vonErnst Volland 16.04.2012

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Schüchternheit. Ein Gespräch mit dem Fotografen.

Ernst Volland: Wann haben Sie sich entschieden Fotograf zu werden?

Robert Doisneau: Ich habe zuerst mit einer anderen Kunst angefangen. Auf der Grafikschule war ich vom Zeichenunterricht begeistert, im Gegensatz zu den Fächern Mathematik, Chemie und Physik. Mir ist dann aufgefallen, dass die Lichtverhältnisse auf den Straßen nicht die gleichen waren, wie drinnen im Zeichenraum. Ich habe dann versucht-ich war sehr schüchtern und noch ganz jung- Skizzen von Personen auf den Straßen zu zeichnen. Manchmal ermutigten mich die Leute mit positiven Kommentaren: „Ja, das ist gut, mach weiter so!“. In verschiedenen Zeitschriften habe ich auch Fotos von Kertesz und Brassai gesehen, die spontan auf der Straße aufgenommen waren. Auf diesen Foto ist das Licht genauso dargestellt, wie es mir vorschwebte. Ein zweites kam hinzu: es war nicht nur das Licht, sondern auch die Haltung und Posen der Personen, die man zeichnete, wie z.B. der Diskuswerfer, der in keiner klassischen Zeichenunterricht fehlen durfte. Das wirkte auf mich starr und konventionell. Und dann gab es noch ein Problem. Damals arbeitete man mit Apparaten aus Holz und die waren nicht sehr beweglich. Trotzdem habe ich mich auf die Straße begeben und erst einmal Gegenstände fotografiert. An Personen habe ich mich noch nicht herangetraut. Das Fotografieren kleiner Details, wie Straßenbeläge und Mauern machte mit der damaligen Technik keine Schwierigkeiten und allmählich wurde ich sicherer. Man kann sagen, dass der Fotoapparat in der Hand meine Schüchternheit verdrängte. Diese Schüchternheit hält bis heute noch an, was Personen betrifft.

Ernst Volland: Hat die Auseinandersetzung mit der Zeichnung dazu geführt, dass Sie vorwiegend schwarz/weiss fotografieren?

Robert Doisneau: Nein, ich verdanke der Grafik etwas anderes. Der Druck einer Grafik dauert oft sehr lange. Man arbeitet manchmal bis zu einem Monat an einem Motiv. Die Druckgrafik hat mich Hartnäckigkeit und Geduld gelehrt, was sich auch auf meine Fotografie auswirkte. Ich nehme mir viel Zeit für ein Foto.

Ernst Volland: Könnten Sie vielleicht noch etwas genauer den Aspekt Ihrer Schüchternheit verdeutlichen?

Robert Doineau: Das ist schwierig zu erklären. Aber hier ein Beispiel, das mir in diesem Zusammenhang gut gefällt. Der Fotoapparat ermutigt mich, gibt mir ein Art Sicherheit bei meiner Arbeit, so wie der Schutzhelm einem Arbeiter Sicherheit gibt, der mit gefährlichen Stoffen hantiert. Es gibt zwei Situationen, die ich ohne diesen Schutz nicht angeschaut hätte. Ich habe bei Operationen im Krankenhaus fotografiert und wenn ich den Apparat nicht in den Händen gehalten hätte, wäre ich manchmal in Ohnmacht gefallen. Ich habe auch Aufnahmen in großer Höhe gemacht. Heute klingt das vielleicht banal, aber damals war es wirklich gefährlich. Ein Pilot lehnte sich schräg aus seinem Flugzeug und ein anderes Flugzeug flog ganz parallel, ganz nah heran, damit ich fotografieren konnte. Wenn ich bei dieser Schaukelei nicht den Fotoapparat gehabt hätte, wären die Ängste noch größer gewesen. Der Fotoapparat ist für mich eine Art magisches Instrument. Mit ihm vergisst man sich ein bisschen, man denkt nur an das, was man aufnehmen will. Ich glaube, bei mir ist immer noch ein kleiner Rest Schüchternheit vorhanden. Diese hindert mich zu weit zu gehen und nur der Sensation wegen ins Intime und Private von Leuten einzudringen. Auch das Elend und der Schrecken sind Sensationsthemen, die bei meinen Kollegen gut aufgehoben sind. Aber ich wollte und will zeigen, dass das Leben auch sehr schöne Aspekte hat. Meine Fotos dokumentieren die Lust, mit anderen Menschen zusammenzuleben, sie zeigen die Momente, die lebenswert sind. Natürlich ist das eine subjektive Haltung. Manche meinen, ich habe mich auf die Darstellung des Elends in Paris spezialisiert. Das ist völlig falsch. Die Menschen waren arm, ja. Ich wollte zeigen, dass an diesen Orten etwas passiert, das es lohnt zu betrachten, nämlich die Lebendigkeit und auch die Zärtlichkeit zwischen den Menschen, die von ihrer harten Arbeit und ihren Lebensverhältnissen geprägt sind.

