicht schlecht von mir, das möchte ich Euch Allen besonders ans Herz legen, ich bin mir keiner Schuld bewusst und somit habe ich Eure Ehre auf keinen Fall besudelt. Es sind hier Leute, die sind Wochen und Monate von der Truppe weg, andere haben gestohlen, Unterschlagung, Beleidigung von Vorgesetzten, Fahnenflucht, Schiebergeschäfte und vieles andere. Du weißt, meine liebe Frau, dass ich nicht so ein Mensch bin, aus diesem Grunde musst du nun ganz besonders an mich glauben und lieb sein. Ich habe ja nur Dich und die beiden Jungs und euch möchte ich nicht verlieren./Was Du nun für mich tun kannst ist, hoffen und beten, ich bin vollkommen in der Hand meines Schicksals, ich habe in meinem ganzen Leben nie eine Strafe gehabt für eine unwürdige Tat und so fasse ich dies auch nicht als Strafe auf. Glaube Du an mich und verlasse mich nicht. Der Vater von Uwe und Gerd, Dein Mann, liebe Heidi, ist kein Verbrecher!/(…) Auf Wiedersehn, Auf Wiedersehn, Auf Wiedersehn! Viele herzliche Grüße für Dich! Eure Bilder habe ich bei mir!/Dein immer an Dich denkender Willi.“
Am 9. August besuchte Dr. Adolf Scheller, der inzwischen in der Sache Mader beauftragte Düsseldorfer Rechtsanwalt, diesen in der Haftanstalt und fand ihn in einem sehr desolaten Zustand vor. Scheller war wohl der Ansicht, dass Willi Mader mit einer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe davonkommen würde, und schrieb an Adelheid Mader:
„Ich hoffe, dass unter den besonderen Umständen des Falles mit einer immerhin noch tragbaren Strafe wird gerechnet werden können. Gesundheitlich befindet sich Ihr Ehemann in zufriedenstellendem Zustand, nur ist er sehr deprimiert, weil er sich der Tragweite seiner Tat nicht bewusst war. Immerhin glaube ich sagen zu können, dass er wohl in seiner gegenwärtigen Haftpsychose zu schwarz sieht.“
Am 22. August wurde Willi Mader in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in der Lehrter Straße 61 in Berlin-Moabit verlegt. Während des Bahntransports schrieb er seiner Frau und seinen Kindern eine Ansichtskarte, auf der er sie flehentlich bat: „Wie es auch kommt, glaubt mir, ich bin unschuldig!“
Erst am 9. September erhielt er in Berlin einen ihm aus Düsseldorf nachgeschickten Brief seiner Frau vom 21. August und schrieb ihr zurück: „ Du kannst Dir vorstellen, wie groß meine Freude war, endlich von Euch zu hören, dass es Euch allen gut geht, denn dafür bete und bitte ich. (…) 6 Wochen bin ich nun schon von Euch weg, nachdem ich erst kurze Zeit in Deutschland war, es sind wohl schwere Wochen für Dich gewesen, aber es können noch schwerere kommen.“
Mitte September 1944 wurde Willi Mader in die Wehrmachtsabteilung des Zellengefängnisses Moabit in der Lehrter Straße 3 verlegt. In ihm hatte sich kurz zuvor noch der wie Mader aus Hamburg stammende Dichter und Schauspieler Wolfgang Borchert befunden, auch er wegen der Anklage der „Wehrkraftzersetzung“: Er hatte Goebbels vor Soldatenkameraden satirisch parodiert. Borchert wurde im August 1944 vor allem wohl dank seines einflussreichen und couragierten Rechtsanwalts – über einen solchen verfügte Willi Mader nicht – lediglich zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er nach der „Feindbewährung“ verbüßen sollte. In seiner nach dem Krieg geschriebenen Geschichte „Unser kleiner Mozart“ schildert Wolfgang Borchert die stumpfsinnigen Wiederholungen des monatelangen Zusammenlebens in der Gemeinschaftszelle, die von der Monotonie der Lautsprecherdurchsagen vom nahegelegenen S-Bahnhof begleitet wurden:
„Von morgens halb fünf bis nachts um halb eins. Die Stadtbahn fuhr alle drei Minuten. Jedesmal rief eine Frauenstimme durch den Lautsprecher auf den Bahnsteig: Lehrter Straße. Lehrter Straße. Das wehte rüber bis nach uns. Von morgens halb fünf bis nachts um halb eins. Achthundertmal: Lehrter Straße. Lehrter Straße.“
Am 24. September schrieb Willi Mader an seine Frau:
„Päckchen habe ich noch nicht erhalten, wenn Du nun wieder schickst, ich habe ein paar Wünsche, dann bitte gleich an meine neue Straßen- Nr. (…) Ich möchte gerne Schreibpapier, Zahnbürste, Hautcreme, Kamm, Bürste, Zucker(?), 1 Heft, 1 Taschentuch, 2 Bleistifte, und dann kannst du mir Obst und Marmelade usw. senden… Im Übrigen geht es mir gut, außer Schmerzen im Rücken, wohl ein kleiner Hexenschuss, kommt wohl vom auf dem Fußboden liegen, war in Düsseldorf so und ist auch in Berlin so…Ach wie gerne wäre ich an der Front (…), hier muss man so untätig herumliegen…“
Die einzige Abwechslung für die Gefangenen war der tägliche halbstündige Spaziergang auf dem Hof des Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisses, das sich im Flügel C des Zellengefängnisses Moabit befand. Hier eine Zeichnung dieses Gebäudes, das Mitte der 50er Jahre bis auf wenige Reste abgerissen worden ist. :
Nach seiner Verurteilung am 3. November durfte Willi Mader seine Zelle nicht mehr für einen Spaziergang an der frischen Luft verlassen.
