vonErnst Volland 10.03.2012

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Die schöne Quelle

Zwischen zwei Klinkerbacksteinhäusern liegen seit Wochen Wasserpfützen im Gras. Der Wind drückt gegen die Scheiben, und es wird früh dunkel. Ich stehe am Fenster und blinke mit meiner Taschenlampe drei mal kurz und drei mal lang zu einem Fenster im Nachbarhaus. Peter antwortet mit drei langen Blinkzeichen und drei kurzen. Sofort greife ich nach meiner Jacke, Mütze und Schal und renne die 27 Stufen der Treppe hinunter, springe sicher über alle Pfützen und stehe vor der Haustür meines Freundes. Dort erwartet mich Peter, der die schwere Haustür aufgeschlossen hat und mich jetzt in seine Wohnung führt. Peter hat ein eigenes Zimmer, ich muss mit meinem Bruder ein Zimmer teilen. Obwohl meine Eltern seit ein paar Wochen ein eigenes Telefon besitzen, darf ich selbst nicht telefonieren. Ich muss vorher meine Eltern fragen. Einfach nur mit irgendwelchen Klassenkameraden zu schwatzen, ist nicht erlaubt. Deshalb benutze ich die Blinkzeichen mit der Taschenlampe für unsere Kommunikation.
Peter hatte gerade zum 13. Geburtstag einen eigenen Plattenspieler von seinen Eltern geschenkt bekommen und sich von seinem Taschengeld zwei neue Singles gekauft. Die wollen wir uns jetzt gemeinsam anhören. Eine Single ist von einem Elvis Presley. Sie hat auf jeder Seite einen Titel. „Good Rockin’ Tonight“ und auf der Rückseite „Heartbreak hotel“. Von Elvis hatte ich schon etwas in der Zeitschrift Bravo gelesen. Den Interpreten der zweiten Single kenne ich nicht. Er heißt Harry Belafonte. Seine Titel „Banana Boat Song“ und „Island in the Sun“.
Ich habe weder einen Plattenspieler noch irgendeine Single. Aber jetzt hocke ich auf dem Fußboden vor dem Plattenspieler und beobachte Peter, wie er den Schwenkarm auf den Rand der schwarzen Scheibe setzt, erst kommt eine kratzendes Geräusch, schnell hebt Peter den Arm etwas an und setzt neu auf. Es ertönt kurz ein Rauschen und dann, ja dann wird das Tor zu einer neuen Welt aufgestoßen: Rock’n Roll, Calypso, Blues. Der Beginn einer langen Freundschaft.
Ein Viertel Jahrhundert später gehe ich ans Telefon. Draußen fällt der erste Schnee.
„Hallo, here Belafonte management, Mr. Volland?“
„Who is there?“
„I’m the manager of Harry Belafonte. We have a concert in Berlin in two days and we ask you, if you like to come to the show. I have two free tickets, first row, for you.“
„Moment, just a moment, I dont understand.“
„Mr. Belafonte would be delighted if you come, he has seen some pieces of your work. Please can you bring some for him to the show? He wants to buy.“
Einen Moment sage ich nichts, halte den Hörer in der Hand und stehe regungslos da.
„Hallo, Mr. Volland, Mr. Volland.“
„Oh, yes, thank you, we will come.
Ein Bote bringt noch am gleichen Tag zwei Freikarten für das Harry Belafonte Konzert in der Kongresshalle. Mitte erste Reihe.
Nach dem Konzert führt uns eine Dame in die Garderobe des Künstlers. Belafonte, in einem weinroten, seidenen Morgenmantel, begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln. Er stellt seine Frau vor, die ihn auf seiner Tournee begleitet. Einige Frauen meinen, Harry Belafonte sei der schönste Mann der Welt. Wenn ich eine Frau wäre, würde ich dem zustimmen.
Ich zeige einige meiner Plakate und Postkarten. Belafonte entscheidet sich für ein kritisches Reagan Motiv. “Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.“
„Please I want hundred postcards? Possible? I will send these postcards at Christmas to my best hundred friends.“

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https://blogs.taz.de/vollandsblog/2012/03/10/harry-belafonte-85-congratulation/

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kommentare

  • Belafonte erschien vor einigen Wochen in Tavis Smiley Programm in PBS (der TV Kanal der U.S. Elite und Intellektuellen ). Er sieht aus wie mitte-50, dreisig Jahre juenger. Von Beruf ist er eigentliche Schauspieler (mit einer Reihe von bekannten Filmen), und er spricht ein wirklich grossartiges intelligentes nordamerikanisches Englisch. Er ist undogmatisch “links” und ein Intellektueller. Er kritisiert Obama, weil dieser die grossen Finanzgauner gerettet hat, anstatt seine einstigen Vorschlaege zu einer Wende (“Change”) zu erwirken. Bei einer politischen Treffen, sagte Obama privat zu Belafonte: “Cut me some slack!” (“Lass mich in Ruhe!”). Belafonte, welcher von Jamaika stammt, hatte einmal ueber Colin Powell (Sohn Einwanderer von Jamaika) gesagt: “Colin ist ist ein Haus-Sklave!” (In Bezug auf Colin Powell,”mitlaufen” mit George Bush Irak Krieg) —(Die Haus-Sklaven wurden besser behandelt als die Plantagensklaven). — Die Karibik hat aber bessere Musik als die in Deutschland bekannte, siehe youtube Video: FRERES DEJEAN NAIDE,- und: CANA DULCE CANA BRAVA .

  • Jahrgang 74, eine Best-of Platte aus den 70ern meiner Mutter machte Harry Belafonte bis heute zu meinem Lieblingssänger.

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