Ernst Volland: War das kleinbürgerliche Milieu schon immer ihr Thema?

Robert Doisneau: Ich musste sehr früh meinen Lebensunterhalt verdienen und fotografierte daher alles: Gruppen, Hochzeiten, Fabriken. Ich habe fünf Jahre bei Renault gearbeitet. Ich hatte damals keine Referenzen, aber diese Arbeit hat mir einige gebracht. Heutzutage haben die jungen Fotografen eine Menge Referenzen, und ich glaube, dass die vielen Referenzen und Arbeitsaufträge zur Folge haben, dass die Bilder immer schematischer wirken und nicht mehr eine starke emotionale Ausstrahlung haben. Die Fotografen sind immer weniger mit ihrem Herzen dabei.

Ernst Volland: Haben Sie auch für die Presse gearbeitet?

Robert Doisneau: Als ich bei Renault rausgeschmissen wurde (ich kam immer zu spät), war ich sehr beunruhigt, weil ich nicht wusste wie ich überleben sollte. Gleichzeitig fühlte ich mich auch befreit, also das klassische Muster. Entweder man ist finanziell abgesichert, muss sich aber den Bedingungen anpassen oder man hat Freiheiten und ist dafür materiell unsicher dran. Ich war immer unglücklich, wenn man mich einschränkte, in der Schule, bei Renault, als Soldat. Als ich meine erste Reportage in der Zeitung mit vielen Fotos veröffentlicht hatte, dachte ich, ich werde ein weltberühmter Reporter.

Ernst Volland: Sie sind mit der Stadt Paris und ihren Menschen sehr verbunden. Hätte es auch eine andere Stadt ein können?

Rober Doisneau: Ja, sicherlich. New York oder Rom. Es stimmt, ich bin mit Paris eine Symbiose eingegangen. Es ist als ob ich mich jedes Mal selbst fotografiere. Jede Aufnahme ist wie ein Selbstportrait.

Ernst Volland: Es gibt sehr viele komische Situationen auf Doisneau-Fotos. Sind die Pariser besonders witzig?

Robert Doisenau: Nein, nein, das liegt nicht an Paris. Die kann man überall finden, man muss die Situationen im richtigen Moment sehen, z.B. der Gänsemarkt in Südfrankreich, da gibt es viel Lustiges zu sehen. Ich war oft dort.
Eines Tages musste ich in Paris zu einem dringenden Werbeauftrag. Ich fuhr an den Tuilerien vorbei und sehe, dass dort Statuen von Maillol aufgestellt werden. Ich halte an, weil ich Arbeiter sehe, die eine Venusstatue, riesig und schwer, von einem Wagen herunternehmen, indem sie die Brüste und Hände packen. In der Werbeagentur gab es Ärger, weil ich viel zu spät kam, aber durch Zufall habe ich an einem ganz normalen Tag ein witziges Ereignis fotografiert.

Ernst Volland: Suchen Sie gezielt komische Situationen oder tauchen diese Situationen plötzlich auf und Sie sind sofort bereit zu fotografieren?

Robert Doisneau: Oh, ich finde eher diese Situationen. Ich sehe oft Leute, die mich interessieren, da sie eine bestimmte soziale Rolle spielen. Das fällt mir bei guten Zeichnungen auch auf. Ich kenne Sempe und Steinberg sehr gut und ich denke, dass diese Zeichner heute eine wichtigere gesellschaftliche Arbeit leisten als die großen Philosophen. Aber ich denke dabei nicht nur an die Zeichner, sondern an die Humoristen generell.

Ernst Volland: Kann man sagen, dass auch ihr Humor von Herzen kommt, jedenfalls sehe ich auf Ihren Fotos nichts aggressiv Überspitztes und Themen wir Militär oder die Upperclass sind völlig ausgespart.

Robert Doisneau: Ich habe keine gesellschaftliche Message, ich mache was ich fühle. Der Beruf des Fotografen hat das Privileg, wichtige Leute wie Minister oder andere Größen ganz aus der Nähe zu betrachten. Ich denke, es ist Aufgabe der Humoristen diese hohen Leute in ihrer Lächerlichkeit zu zeigen, in welcher Form auch immer. Meine Sache ist es nicht. Im französischen Boulevardtheater bedient man sich immer reaktionärer Mittel, um den Humor zu zeigen. Wenn z.B. die bürgerliche Frau sich über das schlechte Französisch ihrer portugiesischen Putzfrau mokiert, dann ist das eigentlich nicht lustig. Hat man keinen Respekt mehr vor den Personen, die man fotografiert, wird es unmoralisch.

Das Interview wurde 1990 in Paris in französischer Sprache geführt. Dank an J. Quenum. Robert Doisneau, 14. April 1914-1. April 1994.

Foto oben: Das bekannteste Foto von Robert Doisneau „Der Kuss“, 1950


Picasso, 1952


Eine Kopie des Picassomotivs, ca 2005

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