Vor einigen Jahren wurde auf dem Gelände des ehemaligen Zellengefängnisses Moabit, von dem im Wesentlichen nur eine Außenmauer und zwei Gefängnisbeamtenhäuser erhalten sind, ein Gedenkpark angelegt. Der Legende des preisgekrönten Entwurfs ist zu entnehmen, dass die Gebäudeflügel B bis D durch abgesenkte oder leicht ansteigende Rasenflächen dargestellt sind.
Eine Tafel am Rande des Gedenkparks erinnert u. a. an die Insassen des Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisses, das sich hier zwischen 1940 und 1945 befand.
Anfang Oktober wurde die Anklageverfügung und der Haftbefehl gegen Willi Mader vom Zentralgericht des Heeres erlassen. Die Darstellung des Sachverhalts der Anklageerhebung ist in nur leicht modifizierter Form in die des Anfang November gefällten Todesurteils eingegangen. Die pseudorechtliche Grundlage von Anklageverfügung und Haftbefehl war die zum Kriegsende hin fließbandmäßig eingesetzt gefürchtete Kriegsstrafrechtssonderverordnung vom 17. August 1938, im Fall Mader deren § 5, Absatz 1, Ziffer 1:
§ 5 Zersetzung der Wehrkraft
(1) Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft:
1. wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung der Dienstpflicht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern, oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht.
Zur Erläuterung des § 5 KSSVO erließ die Reichskriegsanwaltschaft 1940 verbindliche Grundsätze, die beweisen, dass diese Verordnung die Expansionspläne des Dritten Reiches absichern sollte:
„Zersetzung der Wehrkraft ist die Störung der Beeinträchtigung der totalen völkischen Einsatzbereitschaft zur Erringung des Sieges in diesem Kriege.“ Je mehr dieser Sieg 1944/45 in die Ferne rückte, umso häufiger und gnadenloser wurde der § 5, Absatz 1 der KSSVO von der Mehrheit der NS-Militärrichter angewandt.
Am 7. Oktober schrieb Willi Mader an seine Frau: „Ich habe heute die Anklageschrift bekommen und habe wohl in den nächsten Tagen Verhandlung, man muss mit dem Schlimmsten rechnen. Einen Anwalt habe ich noch nicht, habe schon 2x den Herrn Dr. W. Stech (…) benachrichtigt, aber noch keine Antwort bekommen.“
Am 2. November, dem Tag vor seiner Verurteilung, schrieb Willi Mader in höchster Anspannung an seine Frau. Der Brief wurde ihr per Einschreiben über den inzwischen mit der Rechtsvertretung Maders beauftragten Berliner Anwalt Wilhelm Stech zugesandt. Darin heißt es: „Ich schäme mich meiner Tat nicht, wohl aber, dass ich nun schon über 3 Monate eingesperrt bin als gesunder junger Mensch. /Ich schreibe schon heute, weil ich morgen verurteilt bin und wohl keine Gelegenheit mehr habe zu schreiben, es ist furchtbar, das Urteil für solch eine Nichtigkeit./Du , mein lieber Krauskopf, musst nun stark bleiben, ich bin´s auch bis zum letzten Augenblick(…).Setze Dich gleich mit Dr. Stech in Verbindung, er soll Dir Hotel und Sprecherlaubnis und so weiter besorgen, damit wir uns noch einmal sehen.“
„eine Nichtigkeit“ – in der Tat eine treffende Charakterisierung für sein angeblich todeswürdiges Verbrechen, das darin bestand, dass er im Juli in Düsseldorf leichtfertigerweise einer ihm Unbekannten ein feindliches Flugblatt gegeben und ihr Notizen nach einem weiteren ebenfalls von ihm gefundenen Flugblatt gezeigt hatte.
Am 7. November wurde das Todesurteil ausgefertigt. Die nach § 5 KSSVO erforderliche Öffentlichkeit des Delikts der Wehrkraftzersetzung war nach Ansicht der Richter dadurch gegeben, dass Willi Mader „dieses Flugblatt der Zeugin S. (…) bedenkenlos überlassen und nicht einmal einen Termin für die Rückgabe vereinbart hat. Er war also damit einverstanden, dass dieses Flugblatt seinen Weg in die Zivilbevölkerung nahm und dort unabsehbares Unheil anrichtete.“
Bereits im Sommer 1939 war Willi Mader von einer pensionierten Lehrerin, bei der er in Hamburg vorübergehend Quartier genommen hatte, bei der Gestapo denunziert worden. „Sie hat“, so vermerkt das Gerichtsurteil,“ damals ausgesagt, dass der Angeklagte nach seinen Reden kommunistisch eingestellt sein müsse. So habe er z. B. zum Ausdruck gebracht, dass er die größte Hochachtung vor Sowjetrussland habe und dass der Führer uns über die Zustände in Sowjetrussland in jeder Weise betrüge. (..)Er habe auch die Juden bedauert, die wochenlang auf den Schiffen im Hamburger Hafen lägen und sich noch nicht einmal waschen könnten.“
Das Gericht kam in seinem Urteil zu dem Schluss:
„Insgesamt ergibt sich somit, dass der Besitz des Manifestes und die Eintragungen im Notizbuche die staatsfeindliche Haltung des Angeklagten widerspiegeln. Er muss deshalb als ausgesprochener Volksverräter und Staatsfeind angesehen werden. (…) (Der Angeklagte ist) schon als Jüngling einem kommunistischen Jugendverband beigetreten und ist hier offensichtlich für sein Leben vergiftet worden. (…) All die Kriegsjahre hat er sich offenbar vorsichtig und abwartend verhalten. Durch das Dazwischentreten der Zeugin S. ist seine kommunistische Einstellung nun zum dritten Male und dieses Mal in besonders gefährlicher Form zu Tage getreten.“
Am 9. November bat Willi Mader seine Frau, ein Gnadengesuch zu stellen: „Wenn du mich lieb hast und mein Leben retten willst, dann nehme einen Rechtsanwalt in Vörde und setze ein Gnadengesuch auf. (…) Im Gesuch kann unter anderem angeführt werden:1 ½ Jahr freiwillig Arbeitsdienst, freiwillig 1935 zum Militär gemeldet, 7 Jahre Soldat, Westfeldzug, Ostfeldzug, nicht vorbestraft, Nahkampfspange, silbernes Infanterie-Sturmabzeichen, erbgesund, verheiratet, 2 gesunde Jungs, Vater Freikorpskämpfer, Bruder und Schwester kinderreich, Mutter beim Terrorangriff verloren, selbst total bombengeschädigt usw., vor allem 7 Jahre Soldat, kein Tag Strafe.“
Am 26. November schrieb Willi Mader, nachdem er wochenlang keine Nachricht von Adelheid erhalten hatte, weil die Briefe kontrolliert und zurückgehalten worden waren:
„Ich habe in den letzten drei Wochen überhaupt kein Lebenszeichen von Dir bekommen, dadurch mache ich mir noch mehr Gedanken, aber ich kann es nicht fassen, dass du nicht geschrieben haben solltest. (..) Verlasse mich nicht, ich bin verlassen genug./ Meine Zellen- und Leidensgenossen sagen, dass ich seit dem 3. November nachts stöhne und sehr unruhig schlafe, aber das bleibt ja nicht aus und nun noch die Ungewissheit über euch. Auch kommt der Anwalt ja nicht, aber was kann man dagegen machen. Ich habe im September ein Gesuch für das Ein-Mann-Torpedo und andere Gesuche nun im November geschrieben und darin zum Ausdruck gebracht, dass ich als ehrlicher Soldat zu allem bereit bin und auch immer war.“
Zur Erläuterung: Ein Ein-Mann-Torpedo bestand aus zwei übereinander angeordneten elektrisch angetriebenen Torpedos. Im oberen Torpedo gab es ein winziges Cockpit, der untere Torpedo war mit einer Sprengladung ausgestattet. Die Plexiglashaube des oberen Torpedos bewegte sich über dem Wasser. Für die Soldaten war jeder Einsatz ein “Himmelfahrtskommando”. Gefahren wurde nur bei Nacht. Im Laufe des Jahres 1944 gelang es der deutschen Kriegsmarine, einige alliierte Schiffe mit Hilfe dieser bemannten Torpedos zu versenken.
Am 27. November schrieb der zum Tode Verurteilte in höchster Verzweiflung an seine Frau: „Meine Hoffnungen sind Begnadigung, Dein Besuch, Briefe von Dir und Pakete, aber nichts von diesen vier Wünschen wird wohl in Erfüllung gehen, trotzdem ich da von einem Tag zum andern drauf hoffe. Es ist eine Nervenprobe, die hier jeder Todeskandidat mit durchzumachen hat.“
Am gleichen und am nächsten Tag gingen drei der vier Wünsche Willi Maders überraschend in Erfüllung: Er erhielt ein Paket, Post von seiner Frau und den Kindern, und Adelheid Mader besuchte ihren Mann im Gefängnis. Willi notierte überglücklich:
„Eben bekam ich deinen lieben Brief vom 15. sowie auch Gerdis Karte und Uwes Karte (…) Soeben bekam ich Dein reichhaltiges Paket (…). So viel Freude an einem Tag, das ist bald zu viel. Ich wurde rausgeholt und habe schon an allesmögliche gedacht, da bekam ich dein Paket. Dank und nochmals Dank!“
Und:
„Gestern war für mich der schönste Tag seit dem 1. August. Du warst so schön, Deine süßen Augen waren so blank, alles, wie ich es mir seit 4 Monaten immer vorstelle, Du warst und bist meine wunderbare süße Frau. Ich war den ganzen Nachmittag aufgeregt und nachts konnte ich kein Auge schließen, alles war Freude, solch große Freude hast du mir bereitet mit deinem Besuch. Und nun willst Du sogar noch einmal wiederkommen.“
Am 30. November schrieb er:
„Du bist meine kleine tapfere Frau, ich bin zum Tode verurteilt und alles was dazu gehört und trotzdem bist du auch so stolz und tapfer, nicht eine einzige Träne. Das ist gut so, denn Tränen sind doch etwas Äußerliches und wie es in deinem Herzen aussieht, das weiß ich./Wenn ich ein Verbrechen begangen hätte, dann möchte ich Dir gar nicht unter die Augen treten, aber so wie mein Fall liegt, brauchst Du Dich nicht schämen, einen zum Tode Verurteilten zum MANN zu haben. Ich wollte und habe kein Unrecht begangen, aber vielleicht leben wir alle ein paar Jahre zu früh.“
Am 1. Dezember:
„Heute, meine liebe Heidi, bin ich 4 Monate verhaftet. Und seit 4 Wochen verurteilt. Eben waren wir zum Baden, seit 10 Wochen das erste Mal. Es sind wieder einige Todeskandidaten begnadigt und zur Front gekommen. Ich freue mich, denn heute Nachmittag kommst Du wohl, hoffentlich sehen wir uns dann nicht zum letzten Mal.“
Über diese zweite und letzte persönliche Begegnung des Paares am 1. Dezember 1944 schrieb Willi Mader ein paar Tage später:
„Die zweite Sprecherlaubnis kam auch mir so unendlich kurz vor, wir hatten uns zu sagen viel vorgenommen. Du genauso wie ich, aber die Zeit lief ja so schnell, wir kamen wohl kaum zu Wort. (…) (Ich) wollte … dir noch eine Bitte nach Obst vortragen, habs aber nicht gewagt, nun, man ist in dieser Viertelstunde vergesslich.“
Und am 22. Dezember, kurz vor Heilig Abend, blickte er noch einmal auf die letzte Begegnung zurück:
„(…) ganz besonders hast Du mir mit der schönen Frisur beim zweiten Besuch gefallen. Das war mein Weihnachtsgeschenk von dir.“
In den 99 Tagen, die zwischen der Verkündung des Todesurteils und der Hinrichtung vergingen, war es vor allem der Gedanke an die geliebte Frau und die gemeinsamen Kinder, der Willi Mader davon abhielt, gänzlich zu verzweifeln. Hoffnung suchte er auch dadurch, dass er sich von Zellenkameraden die Karten legen ließ oder selbst legte:
19. Dezember:
„Eben wieder Karten gelegt, immer dasselbe, es sieht nicht gut aus mit mir, aber du bist mir gut, das ist ein Trost.“
20. Dezember:
„Es sind furchtbare Tage, die ich durchmache, Träume, Gedanken, Grübelei, man muss schon Nerven haben und das alles in der Weihnachtswoche. (…)Karten wieder schlecht heute. An der Front habe ich sie mir ja auch immer wieder legen lassen, damals lagen sie gut.“
Am 24. Dezember schrieb Willi, der noch einmal ein Paket erhalten hatte, an Adelheid:
„Ich merkte hier, wenn ich Dich nicht hätte, nichts vom Heiligabend. Es gab wie immer morgens und nachmittags Kaffee, mittags 2 Scheiben Brot, 4 Kartoffeln und Sauerkraut.“
Zu Anfang des Jahres 1945 wandte sich Willi Mader in einem Brief an seine beiden Söhne Uwe und Gerd. Der Brief lässt u. a. deutlich werden, dass der Todgeweihte nun verstärkt Trost in der christlichen Glaubensbotschaft suchte:
„Meine lieben Jungs!
Es gibt so viel Schlechtes auf der Welt, ich bedaure, dass Selbstsucht und Ehrgeiz zu viel in der Welt ist und Treue zu wenig, aber Eure Mutter und meine Frau, meine liebe Heidi, verkörpert alle guten Eigenschaften in sich. Darum, meine lieben Jungs, seid immer brav, seid immer aufrichtig und christlich, lernt aufrichtig und ehrlich, lernt fleißig, mit einem Satz, seid klar, treu und wahr immerdar.(…) Und nun Euch allen für 1945 alles Gute und den Frieden.“
Adelheid sandte Willi am 20. Januar einen Brief, dessen Aushändigung vom Zentralgericht des Heeres nicht mehr genehmigt wurde. In ihm schreibt sie über die Söhne Uwe und Gerd:
„Die Kinder reden dieser Tage immer so viel, wenn Papa nun mal käme usw. Sie denken, glaube ich, gar nicht daran, dass sowas ja nicht möglich ist. Wenn ein Zug kommt, will jeder ans Fenster, um zu sehen, ob es wohl mal in Erfüllung ginge.“
Am 31. Januar, dem 90. Tag nach seiner Verurteilung, begann Willi mit täglichen Aufzeichnungen. Er erwartete, dass sich sein Schicksal innerhalb der nächsten zehn Tage endgültig entscheiden würde, und darin sollte er sich nicht irren:
„Man sagt mir (nämlich) immer wieder, dass die meisten Fälle sich bis zum 100. Tag entschieden haben und danach nicht mehr so große Gefahr besteht. (…)Dass ich hier alt geworden (bin), hast Du ja wohl selbst feststellen können, auch Dr. Stech sagte mir das, man selbst merkt aber diese Veränderung nicht mehr. Die Hauptsache ist aber, dass ich euch eines Tages wiedersehen kann. (…) (Aber) der Januar war ja ein Wartemonat überhaupt für mich, den ganzen Tag horcht man an der Zellentür, meine Nerven haben wohl auch einen Knacks bekommen.“
Am 2. Februar bringt Willi ein ergreifendes Gedicht zu Papier, das wiederum eine Liebeserklärung enthält und Trost und Hoffnung im Glauben sucht:
„Auch dann ziehen die Wolken hin,
Wenn ich einst nicht mehr bin,
Und der Klee blüht weiß und rot,
Wenn ich bin längst schon tot.
Nehmen will man mir mein junges Leben,
Ich wollt„ doch so gerne schaffen und streben.
Nur weil diese Menschen mich hassen,
Muss ich Euch, meine Lieben, verlassen.
Trotzdem will ich noch hoffen und glauben,
ich lasse mir meine Hoffnung nicht rauben.
Einmal wird die Sonne wieder scheinen,
Dann werden wir uns vereinen.
Sei es nicht auf dieser Welt,
dann dort, wo es GOTT gefällt,
Dort ist bestimmt Gerechtigkeit,
Meine liebe Adelheid!“
Willi Mader war in diesen Tagen gemäß dem bereits zitierten Schreiben des Zentralgerichts des Heeres vom 5. Februar inzwischen im Wehrmachtsunteruntersuchungsgefängnis Spandau in der Wilhelmstraße 23 untergebracht, in dem zu Anfang des Jahres 1945 eine Hinrichtungsstätte errichtet wurde, die jedoch nicht mehr fertiggestellt und genutzt wurde. Nach dem Krieg diente dieser Gebäudekomplex den Alliierten dazu, die vom Nürnberger Gerichtshof zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilten „Kriegsverbrecher“ – u. a. Dönitz, von Schirach und Heß – aufzunehmen.
Willi und Adelheid schrieben sich am gleichen Tag, dem 8. Februar, vielleicht sogar in der gleichen Stunde, einen Brief. Diese Briefe wurden zu Abschiedsbrief en. Willi schrieb in der Todeszelle in Spandau:
„Meine liebe Heidi! Meine lieben Jungs!
Wie sehr warte ich auf Nachricht von Euch, gerade in diesen Tagen ganz besonders, aber ich weiß ja, Du tust dein Möglichstes und hast es auch immer getan, dafür danke ich Dir vom ganzen Herzen. Wären wir hundert Jahre früher oder später auf der Welt, dann hätten wir es besser, aber auch in dieser Zeit zu leben ist etwas Herrliches./ Die Welt gleicht heute einem Bauplatz, wo unter schweren Hammerschlägen ein alter Bau in Trümmer fallen muss, damit ein herrlicher Neubau entsteht! Wir alle leiden unter diesen Hammerschlägen, die uns oft das Liebste zerbrechen, sinnlos kommt es uns manchmal vor, aber wenn die Zukunft unserer Kinder umso besser ist, dann wollen wir die Opfer bringen. Für dieses große Opfer bin ich als Soldat an der Front ja immer bereit gewesen, und wie viel kleine Opfer wir in den vielen Jahren gebracht haben, ist ja klar. Wenn ich diesen Krieg nicht überlebe, dann Du, und wenn Du nicht, dann unsere beiden Jungs bestimmt, die werden doch wohl hoffentlich ein besseres Leben haben. Gut wäre es, wenn Du diese schöne Zeit an der Seite unserer Jungs miterleben könntest, noch schöner, wenn ich auch dabei sein könnte. Aber man soll seinem Schicksal nicht in die Räder greifen, man kann es wohl auch gar nicht. Man kann nicht in die Zukunft sehen, hoffen auf eine bessere kann und soll man aber./Jede Zeile, jedes Wort kann ja das letzte sein, so will ich auch den heutigen Tag beschließen mit dem Dank für alles Gute. Du hast nur Gutes getan, immer, ob für meine Mutter, für Vater oder für mich, immer hast du nur das Beste gewollt. Hast so viel Freude bereitet, das empfängst Du eines Tages alles mit Zinseszinsen zurück. Nun Euch Allen Grüße und Dir Küsse! EUER Pieps!
Adelheid Mader schrieb ihrem Mann am 8. Februar 1945 aus Bremervörde:
„Mein lieber Willi!
Nun ist endlich die lange Wartezeit vorüber, heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 24. 1. Du kannst dir denken, dass ich mich freute. Nun muss ich wohl wieder vier Wochen warten, aber es vergeht kein Tag, wo nicht meine Gedanken bei Dir sind. Ich weiß auch, dass Deine Gedanken bei uns sind. Vor mir liegt nun dein Brief. An dem Tag, wo Du ihn geschrieben hast, habe ich Dich schreiben sehen, er bringt einen eigenartigen Geruch mit, du riechst es doch gar nicht gerne. (…) Oft bedaure ich, dass ich nicht noch einmal zu dir fahren konnte, aber es sollte wohl nicht sein. Es ist eben alles für uns so bestimmt, wir müssen uns schon darin fügen, wenn wir auch häufig kein Verständnis dafür haben. Aber durch dieses Leid weiß man auch die kleinsten Freuden immer mehr zu schätzen, sei es in der Natur oder sonst etwas. Ich freue mich schon, wenn ein schöner Tag mit Sonnenschein ist. Heute ist wieder ein guter Tag, dann freut man sich schon, dass es dem Frühling entgegengeht. Alles sieht so friedlich aus, wir wollen hoffen, dass es hier auch so bleibt. Die Buben sind im Wald, denen gefällt es auch nicht bei gutem Wetter im Haus. Gestern waren sie wieder mit zum Holzholen, da kamen sie durchnässt nach Hause, einen Rucksack voll Tannenzapfen brachten sie mir mit zum Feuer anmachen. Sie können sich nun wieder gut austoben, denn vorläufig werden die Schulen wohl noch geschlossen bleiben. (…) Für heute sei Du nun herzlichst gegrüßt und geküsst von Deinen Buben Uwe und Gerd, aber ganz besonders grüßt und küsst Dich Deine Heidi.“
Dieser noch an die Lehrter Straße 3 adressierte Brief Adelheid Maders wurde am 9. Februar gestempelt. Zu diesem Zeitpunkt war Willi Mader bereits tot. Adelheid bekam ihn nach etlichen Tagen zurück, versehen mit dem Stempelaufdruck: „Neue Anschrift abwarten“.
Am 5. Februar hatte sich das Schicksal von Willi Mader entschieden. Der SS-Richter beim Reichsführer-SS , an den Adelheid Mader am 6. Dezember ein Gnadengesuch für ihren Mann gerichtet hatte, setzte an diesem Tag ein Schreiben an Adelheid Mader auf, in dem er die Ablehnung des Gnadengesuchs begründete und ihr mitteilte, das Urteil sei inzwischen vollsteckt worden. In der an Adelheid Mader nach der Hinrichtung übersandten Ausfertigung des Schreibens fehlten sowohl das Datum 5. Februar als auch die Unterschrift des SS-Richters:
„Im Auftrage des Reichsführers-SS habe ich Ihnen folgendes mitzuteilen:
Mit Rücksicht auf die Schwere der Verfehlungen des M. musste RFH das Urteil bestätigen. M., der bereits vor der Machtübernahme im kommunistischen Jugendverband war und der noch 1939 seine kommunistische Einstellung klar zum Ausdruck brachte, hat sich jetzt wieder so schwer vergangen, dass der RFSS mit Rücksicht auf die Belange der Allgemeinheit auch einen Gnadenerweis nicht aussprechen konnte und die Vollstreckung des Urteils anordnen musste./Das Urteil ist zwischenzeitlich vollzogen.“
Wann dieses Schreiben und damit die Nachricht vom Tod ihres Mannes Adelheid Mader erreicht hat, ist nicht bekannt.
Das ebenfalls am Schicksalstag von Willi Mader, dem 5. Februar 1945, ergangene Schreiben des Zentralgerichts des Heeres, in dem es Rechtsanwalt Stech den Zeitpunkt und den Ort der Erschießung Willi Maders mitteilte, ist bereits eingangs vorgestellt worden.
Anfang März 1945 erhielt Adelheid Mader von dem für das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Spandau zuständigen Ev. Standortpfarrer Johannes Theile zwei Briefe. Der eine enthielt die Aufzeichnungen und nicht mehr abgesandten Briefe Willi Maders aus seinen letzten Lebenswochen, der andere schilderte, in welcher Haltung er in den Tod ging:
„Sie werden inzwischen die traurige Nachricht vom Ableben Ihres Gatten erhalten haben. Dazu möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich ihm in den letzten beiden Stunden zur Seite stehen konnte. Er war dem Trost des Gotteswortes durchaus zugänglich und hat mit anderen Kameraden zusammen mit großer innerer Anteilnahme das heilige Abendmahl empfangen. So ist er im Frieden Gottes heimgegangen, und das möge Sie trösten in Ihrem Schmerz. … Er fühlte sich ja im tieferen Sinne nicht schuldig und ist selbst auch tapfer gestorben.
Um den Nachlass kümmert sich das Gefängnis hier und ich nehme an, dass er Ihnen zugeht, wenn er nicht schon in Ihren Händen ist.
Ferner sende ich noch besonders ab einen Brief mit einigen tagebuchartigen Aufzeichnungen, den er mir noch im letzten Augenblick übergab.“
Die Denunziantin
Am 14. November 1944 richtete Hildegard S., die 18jährige kaufmännische Angestellte, der Willi Mader am 24. Juli in naivem Vertrauen ein gegnerisches Flugblatt überlassen hatte, einen Brief an Maders Rechtsanwalt Wilhelm Stech:
„Im Vertrauen auf Ihr mir bewiesenes Entgegenkommen am 3. 11. cr., am Hauptverhandlungstage, erlaube ich mir, Sie mit einer Bitte um Auskunft zu behelligen./
Ich weiß nicht, ob Sie sich so ohne weiteres an den Fall erinnern können. Es handelt sich um die Strafsache des Uffz. Mader. Sie wissen, dass mir das bisherige Endergebnis in unangenehmster Erinnerung steht, und ich Sie deshalb fragen möchte, ob Sie an dem bisherigen Urteil irgend eine Milderung haben erwirken können. Es ist ein zu furchtbarer Gedanke zu wissen, an einem solchen Ereignis mehr oder weniger beteiligt zu sein. Aber vielleicht hat er sich seine Sache durch seine leichtsinnigen Äußerungen selbst verwirkt. Bisher habe ich noch nie mit einer solchen Instanz zu tun gehabt, und ich will hoffen, dass dies auch das erste und letzte Mal gewesen ist.“
Auf der Rückseite dieses Briefes entschuldigt sich Hildegard S. dafür, dass sie mit einem Bleistift schreibt. Sie habe ihren Füllhalter auf der Rückfahrt von Berlin im Zug liegen lassen.
Hildegard S. wurde vom Zentralgericht des Heeres in Berlin als Zeugin vernommen, musste aber an der Gerichtsverhandlung am 3. November, in der das Todesurteil gefällt wurde, anscheinend auf Einwirken von Rechtsanwalt Stech nicht teilnehmen. Auch Stech war an diesem für seinen Mandanten entscheidenden Termin nicht im Gerichtssaal anwesend.
Aus dem Schreiben von Hildegard S. wird deutlich, dass sie wegen der Härte des Urteils gegen Willi Mader von Gewissensbissen geplagt wurde. Dies muss als Schuldeingeständnis der Denunziantin gewertet werden. Aber zugleich versuchte sie, diese Schuld abzuwälzen und dem Opfer zuzuschreiben: „Aber vielleicht hat er sich seine Sache durch seine leichtsinnigen Äußerungen selbst verwirkt.“
Am 3. Dezember 1947 stellte Lothar Knittel, Vertrauensmann der ehemaligen politischen Häftlinge im Regierungsbezirk Stade, im Auftrag von Adelheid Mader bei der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf Strafanzeige gegen die dort immer noch wohnende Hildegard S. und beantragte:
1. Hildegard S. sofort in Untersuchungshaft zu nehmen.
2. Hauptverhandlung anzuberaumen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit“.
Aus den zur Verfügung stehenden Dokumenten wird nicht mit letzter Sicherheit deutlich, ob die kaufmännische Angestellte Hildegard S. Willi Mader in der letzten Juliwoche 1944 selbst denunziert hat. In den Ausführungen des Urteils gegen Willi Mader steht: „Sie sorgte dann dafür, dass die Angelegenheit zur Anzeige kam.“ Es erscheint jedoch wenig glaubhaft, dass Hildegard S. das ihr von Willi Mader überlassene Flugblatt und die Informationen über die Eintragungen in dem Notizbuch von Willi Mader, die auf einem weiteren im Urlaub gefundenen englischen Flugblatt basierten und die sie gelesen hatte, lediglich an einen ihr als solchen nicht bekannten Düsseldorfer Gestapospitzel weitergegeben hat, wie sie bei den Ermittlungen im Gefolge der Strafanzeige Adelheid Maders behauptete. Oberstaatsanwalt Wieduwick indessen schenkte ihren Einlassungen Glauben und teilte Knittel am 22. Januar 1948 mit, er habe das Verfahren eingestellt.
Knittel gab sich damit nicht zufrieden und erhob am 18. Februar Einspruch, u. a. mit der Begründung: „Tatsache ist, dass die einzige Belastung gegen Hildegard S. der betreffende Satz („Sie sorgte dann dafür, dass die Angelegenheit zur Anzeige kam“) in dem Urteil des Kriegsgerichts ist. Der Satz ist allerdings so klar, dass unbedingt angenommen werden muss, dass die S. die Anklagende war. Die heutige Bekundung der S., dass T. der Denunziant war, ist offenkundig falsch.“ Sollte die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf den schon einmal vorgetragenen Einspruch wiederum ablehnen, werde er Beschwerde beim zuständigen Justizministerium einreichen.
Nachdem der Oberstaatanwalt in Düsseldorf Knittel am 10. April mitgeteilt hatte, der „Wiederaufnahme der Ermittlungen in dem Verfahren gegen die Beschuldigte S.“ stehe „der Umstand entgegen, dass die Beschuldigte den amerikanischen Soldaten Sam Couch geheiratet hat und nach den Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert ist.“, wandte sich Knittel an den Vertreter des Überwachungsdiensts der britischen Besatzungsmacht in Stade und fragte an, ob eine Möglichkeit bestehe, „die S. in Amerika zur Verantwortung zu ziehen.“
Die Bemühungen, die mutmaßliche Denunziantin rechtlich zur Verantwortung zu ziehen, blieben nach den vorliegenden Erkenntnissen erfolglos.
Der Kampf um die Entschädigung
Erfolg hatte Adelheid Mader, die nach dem Krieg mit ihren Kindern zunächst nur von bescheidenen Mitteln der öffentlichen Fürsorge lebte und wohl auch von ihren Eltern unterstützt werden musste, jedoch bei ihren Bemühungen, eine Sonderhilfe nach dem niedersächsischen Gesetz für Verfolgte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vom 22. September 1948 zu erhalten. Mit Rückwirkung vom 1. Oktober 1948 wurde ihr vom Kreis-Sonderhilfsauschuss des Landeskreises Bremervörde am 23. Mai 1949 eine Hinterbliebenenrente und für ihre beiden Kinder eine Waisenrente zugesprochen. Am 11. Februar 1950 sprach dieser Ausschuss ihr zudem eine Haftentschädigung in Höhe von 1050 DM zu.
Der Regierungspräsident in Stade stellte im November 1952 den Antrag, diese Beschlüsse des Kreis-Sonderhilfsausschusses Bremervörde anzufechten:
„Auch nach nochmaliger Prüfung muss ich an meinem Standpunkt festhalten, dass im Falle Mader keine politische Überzeugungstäterschaft vorliegt.“ Im „Fall S.“ habe Mader das Flugblatt – „und das ist das Entscheidende – nicht aus der Hand gegeben, um bewusst antinationalsozialistische Propaganda zu betreiben.
Er hat es unverständlicherweise der ihm gänzlich unbekannten Hildegard S. überlassen, ohne sich irgendwelche Gedanken darüber zu machen, welche Folgen das für ihn haben könnte.“
Der zuständige Sachbearbeiter, Oberregierungsrat B., resümierte zum Schluss seines Anfechtungsantrags: „Übrig bleibt somit nur, dass Mader einer ihm völlig Unbekannten sozusagen aufgesessen ist. Wegen dieser naiven und törichten Handlungsweise, für die er allerdings seinen Kopf hat hinhalten müssen, ihm politische Überzeugungstäterschaft zuzubilligen, geht m.E. erheblich zu weit./ Nach alledem bin ich nicht in der Lage, meinen Anfechtungsvorschlag zurückzuziehen.“
Adelheid Mader erhob am 29. Dezember 1952 mit Hilfe ihres Rechtsanwalts Einspruch gegen diesen Versuch der Bezirksregierung in Stade, ihr mit einer völlig unsensiblen Begründung die Haftentschädigung streitig zu machen:
„Aus dem Bescheid des Kreis-Sonderhilfeausschusses Bremervörde ergibt sich eindeutig, dass mein Ehemann aus politischen Gründen zum Tode verurteilt wurde und das Gnadengesuch von dem Reichsführer SS unter dem 5.2.1945 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die politische Einstellung des Verurteilten vor und während der Nazizeit eine Begnadigung nicht zuließe. Hieraus ergibt sich eindeutig, dass mein Mann nicht nur wegen des offenbaren Niedergangs und der schon weit vorgeschrittenen Zersetzung eine Gegeneinstellung gegen das Naziregime hatte, sondern von Anfang an eindeutig gegen den Nationalsozialismus eingestellt war.“
Um ihren Anspruch auf Haftentschädigungszahlungen nicht zu verlieren, blieb Adelheid Mader damals nichts anderes übrig, als mit dem Hinweis auf das Urteil des Zentralgericht des Heeres und die Ablehnung des Gnadengesuches durch den Reichsführer-SS zu argumentieren, die ihren Mann wegen seiner angeblich klar erwiesenen kommunistischen Einstellung zu Tode gebracht hatten. Zugespitzt möchte ich formulieren: Willi Mader wurde in der Tat aus politischen Gründen zum Tode verurteilt, aber diese politischen Gründe lagen nicht in der politischen Einstellung des Opfers, die soldatisch-humanistisch-christlich geprägt war, sondern in der menschenfeindlichen und verblendeten politischen Einstellung seiner Ankläger und Richter, also seiner Mörder.
Die Bezirksregierung Stade konnte sich mit ihrem Anfechtungsbegehren nicht durchsetzen. Der Landesausschuss für Sonderhilfssachen in Hannover teilte ihr am 30. September 1953 mit:
„ Mit Rücksicht auf das am 1. Oktober 1953 in Kraft tretende Bundesergänzungsgesetzt zur Entschädigung für Opfer der NS-Verfolgung (BEG) ist eine Durchführung des Anfechtungsverfahrens nicht mehr möglich.“
1955 gelang es Adelheid Mader dann, eine monatliche Unterstützung nach dem Bundesentschädigungsgesetz in Höhe von 200 DM erhalten, die 1959 auf monatlich 220 und 1966 auf monatlich 316 DM erhöht wurde.
Der Umgang mit den Tätern
Was geschah nach dem Krieg mit den Tätern? Die Denunziantin entzog sich dem Strafverfahren, indem sie in die USA auswanderte. Heinrich Himmler, der das Gnadengesuch für Willi Mader abgelehnt hatte, wurde im Mai 1945 in oder bei Bremervörde vom britischen Militär festgenommen. Kurz darauf nahm er sich in der Nähe von Lüneburg das Leben.
Wie erging es dem Richter Willi Maders, dem Oberfeldrichter Dr. Otto Wöhrmann? Wurde er nach dem Krieg für seine mörderischen Urteile zur Rechenschaft gezogen?
Der 1897 geborene Otto Wöhrmann, nach der Darstellung seines liberalen Richterkollegen Ulrich Vultejus „ ein kleiner, stets geschäftiger Mann mit den harten Gesichtszügen eines Mannes, der lieber »nein« als »ja“ sagt“, war Fachmann für Landwirtschaftserbrecht. 1933 schrieb er in einem Kommentar zum Reichserbhofgesetz, einem mit einer Jüdin verheirateten deutschen Bauern sei der Hof zu nehmen, denn er sei nicht „bauernfähig.“ Ein Eintrag in seinen Personalakten aus dem Jahr 1941 lautete: „Dr. Wöhrmann ist Parteimitglied, und seine politische Haltung bietet bei ihm die Gewähr dafür, dass er jederzeit für den Führer und den nationalsozialistischen Staat eintreten wird.“
Am Zentralgericht des Heeres war Wöhrmann für politische Straftaten zuständig. Bereits wirkte er wieder wie vor dem Krieg als Richter in Celle, wurde Mitglied des Landwirtschaftssenats des Oberlandesgerichts Celle und später Präsident dieses Senats.
1956 reichte der ehemalige Wehrmachtssoldat Joachim Hertslet, der mit einem Kameraden im alkoholisierten Zustand ein Führerbild mit Flaschen beworfen hatte und wie Willi Mader von Wöhrmann zum Tode verurteilt worden war, aber durch glückliche Umstände hatte überleben können, bei der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin eine Anzeige „ gegen Wöhrmann und andere wegen Rechtsbeugung und anderer Straftaten“ ein. Der Spiegel berichtete 1958 über den Stand der Ermittlungen: „ Richter Wöhrmann spricht nach wie vor Recht. SPD-Ministerpräsident Kopf, ein Bundesbruder Wöhrmanns, orakelte lediglich, er werden den Dingen ihren Lauf lassen.“ 1962 ging Wöhrmann vorzeitig in Pension, 1970 starb er, ohne dass er jemals für eines seiner vielen gnadenlosen Urteile zur Rechenschaft gezogen worden wäre.
Hochhuth, Juristen
1979 griff der Dramatiker Rolf Hochhuth in seinem Filbinger-Stück „Juristen“ den Fall Hertslet auf. In diesem Fall war es zur Neuverhandlung gekommen, weil die Akten bei einem Bombenangriff vernichtet worden waren, und in dieser Neuverhandlung hatte der Richter Klein Hertslet und seinen Kameraden lediglich wegen „Volltrunkenheit“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. „was immerhin beweist“, kommentiert Hochhuth in seinem Bühnenstück, „dass auch unter Hitler Richter selbst die Wahl hatten, Menschen zu bleiben oder Bestien zu werden.“ Und fährt fort:
„Der Senatspräsident, der diese zwei deutschen Soldaten umbringen wollte, erhält heute viele tausend Mark Pension im Monat, unendlich mehr als je die Witwe eines hingerichteten Soldaten erhielt.“
Furchtbare Juristen
Ingo Müllers Buchtitel griff 1987 eine Formulierung Hochhuths auf, den er 1978 auf das Verhalten des damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, in dessen Zeit als Marinerichter bezogen hatte. Müller schreibt am Anfang seines Buches: „Unter den Verbrechen des Nazi-Regimes sind jene der deutschen Justiz weitgehend unbeobachtet und ungesühnt geblieben. Es ist eine beklemmende Tatsache, dass es den Juristen gelungen ist, ihre Vergangenheit zu verschleiern und zu beschönigen.“
Konnten sich die Schuldigen unter den NS-Militärjuristen der Bestrafung durch den bundesdeutschen Staat weitestgehend entziehen, so ließ er den Opfern der nationalsozialistischen Militärjustiz nach langen Jahren zumindest formell Gerechtigkeit widerfahren, den so genannten „Kriegsverrätern“ allerdings erst im Jahre 2009.
Der Deutsche Bundestag hob nach langen Debatten mit dem „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ vom 25. August 1998und mit einer Ergänzung vom 23. Juli 2002 alle Urteile der NS-Militärjustiz wegen Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht und „Zersetzung der Wehrkraft“ als Unrecht auf. 1998 hatte die CDU noch dagegen votiert, die Urteile der NS-Militärrichter gegen Deserteure pauschal aufzuheben.
Adelheid Mader, die im Juli 1999 starb, erfuhr somit kurz vor ihrem Tod noch eine wenn auch bittere Genugtuung: Der bundesdeutsche Staat bekundete offiziell, dass ihrem wegen „Wehrkraftzersetzung“ verurteilten Ehemann Willi und damit auch ihr damals durch richterliche staatliche Willkür Unrecht widerfahren war.
Gedenken
2002 schuf die argentinischen Künstlerin Patricia Pisani an der ehemaligen Wehrmachtserschießungsstätte Ruhleben in Berlin zu Ehren der Opfer der NS-Militärjustiz ein Denkmal. Es ist aus einem Künstlerwettbewerb hervorgegangen.
Wir gehen zum Schluss an die Ruhestätte Willi Maders auf dem Friedhof „In den Kisseln“ (In den Kiefern) in Berlin-Spandau.
Das Grab ist nicht leicht zu finden. Innerhalb des Gräberfelds für 350 Opfer des Faschismus ruhen in der Abteilung 139 des Friedhofs 117 Opfer der Wehrmachtsjustiz, hingerichtet auf dem Schießplatz in Ruhleben.